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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Berichte über den Mikado.
sollen die meisten Bücher in Miako gedruckt werden, dort befindet
sich auch die mit guten Instrumenten ausgestattete Sternwarte,
deren Astronomen den Meridian der Hauptstadt mit grosser Genauig-
keit berechnet haben 107). -- Man sagt, dass am Hofe von Miako
allein sich die alten japanischen Sitten in ihrer Reinheit und Ein-
fachheit erhalten; dort werden viele Ceremonieen, Gewohnheiten
und Formen aus früher Zeit bewahrt, welche heute dem gesunden
Menschenverstande lächerlich erscheinen, aber für die Japaner,
welche grosse Ehrfurcht und Anhänglichkeit an die Traditionen
ihrer Vergangenheit haben, gewiss von Werth und Bedeutung sind.
So soll der Mikado ausserhalb seines Palastes den Erdboden nie-
mals mit den Füssen berühren, soll niemals dasselbe Kleidungsstück
zweimal anlegen, noch bei seinen Malzeiten sich zweimal desselben
Geschirres bedienen dürfen; deshalb nimmt man für seine Küche
und seinen Tisch jetzt nur grobe Töpferwaare, denn alles von ihm
benutzte Geschirr muss gleich nach dem Gebrauche zerbrochen
werden; -- seine Person ist so heilig, dass die Berührung von ihm
benutzter Sachen jedem anderen Sterblichen Krankheit und Tod
bringen würde; deshalb verbrennt man auch seine Kleider. -- Der
Mikado soll eigentlich neun mal neun, also 81 rechtmässige Frauen
haben -- dies hält man für die vollkommenste Zahl, -- er heirathet
gewöhnlich aber nur neun; ausserdem haben drei Frauen be-
stimmte Functionen bei seiner persönlichen Aufwartung, und auch
diese werden zu seinen Gemalinnen gerechnet. Von diesen zwölf
erhebt er eine zur Kaiserin 108). Die Frauen dürfen sich den
Gemächern ihres Herrn nur mit gelöstem Haupthaar und baarfuss
nahen; sie haben die Obliegenheit, ihn zu bedienen und zu kleiden.
Da es gegen die Heiligkeit seiner Person ist, sich Haare, Bart und
Nägel schneiden zu lassen, so werden diese Operationen gleichsam
verstohlener Weise an ihm vorgenommen, während er schläft oder

107) Nämlich 135° 40' 00" östlich von Greenwich. S. von Siebold Nippon Bd. I.
108) Gewöhnlich wurde die Mutter des Thronfolgers zur Kaiserin erhoben. Die
Frauen scheinen durch die ganze japanische Geschichte grossen Einfluss am Hofe
des Mikado, und in alten Zeiten auch auf die politischen Angelegenheiten gehabt
zu haben. Unter dreizehn Mikado's, die von 642 bis 769 auf dem Throne sassen,
waren sieben weibliche. Dies war ungefähr die Periode, in welcher die Erbkaiser
zuerst ihre Macht an die Kuanbak's verloren. -- Von 769 bis 1630 scheint kein
weiblicher Mikado regiert zu haben, aber noch im vorigen Jahrhundert (1763--1770)
bekleidete eine Frau diese Würde.

Berichte über den Mikado.
sollen die meisten Bücher in Miako gedruckt werden, dort befindet
sich auch die mit guten Instrumenten ausgestattete Sternwarte,
deren Astronomen den Meridian der Hauptstadt mit grosser Genauig-
keit berechnet haben 107). — Man sagt, dass am Hofe von Miako
allein sich die alten japanischen Sitten in ihrer Reinheit und Ein-
fachheit erhalten; dort werden viele Ceremonieen, Gewohnheiten
und Formen aus früher Zeit bewahrt, welche heute dem gesunden
Menschenverstande lächerlich erscheinen, aber für die Japaner,
welche grosse Ehrfurcht und Anhänglichkeit an die Traditionen
ihrer Vergangenheit haben, gewiss von Werth und Bedeutung sind.
So soll der Mikado ausserhalb seines Palastes den Erdboden nie-
mals mit den Füssen berühren, soll niemals dasselbe Kleidungsstück
zweimal anlegen, noch bei seinen Malzeiten sich zweimal desselben
Geschirres bedienen dürfen; deshalb nimmt man für seine Küche
und seinen Tisch jetzt nur grobe Töpferwaare, denn alles von ihm
benutzte Geschirr muss gleich nach dem Gebrauche zerbrochen
werden; — seine Person ist so heilig, dass die Berührung von ihm
benutzter Sachen jedem anderen Sterblichen Krankheit und Tod
bringen würde; deshalb verbrennt man auch seine Kleider. — Der
Mikado soll eigentlich neun mal neun, also 81 rechtmässige Frauen
haben — dies hält man für die vollkommenste Zahl, — er heirathet
gewöhnlich aber nur neun; ausserdem haben drei Frauen be-
stimmte Functionen bei seiner persönlichen Aufwartung, und auch
diese werden zu seinen Gemalinnen gerechnet. Von diesen zwölf
erhebt er eine zur Kaiserin 108). Die Frauen dürfen sich den
Gemächern ihres Herrn nur mit gelöstem Haupthaar und baarfuss
nahen; sie haben die Obliegenheit, ihn zu bedienen und zu kleiden.
Da es gegen die Heiligkeit seiner Person ist, sich Haare, Bart und
Nägel schneiden zu lassen, so werden diese Operationen gleichsam
verstohlener Weise an ihm vorgenommen, während er schläft oder

