Fortschritte der Herdflussstahlbereitung seit 1870.
von saurer Schlacke bei sehr hoher Temperatur mit siliciumreichem Roheisen und Ferromangan oder Spiegeleisen rückkohlte 1).
In den Vereinigten Staaten führte man in dem Martinofen von Lilianberg zuerst den Schmelzbetrieb mit Wassergas ein. Der- selbe kam bereits im Mai 1886 auch in Witkowitz in Anwendung und zwar mit sehr gutem Erfolge. Ein Ofen mit Wassergasbetrieb produzierte daselbst 20 Tonnen Stahl in 24 Stunden und ver- brauchte dabei 8 cbm Gas pro Minute. Die Luft wurde auf 1200 bis 1400° C. erhitzt. Luft und Gas traten unter 110 mm Wasserdruck ein. Die Temperatur im Ofen erreichte fast Platinschmelzhitze. Auf 100 kg Stahl wurden 60 cbm Wassergas und 69 kg Kohlen verbraucht. 1 cbm Mischgas kostete nur 1 Pfennig. Bei gleicher Leistung ver- brauchte der Wassergasofen nur 48,8 Prozent der Wärmemenge der gewöhnlichen Öfen. Die Arbeitsleistung stellte sich 50 Prozent günstiger.
Ein anderer verbesserter Martinofen war von Radcliffe in England konstruiert worden. Bei diesem stand der Gasgenerator dicht bei dem Herd, die Wärmespeicher darüber; er hatte ferner besondere Luftheizkammern für den Generator, die unmittelbar über dem Herde lagen. Infolgedessen war das Gewölbe ganz flach, was die freie Flammenentfaltung beeinträchtigte. Der ganze Ofen war aus eisernen Platten auf eisernen Säulen erbaut; dadurch war er sehr kompendiös und leicht zugänglich. Drei dieser Öfen arbeiteten mit gutem Erfolge im Stahlwerk des Arsenals zu Woolwich.
Bei dem basischen Schrottverfahren setzte man im allgemeinen auf 25 Prozent Roheisen 75 Prozent Schrott, bei dem Erzverfahren auf 60 Prozent Roheisen 20 Prozent Schrott und 20 Prozent Erz. Es bedurfte hierbei keines so phosphorreichen Roheisens wie bei dem Thomasprozess, und wählte man meistens Sorten von weniger als 1,5 Prozent Phosphorgehalt.
Bei keinem Verfahren liess sich ein so gleichartiges, vorzüglich weiches Produkt erzeugen, als bei dem basischen Martinprozess, wes- halb es sich besonders für Qualität empfahl, während das Thomas- verfahren für Massenproduktion den Vorzug hatte. Wie weit übrigens die Beschickungsverhältnisse je nach den Materialien und der Ver- wendung des Produktes bei dem Martinprozess verschieden waren, zeigt folgende Zusammenstellung aus dem Jahre 1886:
1) Pat. der Soc. des Acieries de Longwy, D. R. P. Nr. 33316.
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Fortschritte der Herdfluſsstahlbereitung seit 1870.
von saurer Schlacke bei sehr hoher Temperatur mit siliciumreichem Roheisen und Ferromangan oder Spiegeleisen rückkohlte 1).
In den Vereinigten Staaten führte man in dem Martinofen von Lilianberg zuerst den Schmelzbetrieb mit Wassergas ein. Der- selbe kam bereits im Mai 1886 auch in Witkowitz in Anwendung und zwar mit sehr gutem Erfolge. Ein Ofen mit Wassergasbetrieb produzierte daselbst 20 Tonnen Stahl in 24 Stunden und ver- brauchte dabei 8 cbm Gas pro Minute. Die Luft wurde auf 1200 bis 1400° C. erhitzt. Luft und Gas traten unter 110 mm Wasserdruck ein. Die Temperatur im Ofen erreichte fast Platinschmelzhitze. Auf 100 kg Stahl wurden 60 cbm Wassergas und 69 kg Kohlen verbraucht. 1 cbm Mischgas kostete nur 1 Pfennig. Bei gleicher Leistung ver- brauchte der Wassergasofen nur 48,8 Prozent der Wärmemenge der gewöhnlichen Öfen. Die Arbeitsleistung stellte sich 50 Prozent günstiger.
