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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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treffenden Materien entziehen. Auf diesen Thatsachen beruht die
Cementstahlfabrikation und die Darstellung des schmiedbaren Gusses,
welche wir später näher betrachten werden.

Die Aufnahme der schweflig-salzigen Materie erhöht die Härte
des Eisens. Nun tritt aber beim Stahl die eigentümliche Erscheinung
ein, dass derselbe, wenn langsam erkaltet, weich, wenn rasch erkaltet,
hart wird, worauf die wichtige Eigenschaft der Stahlhärtung beruht.
Dies erklärt Reaumur, von seiner Theorie ausgehend, in geistreicher
Weise so: Stahl enthält schweflig-salzige Materie an Eisen gebunden;
durch öfteres Erhitzen verliert der Stahl seine Stahlnatur, die schweflig-
salzige Substanz lässt sich also durch Glühen verflüchtigen. Ehe dies
aber geschieht, tritt ein Zwischenzustand ein. Bei der Erhitzung
wird die innige Verbindung des Eisens mit der schweflig-salzigen
Materie aufgehoben, dieselbe scheidet sich sozusagen in flüssigem Zu-
stande aus und füllt die leeren Räume, die zwischen den Eisenmole-
külen vorhanden sind, aus. Tritt plötzliche Abkühlung ein, so wird
die Substanz in diesem Zustande fixiert und bewirkt die Stahlhärte,
tritt die Abkühlung langsam ein, so kehrt die schweflig-salzige Materie,
wenn die Grenztemperatur wiederum erreicht ist, in ihre frühere
Lagerung, beziehungsweise ihre intime Verbindung mit dem Eisen
zurück. Die fixierte schweflig-salzige Verbindung denkt sich Reau-
mur
sehr hart, er vergleicht sie treffend mit Eisenpyrit, Schwefelkies,
welcher nach den Anschauungen jener Zeit auch in der Hauptsache
eine schweflig-salzige Verbindung war; der Schwefel liess sich daraus
durch Erhitzen in Substanz austreiben, während durch Verwitterung
Salz (Eisenvitriol) entstand. Eine ähnliche, wenn nicht dieselbe Ver-
bindung wäre die die Eisenmoleküle umgebende, durch rasche Ab-
kühlung fixierte Materie. Können wir diese Theorie Reaumurs auch
nach dem heutigen Stande der chemischen Wissenschaft nicht als
richtig anerkennen, so müssen wir doch zugestehen, dass sie geistreich
ist und sehr nahe mit modernen Theorien übereinstimmt, nach denen
der Kohlenstoff dieselbe Rolle spielen soll, wobei auf den allotropischen
Zustand desselben als Diamant hingewiesen wird.

Reaumur hielt auch später an der Idee fest, dass der Grund-
stoff des metallischen Eisens ein besonderes Element sei. In der be-
rühmten Abhandlung von de Courtivron und Bouchu: Art des
Forges et fourneaux a fer
in den Descriptions des Arts et
Metiers, welche nach Reaumurs hinterlassenen Handschriften ver-
fasst ist, wird dieser Gedanke noch schärfer ausgedrückt. Diese Stelle
mit der Kritik des deutschen Übersetzers von Justi giebt eine

Chemie.
treffenden Materien entziehen. Auf diesen Thatsachen beruht die
Cementstahlfabrikation und die Darstellung des schmiedbaren Gusses,
welche wir später näher betrachten werden.

Die Aufnahme der schweflig-salzigen Materie erhöht die Härte
des Eisens. Nun tritt aber beim Stahl die eigentümliche Erscheinung
ein, daſs derselbe, wenn langsam erkaltet, weich, wenn rasch erkaltet,
hart wird, worauf die wichtige Eigenschaft der Stahlhärtung beruht.
Dies erklärt Reaumur, von seiner Theorie ausgehend, in geistreicher
Weise so: Stahl enthält schweflig-salzige Materie an Eisen gebunden;
durch öfteres Erhitzen verliert der Stahl seine Stahlnatur, die schweflig-
salzige Substanz läſst sich also durch Glühen verflüchtigen. Ehe dies
aber geschieht, tritt ein Zwischenzustand ein. Bei der Erhitzung
wird die innige Verbindung des Eisens mit der schweflig-salzigen
Materie aufgehoben, dieselbe scheidet sich sozusagen in flüssigem Zu-
stande aus und füllt die leeren Räume, die zwischen den Eisenmole-
külen vorhanden sind, aus. Tritt plötzliche Abkühlung ein, so wird
die Substanz in diesem Zustande fixiert und bewirkt die Stahlhärte,
tritt die Abkühlung langsam ein, so kehrt die schweflig-salzige Materie,
wenn die Grenztemperatur wiederum erreicht ist, in ihre frühere
Lagerung, beziehungsweise ihre intime Verbindung mit dem Eisen
zurück. Die fixierte schweflig-salzige Verbindung denkt sich Reau-
mur
sehr hart, er vergleicht sie treffend mit Eisenpyrit, Schwefelkies,
welcher nach den Anschauungen jener Zeit auch in der Hauptsache
eine schweflig-salzige Verbindung war; der Schwefel lieſs sich daraus
durch Erhitzen in Substanz austreiben, während durch Verwitterung
Salz (Eisenvitriol) entstand. Eine ähnliche, wenn nicht dieselbe Ver-
bindung wäre die die Eisenmoleküle umgebende, durch rasche Ab-
kühlung fixierte Materie. Können wir diese Theorie Reaumurs auch
nach dem heutigen Stande der chemischen Wissenschaft nicht als
richtig anerkennen, so müssen wir doch zugestehen, daſs sie geistreich
ist und sehr nahe mit modernen Theorien übereinstimmt, nach denen
der Kohlenstoff dieselbe Rolle spielen soll, wobei auf den allotropischen
Zustand desselben als Diamant hingewiesen wird.

