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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses.
Metallurgen beteiligt hatten, waren hieran gescheitert. Die Hoffnung,
auf diesem Wege zu dem ersehnten Ziele zu gelangen, war infolge-
dessen sehr gesunken.

Deshalb war es nicht sehr zu verwundern, dass, als im Herbst
1878 bei dem Meeting, welches das Iron and Steel Institute gelegentlich
der Weltausstellung in Paris abhielt, ein junger Mann von 28 Jahren,
zartem Körperbau, unscheinbarem Aussehen, der eine praktische
Thätigkeit in der Eisenindustrie nicht aufzuweisen hatte, mit der Be-
hauptung auftrat, es sei ihm gelungen, die Frage der Entphosphorung
durch die Herstellung eines basischen Futters im Konverter zu lösen,
dies nur geringe Beachtung fand und man den von ihm angemeldeten
Vortrag wegen vorgerückter Zeit von der Tagesordnung absetzte.
Dieser junge Mann war Sidney Gilchrist Thomas, und worüber er
berichten wollte und was anzuhören die Versammlung hervorragender
Eisenindustrieller verschmähte, war die grosse Erfindung, die bald
darauf unter dem Namen des Thomasverfahrens die grösste
Sensation erregte und einen Triumphzug durch alle Industrieländer
hielt, so rasch und erfolgreich, wie wohl kaum jemals eine andere
technische Erfindung.

Es lag ihr durchaus keine neue erfinderische Idee zu Grunde,
wie z. B. dem Bessemerprozess, sie stellt sich vielmehr nur dar wie
die erstaunlich einfache Lösung einer allseitig gestellten Frage --
nicht unähnlich dem Ei des Kolumbus. Dass diese Lösung aber
eminent praktisch und dabei wohl durchdacht und durchprobiert war,
darin liegt das unsterbliche Verdienst des genialen Erfinders, der
dadurch ein Wohlthäter der Menschheit geworden ist. Leider hat er
nur die Anfänge des grossartigen Erfolges seiner Erfindung erlebt,
indem er dem Leiden, dessen Keime schon bei seinem ersten öffent-
lichen Auftreten bemerkbar waren, nach wenig Jahren, in seinem
35. Lebensjahr, am 1. Februar 1885 zu Paris erlag.

Sidney G. Thomas, geboren 1850 zu Battersea, London, studierte
Hüttenkunde auf der königlichen Bergschule (Royal school of mines),
wo er John Percys Vorlesungen über Eisenhüttenkunde hörte. Hier
fand er wohl die Anregung für sein weiteres Streben. Nachdem er
ein gutes Examen abgelegt hatte, richtete er sich in London für seine
Studien ein kleines metallurgisches Laboratorium ein. Dass er der
Frage der Entphosphorung seine besondere Aufmerksamkeit zuwendete,
war fast selbstverständlich. Er schlug dabei den richtigen Weg ein,
indem er die Herstellung eines haltbaren, basischen Konverterfutters
erstrebte. Die ersten Versuche hierfür stellte er, mit allerdings sehr

Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses.
Metallurgen beteiligt hatten, waren hieran gescheitert. Die Hoffnung,
auf diesem Wege zu dem ersehnten Ziele zu gelangen, war infolge-
dessen sehr gesunken.

Deshalb war es nicht sehr zu verwundern, daſs, als im Herbst
1878 bei dem Meeting, welches das Iron and Steel Institute gelegentlich
der Weltausstellung in Paris abhielt, ein junger Mann von 28 Jahren,
zartem Körperbau, unscheinbarem Aussehen, der eine praktische
Thätigkeit in der Eisenindustrie nicht aufzuweisen hatte, mit der Be-
hauptung auftrat, es sei ihm gelungen, die Frage der Entphosphorung
durch die Herstellung eines basischen Futters im Konverter zu lösen,
dies nur geringe Beachtung fand und man den von ihm angemeldeten
Vortrag wegen vorgerückter Zeit von der Tagesordnung absetzte.
Dieser junge Mann war Sidney Gilchrist Thomas, und worüber er
berichten wollte und was anzuhören die Versammlung hervorragender
Eisenindustrieller verschmähte, war die groſse Erfindung, die bald
darauf unter dem Namen des Thomasverfahrens die gröſste
Sensation erregte und einen Triumphzug durch alle Industrieländer
hielt, so rasch und erfolgreich, wie wohl kaum jemals eine andere
technische Erfindung.

