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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Wirkungen des Christenthumes auf das japanische Volk.
eifrig gefördert und die Bonzen grausam verfolgt hatte, und die
Nichtausdehnung des Spruches auf die portugiesischen Kaufleute,
gegen welche doch ein wesentlicher Theil der Beschwerden gerichtet
war. Die gesteigerte Schnelligkeit, mit der sich das Christenthum
in den letzten Jahren verbreitet hatte, liess den Zeitpunct nicht mehr
fern erscheinen, wo sich die Mehrzahl der Landesbewohner dazu
bekennen würde, und die Bekehrten hingen mit unbedingter Er-
gebenheit, mit begeisterter Ehrfurcht an ihren Lehrern. Bisher
gewohnt sich selbst gering zu achten, von seinen Oberen nur mit
erhabener Strenge behandelt und in scheuer Entfernung gehalten
zu werden, lernte das Volk jetzt plötzlich seinen eigenen Werth
kennen. Denn das Christenthum lehrt, dass Hoch und Niedrig
gleichen Anspruch auf das Himmelreich haben, dass alle weltlichen
Güter nichtig, ja dem Menschen auf dem Wege zur Seligkeit nur
hinderlich sind. Die Missionare bethätigten diese Lehre durch den
eigenen Wandel und hoben die niederen Classen, in welchen die
lange unterdrückten Gefühle der verehrenden Liebe mit wunderbarer
Frische aufblühten, rasch zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde.
Die japanischen Machthaber hatten seit Jahrhunderten nur ein
Regiment der Furcht und des Schreckens geübt. Ein Fürst, ein
Edeler wurde als etwas unnahbares, als ein höheres Wesen an-
gesehen, unübersteigliche Schranken schieden das Volk von seinem
Herrn, dem es unbedingten Gehorsam und die tiefste Ehrfurcht
schuldete. Das waren die seit undenklichen Zeiten feststehenden
Grundlagen der politischen Verfassung von Japan; sie wurden
durch die Einführung des Christenthumes auf das tiefste erschüt-
tert. Zunächst schon musste die auffallende Anhänglichkeit der
Bekehrten an ihre Lehrer die Machthaber mit Unbehagen er-
füllen, dann aber bei näherer Kenntniss die Lehre selbst, bei deren
weiterem Umsichgreifen die alten Verhältnisse nicht fortbestehen
konnten. Nach ihren Begriffen wurde das Volk entsittlicht, denn
der Glauben an die göttliche Abstammung der Herrscher und Edelen
und an ihre Berechtigung auf den unbedingten Gehorsam des Volkes
war die Grundlage des japanischen Staatslebens und gewissermaassen
der japanischen Gesittung. Der Unterschied der Stände gilt dort als
etwas Innerliches, der Seele anhaftendes und die Anerkennung des
einfachen Satzes, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, musste
zerstörend auf den politischen Organismus wirken. Franz Xaver
selbst ist die Ehrfurcht des japanischen Volkes vor seinen Edelen

Wirkungen des Christenthumes auf das japanische Volk.
eifrig gefördert und die Bonzen grausam verfolgt hatte, und die
Nichtausdehnung des Spruches auf die portugiesischen Kaufleute,
gegen welche doch ein wesentlicher Theil der Beschwerden gerichtet
war. Die gesteigerte Schnelligkeit, mit der sich das Christenthum
in den letzten Jahren verbreitet hatte, liess den Zeitpunct nicht mehr
fern erscheinen, wo sich die Mehrzahl der Landesbewohner dazu
bekennen würde, und die Bekehrten hingen mit unbedingter Er-
gebenheit, mit begeisterter Ehrfurcht an ihren Lehrern. Bisher
gewohnt sich selbst gering zu achten, von seinen Oberen nur mit
erhabener Strenge behandelt und in scheuer Entfernung gehalten
zu werden, lernte das Volk jetzt plötzlich seinen eigenen Werth
kennen. Denn das Christenthum lehrt, dass Hoch und Niedrig
gleichen Anspruch auf das Himmelreich haben, dass alle weltlichen
Güter nichtig, ja dem Menschen auf dem Wege zur Seligkeit nur
hinderlich sind. Die Missionare bethätigten diese Lehre durch den
eigenen Wandel und hoben die niederen Classen, in welchen die
lange unterdrückten Gefühle der verehrenden Liebe mit wunderbarer
Frische aufblühten, rasch zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde.
Die japanischen Machthaber hatten seit Jahrhunderten nur ein
Regiment der Furcht und des Schreckens geübt. Ein Fürst, ein
Edeler wurde als etwas unnahbares, als ein höheres Wesen an-
gesehen, unübersteigliche Schranken schieden das Volk von seinem
Herrn, dem es unbedingten Gehorsam und die tiefste Ehrfurcht
schuldete. Das waren die seit undenklichen Zeiten feststehenden
Grundlagen der politischen Verfassung von Japan; sie wurden
durch die Einführung des Christenthumes auf das tiefste erschüt-
tert. Zunächst schon musste die auffallende Anhänglichkeit der
Bekehrten an ihre Lehrer die Machthaber mit Unbehagen er-
füllen, dann aber bei näherer Kenntniss die Lehre selbst, bei deren
weiterem Umsichgreifen die alten Verhältnisse nicht fortbestehen
konnten. Nach ihren Begriffen wurde das Volk entsittlicht, denn
der Glauben an die göttliche Abstammung der Herrscher und Edelen
und an ihre Berechtigung auf den unbedingten Gehorsam des Volkes
war die Grundlage des japanischen Staatslebens und gewissermaassen
der japanischen Gesittung. Der Unterschied der Stände gilt dort als
etwas Innerliches, der Seele anhaftendes und die Anerkennung des
einfachen Satzes, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, musste
zerstörend auf den politischen Organismus wirken. Franz Xaver
selbst ist die Ehrfurcht des japanischen Volkes vor seinen Edelen

