Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Gefährliche Lage. III.
unter ihr fort; das gute Schiff bäumte sich jedesmal mächtig empor
und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend,
ruhig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un-
bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das
ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen-
deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles Bewegliche durch
stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa-
giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes
Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut,
sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel-
fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl,
weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein
Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den
Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten-
fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen-
baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren
an; glücklich wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib
taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch,
darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüchsen,
und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum-
liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit; der
Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und
Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite
des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib-
licher Zustand.

Um neun Uhr ging der Wind nach Süd-Osten herum und
wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das
Barometer am niedrigsten, das Quecksilber war in anderthalb Stunden
um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der
indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war,
wieder zu seiner früheren Heftigkeit; alle Seeleute versicherten etwas
Aehnliches nie erlebt zu haben.

Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach
N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtung, in welcher er
kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser
Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick.
Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte
Capitän Sundewall die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft
zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen

Gefährliche Lage. III.
unter ihr fort; das gute Schiff bäumte sich jedesmal mächtig empor
und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend,
ruhig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un-
bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das
ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen-
deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles Bewegliche durch
stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa-
giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes
Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut,
sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel-
fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl,
weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein
Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den
Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten-
fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen-
baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren
an; glücklich wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib
taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch,
darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüchsen,
und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum-
liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit; der
Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und
Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite
des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib-
licher Zustand.

Um neun Uhr ging der Wind nach Süd-Osten herum und
wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das
Barometer am niedrigsten, das Quecksilber war in anderthalb Stunden
um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der
indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war,
wieder zu seiner früheren Heftigkeit; alle Seeleute versicherten etwas
Aehnliches nie erlebt zu haben.

Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach
N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtung, in welcher er
kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser
Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick.
Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte
Capitän Sundewall die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft
zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0282" n="252"/><fw place="top" type="header">Gefährliche Lage. III.</fw><lb/>
unter ihr fort; das gute Schiff bäumte sich jedesmal mächtig empor<lb/>
und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend,<lb/>
ruhig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un-<lb/>
bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das<lb/>
ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen-<lb/>
deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles Bewegliche durch<lb/>
stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa-<lb/>
giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes<lb/>
Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut,<lb/>
sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel-<lb/>
fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl,<lb/>
weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein<lb/>
Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den<lb/>
Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten-<lb/>
fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen-<lb/>
baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren<lb/>
an; glücklich wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib<lb/>
taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch,<lb/>
darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüchsen,<lb/>
und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum-<lb/>
liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit; der<lb/>
Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und<lb/>
Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite<lb/>
des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib-<lb/>
licher Zustand.</p><lb/>
          <p>Um neun Uhr ging der Wind nach Süd-Osten herum und<lb/>
wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das<lb/>
Barometer am niedrigsten, das Quecksilber war in anderthalb Stunden<lb/>
um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der<lb/>
indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war,<lb/>
wieder zu seiner früheren Heftigkeit; alle Seeleute versicherten etwas<lb/>
Aehnliches nie erlebt zu haben.</p><lb/>
          <p>Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach<lb/>
N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtung, in welcher er<lb/>
kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser<lb/>
Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick.<lb/>
Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte<lb/>
Capitän <persName ref="nognd">Sundewall</persName> die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft<lb/>
zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0282] Gefährliche Lage. III. unter ihr fort; das gute Schiff bäumte sich jedesmal mächtig empor und glitt dann, seinen äussersten Bord in das Wasser tauchend, ruhig in das Wogenthal hinab. Nur zweimal wälzte sich eine un- bändige See, den Galion umschlingend, vom Bugspriet her über das ganze Verdeck, und stürzte brausend in die Batterie, in das Zwischen- deck hinab. Dort waren die Geschütze und alles Bewegliche durch stärkere Taue gesichert worden; aber in den Kammern der Passa- giere sah es entsetzlich aus, denn diese hatten, nur an schönes Wetter gewöhnt und mit der Macht der Elemente nicht vertraut, sich wenig vorgesehen, und nun flog Alles was nicht niet- und nagel- fest war, in lustigem Tanze durcheinander. Weder Tisch noch Stuhl, weder Coje noch Hangematte boten einen sicheren Ruheplatz; ein Stück nach dem anderen machte sich von den Wänden und aus den Winkeln los, wohin sie gestaut waren: Hutschachteln, Gläser, Dinten- fässer, Spiegel und Kasten wurden lebendig, flogen in unberechen- baren Richtungen umher und nahmen die halsbrechendsten Posituren an; glücklich wem nicht eine schwere Schiffscommode auf den Leib taumelte. Am Fussboden wogte das Wasser mehrere Zoll hoch, darin schwammen Bücher, Bürsten, Stiefel und Cigarrenbüchsen, und wer nicht Acht gab zerschnitt sich die Füsse an den herum- liegenden Scherben. Dabei herrschte unten tiefe Dunkelheit; der Boden war glatt wie Eis und man musste sich mit Händen und Füssen festhalten, um nicht beim Ueberholen über die ganze Breite des Schiffes geschleudert zu werden. Es war ein unbeschreib- licher Zustand. Um neun Uhr ging der Wind nach Süd-Osten herum und wurde etwas schwächer; zwischen ein viertel und halb zehn stand das Barometer am niedrigsten, das Quecksilber war in anderthalb Stunden um einen Zoll gesunken. Bald darauf erhob sich der Wind, der indess durch O.S.O. und S.O. nach Süden herumgegangen war, wieder zu seiner früheren Heftigkeit; alle Seeleute versicherten etwas Aehnliches nie erlebt zu haben. Der Theorie der Cyclone gemäss hätte man den Cours nach N.O. beibehalten müssen, um so in der Richtung, in welcher er kam, wieder hinauszusegeln; aber auch hier lag das Land in grosser Nähe, und die Gefahr zu stranden wuchs mit jedem Augenblick. Da alle am Fockmast aufgebrachten Segel wegflogen, so schickte Capitän Sundewall die Mannschaft in die Wanten hinauf, um die Luft zu fangen, aber vergebens, das Schiff konnte nicht zum Abfallen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/282
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/282>, abgerufen am 01.06.2024.