Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Russland.
liche Aufsicht weg. Die Folge davon war, dass die polnische Eisen-
industrie keine Fortschritte machte und in ihrem alten Schlendrian
beharrte.



Russland.

Von einer russischen Eisenindustrie im Mittelalter kann noch
kaum die Rede sein. Das ungeheure Ländergebiet, welches heut-
zutage das europäische Russland ausmacht, war damals noch nicht
politisch vereinigt, sondern nach Volksstämmen und Staaten vielfach
geteilt. Im Ganzen aber war es für das gebildete Europa eine un-
bekannte, fremde Welt. -- Die einzigen regelmässigen Beziehungen
mit Russland unterhielten die hanseatischen Kaufleute, die in Now-
gorod ein Hauptkontor hatten. Dort, wo der Völkermarkt zwischen
Asien und Europa war, entwickelte sich ein grosses, reiches Gemein-
wesen mit zum Teil europäischer Cultur. Die reiche Stadt bildete
den Mittelpunkt einer politischen Macht (s. S. 578) und Iwan der
Grosse
konnte sich erst dann mit Recht den Titel "Beherrscher von
ganz Russland" nennen, nachdem er Nowgorod erobert und seiner
Herrschaft unterworfen hatte. An einen Export von russischem Eisen
war damals noch nicht zu denken. Russlands Eisenindustrie war
gering. In niedrigen Stücköfen wurde von den Bauern das Eisen für
den gewöhnlichen Bedarf geschmolzen. Alles bessere Eisen, Blech,
Stahl, Waffen, Kleineisenwaren wurde von den deutschen Kaufleuten
eingeführt.

Die Art der Eisengewinnung in Russland hatte die grösste Aehn-
lichkeit mit derjenigen der schwedischen und norwegischen Bauern.
Dass dies in Finnland so war, erscheint natürlich, sowohl der politi-
schen Verbindung als der geognostischen Aehnlichkeit wegen. Denn
einerseits besitzt Finnland Magneteisenerzablagerungen von ganz
demselben Charakter wie Schweden, während sich anderseits in den
vielen Landseeen Seeerze und in den Niederungen Sumpferze finden,
wie in Schweden, und dass deren Verhüttung in Bauernöfen eine
sehr alte ist, haben wir bereits Bd. I, S. 804, erwähnt. Die ganz
ähnliche Art des Verschmelzens von Raseneisenstein in primitiven,
niedrigen Schachtöfen fand sich aber in vielen Gegenden der un-

Ruſsland.
liche Aufsicht weg. Die Folge davon war, daſs die polnische Eisen-
industrie keine Fortschritte machte und in ihrem alten Schlendrian
beharrte.



Ruſsland.

Von einer russischen Eisenindustrie im Mittelalter kann noch
kaum die Rede sein. Das ungeheure Ländergebiet, welches heut-
zutage das europäische Ruſsland ausmacht, war damals noch nicht
politisch vereinigt, sondern nach Volksstämmen und Staaten vielfach
geteilt. Im Ganzen aber war es für das gebildete Europa eine un-
bekannte, fremde Welt. — Die einzigen regelmäſsigen Beziehungen
mit Ruſsland unterhielten die hanseatischen Kaufleute, die in Now-
gorod ein Hauptkontor hatten. Dort, wo der Völkermarkt zwischen
Asien und Europa war, entwickelte sich ein groſses, reiches Gemein-
wesen mit zum Teil europäischer Cultur. Die reiche Stadt bildete
den Mittelpunkt einer politischen Macht (s. S. 578) und Iwan der
Groſse
konnte sich erst dann mit Recht den Titel „Beherrscher von
ganz Ruſsland“ nennen, nachdem er Nowgorod erobert und seiner
Herrschaft unterworfen hatte. An einen Export von russischem Eisen
war damals noch nicht zu denken. Ruſslands Eisenindustrie war
gering. In niedrigen Stücköfen wurde von den Bauern das Eisen für
den gewöhnlichen Bedarf geschmolzen. Alles bessere Eisen, Blech,
Stahl, Waffen, Kleineisenwaren wurde von den deutschen Kaufleuten
eingeführt.