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[63/0093] Wirkungen des Christenthumes auf das japanische Volk. eifrig gefördert und die Bonzen grausam verfolgt hatte, und die Nichtausdehnung des Spruches auf die portugiesischen Kaufleute, gegen welche doch ein wesentlicher Theil der Beschwerden gerichtet war. Die gesteigerte Schnelligkeit, mit der sich das Christenthum in den letzten Jahren verbreitet hatte, liess den Zeitpunct nicht mehr fern erscheinen, wo sich die Mehrzahl der Landesbewohner dazu bekennen würde, und die Bekehrten hingen mit unbedingter Er- gebenheit, mit begeisterter Ehrfurcht an ihren Lehrern. Bisher gewohnt sich selbst gering zu achten, von seinen Oberen nur mit erhabener Strenge behandelt und in scheuer Entfernung gehalten zu werden, lernte das Volk jetzt plötzlich seinen eigenen Werth kennen. Denn das Christenthum lehrt, dass Hoch und Niedrig gleichen Anspruch auf das Himmelreich haben, dass alle weltlichen Güter nichtig, ja dem Menschen auf dem Wege zur Seligkeit nur hinderlich sind. Die Missionare bethätigten diese Lehre durch den eigenen Wandel und hoben die niederen Classen, in welchen die lange unterdrückten Gefühle der verehrenden Liebe mit wunderbarer Frische aufblühten, rasch zum Bewusstsein ihrer Menschenwürde. Die japanischen Machthaber hatten seit Jahrhunderten nur ein Regiment der Furcht und des Schreckens geübt. Ein Fürst, ein Edeler wurde als etwas unnahbares, als ein höheres Wesen an- gesehen, unübersteigliche Schranken schieden das Volk von seinem Herrn, dem es unbedingten Gehorsam und die tiefste Ehrfurcht schuldete. Das waren die seit undenklichen Zeiten feststehenden Grundlagen der politischen Verfassung von Japan; sie wurden durch die Einführung des Christenthumes auf das tiefste erschüt- tert. Zunächst schon musste die auffallende Anhänglichkeit der Bekehrten an ihre Lehrer die Machthaber mit Unbehagen er- füllen, dann aber bei näherer Kenntniss die Lehre selbst, bei deren weiterem Umsichgreifen die alten Verhältnisse nicht fortbestehen konnten. Nach ihren Begriffen wurde das Volk entsittlicht, denn der Glauben an die göttliche Abstammung der Herrscher und Edelen und an ihre Berechtigung auf den unbedingten Gehorsam des Volkes war die Grundlage des japanischen Staatslebens und gewissermaassen der japanischen Gesittung. Der Unterschied der Stände gilt dort als etwas Innerliches, der Seele anhaftendes und die Anerkennung des einfachen Satzes, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, musste zerstörend auf den politischen Organismus wirken. Franz Xaver selbst ist die Ehrfurcht des japanischen Volkes vor seinen Edelen

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/93>, abgerufen am 23.11.2024.