Ein anderer verbesserter Martinofen war von Radcliffe in England konstruiert worden. Bei diesem stand der Gasgenerator dicht bei dem Herd, die Wärmespeicher darüber; er hatte ferner besondere Luftheizkammern für den Generator, die unmittelbar über dem Herde lagen. Infolgedessen war das Gewölbe ganz flach, was die freie Flammenentfaltung beeinträchtigte. Der ganze Ofen war aus eisernen Platten auf eisernen Säulen erbaut; dadurch war er sehr kompendiös und leicht zugänglich. Drei dieser Öfen arbeiteten mit gutem Erfolge im Stahlwerk des Arsenals zu Woolwich.
Bei dem basischen Schrottverfahren setzte man im allgemeinen auf 25 Prozent Roheisen 75 Prozent Schrott, bei dem Erzverfahren auf 60 Prozent Roheisen 20 Prozent Schrott und 20 Prozent Erz. Es bedurfte hierbei keines so phosphorreichen Roheisens wie bei dem Thomasprozeſs, und wählte man meistens Sorten von weniger als 1,5 Prozent Phosphorgehalt.
Bei keinem Verfahren lieſs sich ein so gleichartiges, vorzüglich weiches Produkt erzeugen, als bei dem basischen Martinprozeſs, wes- halb es sich besonders für Qualität empfahl, während das Thomas- verfahren für Massenproduktion den Vorzug hatte. Wie weit übrigens die Beschickungsverhältnisse je nach den Materialien und der Ver- wendung des Produktes bei dem Martinprozeſs verschieden waren, zeigt folgende Zusammenstellung aus dem Jahre 1886:
1) Pat. der Soc. des Aciéries de Longwy, D. R. P. Nr. 33316.
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Fortschritte der Herdfluſsstahlbereitung seit 1870.
von saurer Schlacke bei sehr hoher Temperatur mit siliciumreichem
Roheisen und Ferromangan oder Spiegeleisen rückkohlte 1).
In den Vereinigten Staaten führte man in dem Martinofen von
Lilianberg zuerst den Schmelzbetrieb mit Wassergas ein. Der-
selbe kam bereits im Mai 1886 auch in Witkowitz in Anwendung
und zwar mit sehr gutem Erfolge. Ein Ofen mit Wassergasbetrieb
produzierte daselbst 20 Tonnen Stahl in 24 Stunden und ver-
brauchte dabei 8 cbm Gas pro Minute. Die Luft wurde auf 1200 bis
1400° C. erhitzt. Luft und Gas traten unter 110 mm Wasserdruck
ein. Die Temperatur im Ofen erreichte fast Platinschmelzhitze. Auf
100 kg Stahl wurden 60 cbm Wassergas und 69 kg Kohlen verbraucht.
1 cbm Mischgas kostete nur 1 Pfennig. Bei gleicher Leistung ver-
brauchte der Wassergasofen nur 48,8 Prozent der Wärmemenge der
gewöhnlichen Öfen. Die Arbeitsleistung stellte sich 50 Prozent
günstiger.
Ein anderer verbesserter Martinofen war von Radcliffe in
England konstruiert worden. Bei diesem stand der Gasgenerator
dicht bei dem Herd, die Wärmespeicher darüber; er hatte ferner
besondere Luftheizkammern für den Generator, die unmittelbar über
dem Herde lagen. Infolgedessen war das Gewölbe ganz flach, was
die freie Flammenentfaltung beeinträchtigte. Der ganze Ofen war aus
eisernen Platten auf eisernen Säulen erbaut; dadurch war er sehr
kompendiös und leicht zugänglich. Drei dieser Öfen arbeiteten mit
gutem Erfolge im Stahlwerk des Arsenals zu Woolwich.
Bei dem basischen Schrottverfahren setzte man im allgemeinen
auf 25 Prozent Roheisen 75 Prozent Schrott, bei dem Erzverfahren
auf 60 Prozent Roheisen 20 Prozent Schrott und 20 Prozent Erz. Es
bedurfte hierbei keines so phosphorreichen Roheisens wie bei dem
Thomasprozeſs, und wählte man meistens Sorten von weniger als
1,5 Prozent Phosphorgehalt.
Bei keinem Verfahren lieſs sich ein so gleichartiges, vorzüglich
weiches Produkt erzeugen, als bei dem basischen Martinprozeſs, wes-
halb es sich besonders für Qualität empfahl, während das Thomas-
verfahren für Massenproduktion den Vorzug hatte. Wie weit übrigens
die Beschickungsverhältnisse je nach den Materialien und der Ver-
wendung des Produktes bei dem Martinprozeſs verschieden waren,
zeigt folgende Zusammenstellung aus dem Jahre 1886:
1) Pat. der Soc. des Aciéries de Longwy, D. R. P. Nr. 33316.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/723>, abgerufen am 25.11.2024.
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