Auf der erprobten Güte des gepuddelten Eisens beruhte der grosse auswärtige Handel Belgiens. Deshalb waren die Industriellen wie die Arbeiter wenig geneigt, von dem bewährten Verfahren ab- zugehen, und es wurde beibehalten, obgleich die benachbarten Erz- schätze von Luxemburg und Lothringen seit 1880 geradezu zum Thomasprozess aufzufordern schienen.
Zum Verständnis der Entwickelung der belgischen Eisenindustrie muss im Auge behalten werden, dass die beste Verwertung der Stein- kohlen der hauptsächlichste Gesichtspunkt war. Da die geförderte Steinkohle weder sehr rein, noch für die Koksfabrikation besonders geeignet war, so erklärt es sich, dass in keinem anderen Lande verhältnis- mässig so viel für die Verbesserung der Aufbereitung und Verkokung der Steinkohlen geschehen ist wie in Belgien. Die Gewinnung der Nebenerzeugnisse der Steinkohlen beim Verkoken, die Knab in Paris zuerst angegeben hatte, wurde in den liegenden Koksöfen von den belgischen Ingenieuren Semet und Solvay in zweckmässiger Weise durchgeführt. Frommont in Brüssel baute Koksöfen mit Wärme- speicher zur Verkokung magerer Kohlen (D. R. P. Nr. 54156 vom 11. Nov. 1889). Verbesserte Ladevorrichtungen wurden Alexandre und E. Coppee in Haine, St. Paul, 1890 patentiert.
Für den Hochofenbetrieb in den siebziger Jahren war die wachsende Bedeutung des Bessemerverfahrens von grossem Einfluss. Belgien selbst besass hierfür keine geeigneten Erze. Diese mussten aus Cumberland in England und aus Spanien bezogen werden. Die Gesellschaft John Cockerill zu Seraing, die im Geiste ihres genialen Gründers stets bereit war, für den Fortschritt und für Verbesserungen in der Eisenindustrie einzutreten und Opfer zu bringen, sicherte sich bei Zeiten den Bezug von Bilbao- und Algier-Erzen. Mit diesen erzielte man ein Bessemerroheisen von 2,25 Prozent Silicium und 3,75 Prozent Mangan.
In der Hauptsache dienten aber die Hochöfen dem Puddelbetrieb. Neben dem gewöhnlichen Puddelroheisen stellte man seit 1873 ein manganreiches Roheisen zur Verbesserung der Qualität und zur Er- zielung des beliebten Feinkorneisens, das besonders für Draht, Fein- bleche, Achsen, Bandagen u. s. w. verwendet wurde, her. Solches manganhaltige Roheisen wurde damals in der Umgegend von Lüttich zu Ougree, Grevignee, Dolhain und Esperance aus Luxemburger Minetteerzen unter Zusatz von einem Drittel Nassauer manganhaltiger Eisenerze erblasen, und man brachte es bis zu 15 Prozent Mangan- gehalt.
Belgien.
Auf der erprobten Güte des gepuddelten Eisens beruhte der groſse auswärtige Handel Belgiens. Deshalb waren die Industriellen wie die Arbeiter wenig geneigt, von dem bewährten Verfahren ab- zugehen, und es wurde beibehalten, obgleich die benachbarten Erz- schätze von Luxemburg und Lothringen seit 1880 geradezu zum Thomasprozeſs aufzufordern schienen.
Zum Verständnis der Entwickelung der belgischen Eisenindustrie muſs im Auge behalten werden, daſs die beste Verwertung der Stein- kohlen der hauptsächlichste Gesichtspunkt war. Da die geförderte Steinkohle weder sehr rein, noch für die Koksfabrikation besonders geeignet war, so erklärt es sich, daſs in keinem anderen Lande verhältnis- mäſsig so viel für die Verbesserung der Aufbereitung und Verkokung der Steinkohlen geschehen ist wie in Belgien. Die Gewinnung der Nebenerzeugnisse der Steinkohlen beim Verkoken, die Knab in Paris zuerst angegeben hatte, wurde in den liegenden Koksöfen von den belgischen Ingenieuren Semet und Solvay in zweckmäſsiger Weise durchgeführt. Frommont in Brüssel baute Koksöfen mit Wärme- speicher zur Verkokung magerer Kohlen (D. R. P. Nr. 54156 vom 11. Nov. 1889). Verbesserte Ladevorrichtungen wurden Alexandre und E. Coppée in Haïne, St. Paul, 1890 patentiert.
