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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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III. Mann über Bord.
Geistliche selbst Seemann sein, und diesem Berufe sein ganzes
Leben widmen.

An diesem Tage -- den neunzehnten -- stand die Sonne
unter 12° 25' n. Br. und 111° 2' ö. L. im Zenith der Arkona, so
dass deren Bewohner sich um Mittag als wahre Schlemihle auf dem
Verdeck bewegten. Der Wind blieb gut, ebenso die folgenden
Tage. Am 21. August wurde unter 16° 13' n. Br. und 115° 1' ö. L.
die Macclesfield-Bank passirt.

Am zweiundzwanzigsten Vormittags liefen die Schiffe unter22. August.
leichter Brise über die ruhige See, -- da ertönte gegen elf Uhr auf
der Arkona plötzlich der Ruf "Mann über Bord"; ein Matrose
trieb ruhig schwimmend im Kielwasser. Man hegte an Bord keine
Besorgniss, denn der Mann war als einer der besten Schwimmer
bekannt; die ausgeworfenen Rettungsbojen fielen dicht bei ihm
nieder, die Corvette wurde sogleich beigedreht und der Cutter zu
Wasser gebracht; noch vor ihm erreichte ein Boot des Frauen-
lob, der seitwärts hinter dem Flaggschiffe segelte und durch Signal
avertirt war, den Ort wo die Bojen schwammen -- aber der Mann
war verschwunden, nur sein Hut trieb auf dem Wasser. Die Boote
fuhren von dem Schooner gefolgt noch weit hinaus, aber alles
Suchen blieb fruchtlos. Da die See ganz ruhig war und kaum zehn
Minuten bis zur Ankunft des ersten Bootes bei den Bojen vergingen,
so ist anzunehmen, dass der Unglückliche von einem Haifische in
die Tiefe gerissen wurde. Einige Matrosen, die im Kreuztop standen,
sahen ihn dicht bei der einen Boje plötzlich verschwinden. -- Der
Grund seines Sturzes war das Reissen eines alten Taues, das er um
die Kette des zweiten Cutters befestigen sollte. Ein mit ihm arbei-
tender Camerad, der ihn als vorzüglichen Schwimmer kannte, rief
noch scherzend, er möge doch nach seinem Hut greifen den er im
Fallen verlor.

Es war der zweite Mann der Arkona, der seit ihrem Aus-
laufen von Danzig auf diese Weise umkam. Das erste Mal geschah
es südlich vom Cap, bei so hoher See dass man für das ausge-
setzte Rettungsboot fürchtete. Diesmal aber waren alle Umstände
so günstig dass Niemand an ein Unglück dachte, und der Verlust
wirkte um so niederschlagender. Wie tief ein solches Ereigniss in
das Leben der Mannschaft eingreift, weiss nur, wer es erlebt hat;
denn so zufällig auch eine Schiffsgesellschaft zusammen gewürfelt
sein mag, unter Menschen, die durch gemeinsame Interessen

III. Mann über Bord.
Geistliche selbst Seemann sein, und diesem Berufe sein ganzes
Leben widmen.

An diesem Tage — den neunzehnten — stand die Sonne
unter 12° 25′ n. Br. und 111° 2′ ö. L. im Zenith der Arkona, so
dass deren Bewohner sich um Mittag als wahre Schlemihle auf dem
Verdeck bewegten. Der Wind blieb gut, ebenso die folgenden
Tage. Am 21. August wurde unter 16° 13′ n. Br. und 115° 1′ ö. L.
die Macclesfield-Bank passirt.

Am zweiundzwanzigsten Vormittags liefen die Schiffe unter22. August.
leichter Brise über die ruhige See, — da ertönte gegen elf Uhr auf
der Arkona plötzlich der Ruf »Mann über Bord«; ein Matrose
trieb ruhig schwimmend im Kielwasser. Man hegte an Bord keine
Besorgniss, denn der Mann war als einer der besten Schwimmer
bekannt; die ausgeworfenen Rettungsbojen fielen dicht bei ihm
nieder, die Corvette wurde sogleich beigedreht und der Cutter zu
Wasser gebracht; noch vor ihm erreichte ein Boot des Frauen-
lob, der seitwärts hinter dem Flaggschiffe segelte und durch Signal
avertirt war, den Ort wo die Bojen schwammen — aber der Mann
war verschwunden, nur sein Hut trieb auf dem Wasser. Die Boote
fuhren von dem Schooner gefolgt noch weit hinaus, aber alles
Suchen blieb fruchtlos. Da die See ganz ruhig war und kaum zehn
Minuten bis zur Ankunft des ersten Bootes bei den Bojen vergingen,
so ist anzunehmen, dass der Unglückliche von einem Haifische in
die Tiefe gerissen wurde. Einige Matrosen, die im Kreuztop standen,
sahen ihn dicht bei der einen Boje plötzlich verschwinden. — Der
Grund seines Sturzes war das Reissen eines alten Taues, das er um
die Kette des zweiten Cutters befestigen sollte. Ein mit ihm arbei-
tender Camerad, der ihn als vorzüglichen Schwimmer kannte, rief
noch scherzend, er möge doch nach seinem Hut greifen den er im
Fallen verlor.