Es lag ihr durchaus keine neue erfinderische Idee zu Grunde,
wie z. B. dem Bessemerprozeſs, sie stellt sich vielmehr nur dar wie
die erstaunlich einfache Lösung einer allseitig gestellten Frage —
nicht unähnlich dem Ei des Kolumbus. Daſs diese Lösung aber
eminent praktisch und dabei wohl durchdacht und durchprobiert war,
darin liegt das unsterbliche Verdienst des genialen Erfinders, der
dadurch ein Wohlthäter der Menschheit geworden ist. Leider hat er
nur die Anfänge des groſsartigen Erfolges seiner Erfindung erlebt,
indem er dem Leiden, dessen Keime schon bei seinem ersten öffent-
lichen Auftreten bemerkbar waren, nach wenig Jahren, in seinem
35. Lebensjahr, am 1. Februar 1885 zu Paris erlag.

Sidney G. Thomas, geboren 1850 zu Battersea, London, studierte
Hüttenkunde auf der königlichen Bergschule (Royal school of mines),
wo er John Percys Vorlesungen über Eisenhüttenkunde hörte. Hier
fand er wohl die Anregung für sein weiteres Streben. Nachdem er
ein gutes Examen abgelegt hatte, richtete er sich in London für seine
Studien ein kleines metallurgisches Laboratorium ein. Daſs er der
Frage der Entphosphorung seine besondere Aufmerksamkeit zuwendete,
war fast selbstverständlich. Er schlug dabei den richtigen Weg ein,
indem er die Herstellung eines haltbaren, basischen Konverterfutters
erstrebte. Die ersten Versuche hierfür stellte er, mit allerdings sehr

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[635/0651] Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses. Metallurgen beteiligt hatten, waren hieran gescheitert. Die Hoffnung, auf diesem Wege zu dem ersehnten Ziele zu gelangen, war infolge- dessen sehr gesunken. Deshalb war es nicht sehr zu verwundern, daſs, als im Herbst 1878 bei dem Meeting, welches das Iron and Steel Institute gelegentlich der Weltausstellung in Paris abhielt, ein junger Mann von 28 Jahren, zartem Körperbau, unscheinbarem Aussehen, der eine praktische Thätigkeit in der Eisenindustrie nicht aufzuweisen hatte, mit der Be- hauptung auftrat, es sei ihm gelungen, die Frage der Entphosphorung durch die Herstellung eines basischen Futters im Konverter zu lösen, dies nur geringe Beachtung fand und man den von ihm angemeldeten Vortrag wegen vorgerückter Zeit von der Tagesordnung absetzte. Dieser junge Mann war Sidney Gilchrist Thomas, und worüber er berichten wollte und was anzuhören die Versammlung hervorragender Eisenindustrieller verschmähte, war die groſse Erfindung, die bald darauf unter dem Namen des Thomasverfahrens die gröſste Sensation erregte und einen Triumphzug durch alle Industrieländer hielt, so rasch und erfolgreich, wie wohl kaum jemals eine andere technische Erfindung. Es lag ihr durchaus keine neue erfinderische Idee zu Grunde, wie z. B. dem Bessemerprozeſs, sie stellt sich vielmehr nur dar wie die erstaunlich einfache Lösung einer allseitig gestellten Frage — nicht unähnlich dem Ei des Kolumbus. Daſs diese Lösung aber eminent praktisch und dabei wohl durchdacht und durchprobiert war, darin liegt das unsterbliche Verdienst des genialen Erfinders, der dadurch ein Wohlthäter der Menschheit geworden ist. Leider hat er nur die Anfänge des groſsartigen Erfolges seiner Erfindung erlebt, indem er dem Leiden, dessen Keime schon bei seinem ersten öffent- lichen Auftreten bemerkbar waren, nach wenig Jahren, in seinem 35. Lebensjahr, am 1. Februar 1885 zu Paris erlag. Sidney G. Thomas, geboren 1850 zu Battersea, London, studierte Hüttenkunde auf der königlichen Bergschule (Royal school of mines), wo er John Percys Vorlesungen über Eisenhüttenkunde hörte. Hier fand er wohl die Anregung für sein weiteres Streben. Nachdem er ein gutes Examen abgelegt hatte, richtete er sich in London für seine Studien ein kleines metallurgisches Laboratorium ein. Daſs er der Frage der Entphosphorung seine besondere Aufmerksamkeit zuwendete, war fast selbstverständlich. Er schlug dabei den richtigen Weg ein, indem er die Herstellung eines haltbaren, basischen Konverterfutters erstrebte. Die ersten Versuche hierfür stellte er, mit allerdings sehr

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/651>, abgerufen am 22.11.2024.