Für den Hochofenbetrieb in den siebziger Jahren war die wachsende Bedeutung des Bessemerverfahrens von groſsem Einfluſs. Belgien selbst besaſs hierfür keine geeigneten Erze. Diese muſsten aus Cumberland in England und aus Spanien bezogen werden. Die Gesellschaft John Cockerill zu Seraing, die im Geiste ihres genialen Gründers stets bereit war, für den Fortschritt und für Verbesserungen in der Eisenindustrie einzutreten und Opfer zu bringen, sicherte sich bei Zeiten den Bezug von Bilbao- und Algier-Erzen. Mit diesen erzielte man ein Bessemerroheisen von 2,25 Prozent Silicium und 3,75 Prozent Mangan.
In der Hauptsache dienten aber die Hochöfen dem Puddelbetrieb. Neben dem gewöhnlichen Puddelroheisen stellte man seit 1873 ein manganreiches Roheisen zur Verbesserung der Qualität und zur Er- zielung des beliebten Feinkorneisens, das besonders für Draht, Fein- bleche, Achsen, Bandagen u. s. w. verwendet wurde, her. Solches manganhaltige Roheisen wurde damals in der Umgegend von Lüttich zu Ougrée, Grevignée, Dolhain und Espérance aus Luxemburger Minetteerzen unter Zusatz von einem Drittel Nassauer manganhaltiger Eisenerze erblasen, und man brachte es bis zu 15 Prozent Mangan- gehalt.
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Belgien.
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groſse auswärtige Handel Belgiens. Deshalb waren die Industriellen
wie die Arbeiter wenig geneigt, von dem bewährten Verfahren ab-
zugehen, und es wurde beibehalten, obgleich die benachbarten Erz-
schätze von Luxemburg und Lothringen seit 1880 geradezu zum
Thomasprozeſs aufzufordern schienen.
Zum Verständnis der Entwickelung der belgischen Eisenindustrie
muſs im Auge behalten werden, daſs die beste Verwertung der Stein-
kohlen der hauptsächlichste Gesichtspunkt war. Da die geförderte
Steinkohle weder sehr rein, noch für die Koksfabrikation besonders
geeignet war, so erklärt es sich, daſs in keinem anderen Lande verhältnis-
mäſsig so viel für die Verbesserung der Aufbereitung und Verkokung
der Steinkohlen geschehen ist wie in Belgien. Die Gewinnung der
Nebenerzeugnisse der Steinkohlen beim Verkoken, die Knab in Paris
zuerst angegeben hatte, wurde in den liegenden Koksöfen von den
belgischen Ingenieuren Semet und Solvay in zweckmäſsiger Weise
durchgeführt. Frommont in Brüssel baute Koksöfen mit Wärme-
speicher zur Verkokung magerer Kohlen (D. R. P. Nr. 54156 vom
11. Nov. 1889). Verbesserte Ladevorrichtungen wurden Alexandre
und E. Coppée in Haïne, St. Paul, 1890 patentiert.
Für den Hochofenbetrieb in den siebziger Jahren war die
wachsende Bedeutung des Bessemerverfahrens von groſsem Einfluſs.
Belgien selbst besaſs hierfür keine geeigneten Erze. Diese muſsten
aus Cumberland in England und aus Spanien bezogen werden. Die
Gesellschaft John Cockerill zu Seraing, die im Geiste ihres genialen
Gründers stets bereit war, für den Fortschritt und für Verbesserungen
in der Eisenindustrie einzutreten und Opfer zu bringen, sicherte sich
bei Zeiten den Bezug von Bilbao- und Algier-Erzen. Mit diesen
erzielte man ein Bessemerroheisen von 2,25 Prozent Silicium und
3,75 Prozent Mangan.
In der Hauptsache dienten aber die Hochöfen dem Puddelbetrieb.
Neben dem gewöhnlichen Puddelroheisen stellte man seit 1873 ein
manganreiches Roheisen zur Verbesserung der Qualität und zur Er-
zielung des beliebten Feinkorneisens, das besonders für Draht, Fein-
bleche, Achsen, Bandagen u. s. w. verwendet wurde, her. Solches
manganhaltige Roheisen wurde damals in der Umgegend von Lüttich
zu Ougrée, Grevignée, Dolhain und Espérance aus Luxemburger
Minetteerzen unter Zusatz von einem Drittel Nassauer manganhaltiger
Eisenerze erblasen, und man brachte es bis zu 15 Prozent Mangan-
gehalt.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 1118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/1134>, abgerufen am 23.11.2024.
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