Die Art der Eisengewinnung in Ruſsland hatte die gröſste Aehn-
lichkeit mit derjenigen der schwedischen und norwegischen Bauern.
Daſs dies in Finnland so war, erscheint natürlich, sowohl der politi-
schen Verbindung als der geognostischen Aehnlichkeit wegen. Denn
einerseits besitzt Finnland Magneteisenerzablagerungen von ganz
demselben Charakter wie Schweden, während sich anderseits in den
vielen Landseeen Seeerze und in den Niederungen Sumpferze finden,
wie in Schweden, und daſs deren Verhüttung in Bauernöfen eine
sehr alte ist, haben wir bereits Bd. I, S. 804, erwähnt. Die ganz
ähnliche Art des Verschmelzens von Raseneisenstein in primitiven,
niedrigen Schachtöfen fand sich aber in vielen Gegenden der un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0925" n="905"/><fw place="top" type="header">Ru&#x017F;sland.</fw><lb/>
liche Aufsicht weg. Die Folge davon war, da&#x017F;s die polnische Eisen-<lb/>
industrie keine Fortschritte machte und in ihrem alten Schlendrian<lb/>
beharrte.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ru&#x017F;sland</hi>.</hi> </head><lb/>
              <p>Von einer russischen Eisenindustrie im Mittelalter kann noch<lb/>
kaum die Rede sein. Das ungeheure Ländergebiet, welches heut-<lb/>
zutage das europäische Ru&#x017F;sland ausmacht, war damals noch nicht<lb/>
politisch vereinigt, sondern nach Volksstämmen und Staaten vielfach<lb/>
geteilt. Im Ganzen aber war es für das gebildete Europa eine un-<lb/>
bekannte, fremde Welt. &#x2014; Die einzigen regelmä&#x017F;sigen Beziehungen<lb/>
mit Ru&#x017F;sland unterhielten die hanseatischen Kaufleute, die in Now-<lb/>
gorod ein Hauptkontor hatten. Dort, wo der Völkermarkt zwischen<lb/>
Asien und Europa war, entwickelte sich ein gro&#x017F;ses, reiches Gemein-<lb/>
wesen mit zum Teil europäischer Cultur. Die reiche Stadt bildete<lb/>
den Mittelpunkt einer politischen Macht (s. S. 578) und <hi rendition="#g">Iwan der<lb/>
Gro&#x017F;se</hi> konnte sich erst dann mit Recht den Titel &#x201E;Beherrscher von<lb/>
ganz Ru&#x017F;sland&#x201C; nennen, nachdem er Nowgorod erobert und seiner<lb/>
Herrschaft unterworfen hatte. An einen Export von russischem Eisen<lb/>
war damals noch nicht zu denken. Ru&#x017F;slands Eisenindustrie war<lb/>
gering. In niedrigen Stücköfen wurde von den Bauern das Eisen für<lb/>
den gewöhnlichen Bedarf geschmolzen. Alles bessere Eisen, Blech,<lb/>
Stahl, Waffen, Kleineisenwaren wurde von den deutschen Kaufleuten<lb/>
eingeführt.</p><lb/>
              <p>Die Art der Eisengewinnung in Ru&#x017F;sland hatte die grö&#x017F;ste Aehn-<lb/>
lichkeit mit derjenigen der schwedischen und norwegischen Bauern.<lb/>
Da&#x017F;s dies in Finnland so war, erscheint natürlich, sowohl der politi-<lb/>
schen Verbindung als der geognostischen Aehnlichkeit wegen. Denn<lb/>
einerseits besitzt Finnland Magneteisenerzablagerungen von ganz<lb/>
demselben Charakter wie Schweden, während sich anderseits in den<lb/>
vielen Landseeen Seeerze und in den Niederungen Sumpferze finden,<lb/>
wie in Schweden, und da&#x017F;s deren Verhüttung in Bauernöfen eine<lb/>
sehr alte ist, haben wir bereits Bd. I, S. 804, erwähnt. Die ganz<lb/>
ähnliche Art des Verschmelzens von Raseneisenstein in primitiven,<lb/>
niedrigen Schachtöfen fand sich aber in vielen Gegenden der un-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[905/0925] Ruſsland. liche Aufsicht weg. Die Folge davon war, daſs die polnische Eisen- industrie keine Fortschritte machte und in ihrem alten Schlendrian beharrte. Ruſsland. Von einer russischen Eisenindustrie im Mittelalter kann noch kaum die Rede sein. Das ungeheure Ländergebiet, welches heut- zutage das europäische Ruſsland ausmacht, war damals noch nicht politisch vereinigt, sondern nach Volksstämmen und Staaten vielfach geteilt. Im Ganzen aber war es für das gebildete Europa eine un- bekannte, fremde Welt. — Die einzigen regelmäſsigen Beziehungen mit Ruſsland unterhielten die hanseatischen Kaufleute, die in Now- gorod ein Hauptkontor hatten. Dort, wo der Völkermarkt zwischen Asien und Europa war, entwickelte sich ein groſses, reiches Gemein- wesen mit zum Teil europäischer Cultur. Die reiche Stadt bildete den Mittelpunkt einer politischen Macht (s. S. 578) und Iwan der Groſse konnte sich erst dann mit Recht den Titel „Beherrscher von ganz Ruſsland“ nennen, nachdem er Nowgorod erobert und seiner Herrschaft unterworfen hatte. An einen Export von russischem Eisen war damals noch nicht zu denken. Ruſslands Eisenindustrie war gering. In niedrigen Stücköfen wurde von den Bauern das Eisen für den gewöhnlichen Bedarf geschmolzen. Alles bessere Eisen, Blech, Stahl, Waffen, Kleineisenwaren wurde von den deutschen Kaufleuten eingeführt. Die Art der Eisengewinnung in Ruſsland hatte die gröſste Aehn- lichkeit mit derjenigen der schwedischen und norwegischen Bauern. Daſs dies in Finnland so war, erscheint natürlich, sowohl der politi- schen Verbindung als der geognostischen Aehnlichkeit wegen. Denn einerseits besitzt Finnland Magneteisenerzablagerungen von ganz demselben Charakter wie Schweden, während sich anderseits in den vielen Landseeen Seeerze und in den Niederungen Sumpferze finden, wie in Schweden, und daſs deren Verhüttung in Bauernöfen eine sehr alte ist, haben wir bereits Bd. I, S. 804, erwähnt. Die ganz ähnliche Art des Verschmelzens von Raseneisenstein in primitiven, niedrigen Schachtöfen fand sich aber in vielen Gegenden der un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/925
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 905. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/925>, abgerufen am 22.11.2024.