Es war der zweite Mann der Arkona, der seit ihrem Aus-
laufen von Danzig auf diese Weise umkam. Das erste Mal geschah
es südlich vom Cap, bei so hoher See dass man für das ausge-
setzte Rettungsboot fürchtete. Diesmal aber waren alle Umstände
so günstig dass Niemand an ein Unglück dachte, und der Verlust
wirkte um so niederschlagender. Wie tief ein solches Ereigniss in
das Leben der Mannschaft eingreift, weiss nur, wer es erlebt hat;
denn so zufällig auch eine Schiffsgesellschaft zusammen gewürfelt
sein mag, unter Menschen, die durch gemeinsame Interessen

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[247/0277] III. Mann über Bord. Geistliche selbst Seemann sein, und diesem Berufe sein ganzes Leben widmen. An diesem Tage — den neunzehnten — stand die Sonne unter 12° 25′ n. Br. und 111° 2′ ö. L. im Zenith der Arkona, so dass deren Bewohner sich um Mittag als wahre Schlemihle auf dem Verdeck bewegten. Der Wind blieb gut, ebenso die folgenden Tage. Am 21. August wurde unter 16° 13′ n. Br. und 115° 1′ ö. L. die Macclesfield-Bank passirt. Am zweiundzwanzigsten Vormittags liefen die Schiffe unter leichter Brise über die ruhige See, — da ertönte gegen elf Uhr auf der Arkona plötzlich der Ruf »Mann über Bord«; ein Matrose trieb ruhig schwimmend im Kielwasser. Man hegte an Bord keine Besorgniss, denn der Mann war als einer der besten Schwimmer bekannt; die ausgeworfenen Rettungsbojen fielen dicht bei ihm nieder, die Corvette wurde sogleich beigedreht und der Cutter zu Wasser gebracht; noch vor ihm erreichte ein Boot des Frauen- lob, der seitwärts hinter dem Flaggschiffe segelte und durch Signal avertirt war, den Ort wo die Bojen schwammen — aber der Mann war verschwunden, nur sein Hut trieb auf dem Wasser. Die Boote fuhren von dem Schooner gefolgt noch weit hinaus, aber alles Suchen blieb fruchtlos. Da die See ganz ruhig war und kaum zehn Minuten bis zur Ankunft des ersten Bootes bei den Bojen vergingen, so ist anzunehmen, dass der Unglückliche von einem Haifische in die Tiefe gerissen wurde. Einige Matrosen, die im Kreuztop standen, sahen ihn dicht bei der einen Boje plötzlich verschwinden. — Der Grund seines Sturzes war das Reissen eines alten Taues, das er um die Kette des zweiten Cutters befestigen sollte. Ein mit ihm arbei- tender Camerad, der ihn als vorzüglichen Schwimmer kannte, rief noch scherzend, er möge doch nach seinem Hut greifen den er im Fallen verlor. 22. August. Es war der zweite Mann der Arkona, der seit ihrem Aus- laufen von Danzig auf diese Weise umkam. Das erste Mal geschah es südlich vom Cap, bei so hoher See dass man für das ausge- setzte Rettungsboot fürchtete. Diesmal aber waren alle Umstände so günstig dass Niemand an ein Unglück dachte, und der Verlust wirkte um so niederschlagender. Wie tief ein solches Ereigniss in das Leben der Mannschaft eingreift, weiss nur, wer es erlebt hat; denn so zufällig auch eine Schiffsgesellschaft zusammen gewürfelt sein mag, unter Menschen, die durch gemeinsame Interessen

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/277>, abgerufen am 26.06.2024.