Reaumur hielt auch später an der Idee fest, daſs der Grund-
stoff des metallischen Eisens ein besonderes Element sei. In der be-
rühmten Abhandlung von de Courtivron und Bouchu: Art des
Forges et fourneaux à fer
in den Descriptions des Arts et
Métiers, welche nach Reaumurs hinterlassenen Handschriften ver-
faſst ist, wird dieser Gedanke noch schärfer ausgedrückt. Diese Stelle
mit der Kritik des deutschen Übersetzers von Justi giebt eine

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[69/0083] Chemie. treffenden Materien entziehen. Auf diesen Thatsachen beruht die Cementstahlfabrikation und die Darstellung des schmiedbaren Gusses, welche wir später näher betrachten werden. Die Aufnahme der schweflig-salzigen Materie erhöht die Härte des Eisens. Nun tritt aber beim Stahl die eigentümliche Erscheinung ein, daſs derselbe, wenn langsam erkaltet, weich, wenn rasch erkaltet, hart wird, worauf die wichtige Eigenschaft der Stahlhärtung beruht. Dies erklärt Reaumur, von seiner Theorie ausgehend, in geistreicher Weise so: Stahl enthält schweflig-salzige Materie an Eisen gebunden; durch öfteres Erhitzen verliert der Stahl seine Stahlnatur, die schweflig- salzige Substanz läſst sich also durch Glühen verflüchtigen. Ehe dies aber geschieht, tritt ein Zwischenzustand ein. Bei der Erhitzung wird die innige Verbindung des Eisens mit der schweflig-salzigen Materie aufgehoben, dieselbe scheidet sich sozusagen in flüssigem Zu- stande aus und füllt die leeren Räume, die zwischen den Eisenmole- külen vorhanden sind, aus. Tritt plötzliche Abkühlung ein, so wird die Substanz in diesem Zustande fixiert und bewirkt die Stahlhärte, tritt die Abkühlung langsam ein, so kehrt die schweflig-salzige Materie, wenn die Grenztemperatur wiederum erreicht ist, in ihre frühere Lagerung, beziehungsweise ihre intime Verbindung mit dem Eisen zurück. Die fixierte schweflig-salzige Verbindung denkt sich Reau- mur sehr hart, er vergleicht sie treffend mit Eisenpyrit, Schwefelkies, welcher nach den Anschauungen jener Zeit auch in der Hauptsache eine schweflig-salzige Verbindung war; der Schwefel lieſs sich daraus durch Erhitzen in Substanz austreiben, während durch Verwitterung Salz (Eisenvitriol) entstand. Eine ähnliche, wenn nicht dieselbe Ver- bindung wäre die die Eisenmoleküle umgebende, durch rasche Ab- kühlung fixierte Materie. Können wir diese Theorie Reaumurs auch nach dem heutigen Stande der chemischen Wissenschaft nicht als richtig anerkennen, so müssen wir doch zugestehen, daſs sie geistreich ist und sehr nahe mit modernen Theorien übereinstimmt, nach denen der Kohlenstoff dieselbe Rolle spielen soll, wobei auf den allotropischen Zustand desselben als Diamant hingewiesen wird. Reaumur hielt auch später an der Idee fest, daſs der Grund- stoff des metallischen Eisens ein besonderes Element sei. In der be- rühmten Abhandlung von de Courtivron und Bouchu: Art des Forges et fourneaux à fer in den Descriptions des Arts et Métiers, welche nach Reaumurs hinterlassenen Handschriften ver- faſst ist, wird dieser Gedanke noch schärfer ausgedrückt. Diese Stelle mit der Kritik des deutschen Übersetzers von Justi giebt eine

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/83>, abgerufen am 11.05.2024.