dieser aus Sägespähnen von Sandelholz und anderen wohlriechenden Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnlich etwa zehn Zoll lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen.
Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent- lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin -- es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver- kaufen, damit er nicht hungere bringen die Hinterbliebenen Speise- opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden, und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper, vorzüglich Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält sie in die Höhe, verbeugt und prosternirt sich mit dem flammenden Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. -- Häufig befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen, an deren unterem Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem Haupte, denen es bei ihrem Metier ganz wohl zu sein scheint. Die Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfältig gefaltet
I. Cultus der Chinesen.
dieser aus Sägespähnen von Sandelholz und anderen wohlriechenden Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnlich etwa zehn Zoll lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen.
Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent- lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin — es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver- kaufen, damit er nicht hungere bringen die Hinterbliebenen Speise- opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden, und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper, vorzüglich Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält sie in die Höhe, verbeugt und prosternirt sich mit dem flammenden Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. — Häufig befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen, an deren unterem Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem Haupte, denen es bei ihrem Métier ganz wohl zu sein scheint. Die Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfältig gefaltet
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0235"n="205"/><fwplace="top"type="header">I. Cultus der Chinesen.</fw><lb/>
dieser aus Sägespähnen von Sandelholz und anderen wohlriechenden<lb/>
Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnlich etwa zehn Zoll<lb/>
lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen<lb/>
dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr<lb/>
Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen.</p><lb/><p>Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent-<lb/>
lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem<lb/>
Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben<lb/>
wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und<lb/>
auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden<lb/>
Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin —<lb/>
es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche<lb/>
diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun<lb/>
Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver-<lb/>
kaufen, damit er nicht hungere bringen die Hinterbliebenen Speise-<lb/>
opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden,<lb/>
und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper,<lb/>
vorzüglich Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der<lb/>
lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche<lb/>
ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die<lb/>
Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem<lb/>
Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält<lb/>
sie in die Höhe, verbeugt und prosternirt sich mit dem flammenden<lb/>
Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie<lb/>
zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt<lb/>
er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte<lb/>
erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. — Häufig<lb/>
befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem<lb/>
Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen, an deren unterem<lb/>
Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und<lb/>
zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die<lb/>
Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien<lb/>
ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem<lb/>
Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und<lb/>
gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den<lb/>
Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem<lb/>
Haupte, denen es bei ihrem Métier ganz wohl zu sein scheint. Die<lb/>
Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte<lb/>
Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfältig gefaltet<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205/0235]
I. Cultus der Chinesen.
dieser aus Sägespähnen von Sandelholz und anderen wohlriechenden
Hölzern gefertigten Kerzchen; sie sind gewöhnlich etwa zehn Zoll
lang, von der Dicke einer starken Stricknadel, und haben einen
dünneren roth gefärbten Stiel, den man in den Sand steckt. Ihr
Geruch ist nur bei hinreichendem Luftzug zu ertragen.
Der Cultus der Chinesen ist allem Anschein nach im Wesent-
lichen ein Todtendienst. Sie glauben an ein Fortleben nach dem
Tode, und dass die Seelen im Jenseit dieselben Bedürfnisse haben
wie auf der Erde, dass sie essen und trinken, Geld brauchen und
auch belustigt sein wollen. Für das Alles haben die überlebenden
Verwandten zu sorgen, und sind auch sehr gewissenhaft darin —
es gilt als das grösste Unglück keine Kinder zu haben, welche
diesen Dienst versehen können. Damit der Abgeschiedene nun
Geld habe, werden Silberpapiere verbrannt, welche die Bonzen ver-
kaufen, damit er nicht hungere bringen die Hinterbliebenen Speise-
opfer, zuweilen ganze Gastmäler, die auf den Altar gesetzt werden,
und um ihn zu ergötzen, brennt man im Tempel Feuerwerkskörper,
vorzüglich Schwärmer ab, denn das ist die Hauptbelustigung der
lebenden Chinesen. Jeder opfert nach seinem Vermögen, der Reiche
ein ganz gebratenes Schwein, der Arme ein wenig Reis; die
Silberpapiere, von denen hundert einen Dollar kosten, aber dem
Todten hundert Dollar einbringen, zündet der Opfernde an, hält
sie in die Höhe, verbeugt und prosternirt sich mit dem flammenden
Bündel in der Hand unter Gebeten vor dem Altar, und wirft sie
zuletzt in das Aschengefäss. Die aufgetischte Malzeit aber packt
er, nachdem sich sein jenseitiger Freund hinreichend an dem Dufte
erlabt hat, ruhig wieder ein und schleppt sie nach Hause. — Häufig
befragen die Andächtigen auch das Orakel: in einem Becher auf dem
Altar stehen eine Menge flacher dünner Stäbchen, an deren unterem
Ende Schriftzeichen vermerkt sind. Man schüttelt den Becher und
zieht mehrere Loose, aus deren Gesammtheit sich der Fragende die
Antwort liest. Die Bonzen lassen sich von allen diesen Ceremonien
ansehnliche Gebühren zahlen, und profitiren namentlich an dem
Verkauf der Silberpapiere, der Glimmkerzen, des Feuerwerks und
gedruckter Gebetformeln. Sie sitzen an Tischen und Pulten in den
Seitenhallen, meist behäbige feiste Gestalten mit kahlgeschorenem
Haupte, denen es bei ihrem Métier ganz wohl zu sein scheint. Die
Tempelbesucher lassen sich häufig nach dem Opfer gedruckte
Formulare von ihnen unterzeichnen, welche sie sorgfältig gefaltet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/235>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.