107) Nämlich 135° 40′ 00″ östlich von Greenwich. S. von Siebold Nippon Bd. I.
108) Gewöhnlich wurde die Mutter des Thronfolgers zur Kaiserin erhoben. Die
Frauen scheinen durch die ganze japanische Geschichte grossen Einfluss am Hofe
des Mikado, und in alten Zeiten auch auf die politischen Angelegenheiten gehabt
zu haben. Unter dreizehn Mikado’s, die von 642 bis 769 auf dem Throne sassen,
waren sieben weibliche. Dies war ungefähr die Periode, in welcher die Erbkaiser
zuerst ihre Macht an die Kuanbak’s verloren. — Von 769 bis 1630 scheint kein
weiblicher Mikado regiert zu haben, aber noch im vorigen Jahrhundert (1763—1770)
bekleidete eine Frau diese Würde.
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[109/0139] Berichte über den Mikado. sollen die meisten Bücher in Miako gedruckt werden, dort befindet sich auch die mit guten Instrumenten ausgestattete Sternwarte, deren Astronomen den Meridian der Hauptstadt mit grosser Genauig- keit berechnet haben 107). — Man sagt, dass am Hofe von Miako allein sich die alten japanischen Sitten in ihrer Reinheit und Ein- fachheit erhalten; dort werden viele Ceremonieen, Gewohnheiten und Formen aus früher Zeit bewahrt, welche heute dem gesunden Menschenverstande lächerlich erscheinen, aber für die Japaner, welche grosse Ehrfurcht und Anhänglichkeit an die Traditionen ihrer Vergangenheit haben, gewiss von Werth und Bedeutung sind. So soll der Mikado ausserhalb seines Palastes den Erdboden nie- mals mit den Füssen berühren, soll niemals dasselbe Kleidungsstück zweimal anlegen, noch bei seinen Malzeiten sich zweimal desselben Geschirres bedienen dürfen; deshalb nimmt man für seine Küche und seinen Tisch jetzt nur grobe Töpferwaare, denn alles von ihm benutzte Geschirr muss gleich nach dem Gebrauche zerbrochen werden; — seine Person ist so heilig, dass die Berührung von ihm benutzter Sachen jedem anderen Sterblichen Krankheit und Tod bringen würde; deshalb verbrennt man auch seine Kleider. — Der Mikado soll eigentlich neun mal neun, also 81 rechtmässige Frauen haben — dies hält man für die vollkommenste Zahl, — er heirathet gewöhnlich aber nur neun; ausserdem haben drei Frauen be- stimmte Functionen bei seiner persönlichen Aufwartung, und auch diese werden zu seinen Gemalinnen gerechnet. Von diesen zwölf erhebt er eine zur Kaiserin 108). Die Frauen dürfen sich den Gemächern ihres Herrn nur mit gelöstem Haupthaar und baarfuss nahen; sie haben die Obliegenheit, ihn zu bedienen und zu kleiden. Da es gegen die Heiligkeit seiner Person ist, sich Haare, Bart und Nägel schneiden zu lassen, so werden diese Operationen gleichsam verstohlener Weise an ihm vorgenommen, während er schläft oder 107) Nämlich 135° 40′ 00″ östlich von Greenwich. S. von Siebold Nippon Bd. I. 108) Gewöhnlich wurde die Mutter des Thronfolgers zur Kaiserin erhoben. Die Frauen scheinen durch die ganze japanische Geschichte grossen Einfluss am Hofe des Mikado, und in alten Zeiten auch auf die politischen Angelegenheiten gehabt zu haben. Unter dreizehn Mikado’s, die von 642 bis 769 auf dem Throne sassen, waren sieben weibliche. Dies war ungefähr die Periode, in welcher die Erbkaiser zuerst ihre Macht an die Kuanbak’s verloren. — Von 769 bis 1630 scheint kein weiblicher Mikado regiert zu haben, aber noch im vorigen Jahrhundert (1763—1770) bekleidete eine Frau diese Würde.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/139>, abgerufen am 18.05.2024.