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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Schreiben des Herrn Harris. X.
Civilisation auf gleicher Höhe mit der des Westens stehe; die Ja-
paner sind aber kein halbcivilirtes Volk, der Zustand der Dinge
in diesem Lande entspricht dem von Europa während des Mittel-
alters. Von der hiesigen Regierung also die Beobachtung der näm-
lichen Formen, dieselbe schnelle Ausübung des Rechtes zu verlangen,
die man in civilisirten Ländern findet, heisst Unmögliches fordern;
die Behörden aber für vereinzelte Handlungen von Privatleuten
verantwortlich zu machen, scheint mir durch keine Lehre des Völker-
rechtes gerechtfertigt. In der westlichen Welt handelt man nach
diesen Grundsätzen nicht: vor kurzer Zeit sprach ein londoner Ge-
schwornengericht triumphirend einen Menschen frei, der Anschläge
gegen das Leben des französischen Kaisers schmiedete; ich hörte
nicht, dass die französische Gesandtschaft in London sich in Folge
dieser Rechtsverkürzung nach Dover zurückgezogen hätte. Ferner:
in einer der belebtesten Strassen Neapels wurde bei hellem Tage
ein roher Angriff auf die Person des französischen Gesandten verübt;
die Mörder entkamen in Gegenwart von hundert Zuschauern und
sind bis heute nicht ergriffen worden. Zog sich der französische
Gesandte deshalb aus Neapel zurück? Im März wurde der Regent
von Japan ermordet; nur ein Theil der Mörder ist verhaftet und
keiner bis jetzt bestraft worden. Dieser Verzug in Bestrafung von
Mördern einer so hochgestellten Person beweist, dass das japanische
Gerichtsverfahren von dem der westlichen Erdhälfte verschieden
ist. -- Ich wünsche meinen Glauben hier öffentlich zu bekunden,
dass mein Leben in diesem Lande vollkommen sicher ist, so lange
ich die von der japanischen Regierung empfohlenen und von den
Japanern selbst angewandten Vorsichtsmaassregeln beobachte. Der
Rückzug nach Yokuhama zu dem Zwecke, auf die japanische Re-
gierung Eindruck zu machen, ist nach meiner Ansicht ein verfehlter
Schritt. Es war kein einziger Artikel im amerikanischen Vertrage
so schwer durchzusetzen, als das Recht der Gesandtschaft in Yeddo
zu residiren. Die japanischen Minister warnten mich bei jeder Ge-
legenheit vor den grossen Schwierigkeiten, welche der Aufenthalt
in der Hauptstadt nothwendig erzeugen müsse, und strebten aus
allen Kräften danach, dass ich meinen dauernden Wohnsitz in
Kanagava oder Kavasaki nähme, mit dem Rechte nach Yeddo zu
gehen, so oft die Geschäfte erforderten. Der Rückzug der Gesandten
nach Yokuhama ist genau was die Regierung wünscht, da er sie
von grosser Besorgniss, Verantwortlichkeit und Geldausgaben befreit,

Schreiben des Herrn Harris. X.
Civilisation auf gleicher Höhe mit der des Westens stehe; die Ja-
paner sind aber kein halbcivilirtes Volk, der Zustand der Dinge
in diesem Lande entspricht dem von Europa während des Mittel-
alters. Von der hiesigen Regierung also die Beobachtung der näm-
lichen Formen, dieselbe schnelle Ausübung des Rechtes zu verlangen,
die man in civilisirten Ländern findet, heisst Unmögliches fordern;
die Behörden aber für vereinzelte Handlungen von Privatleuten
verantwortlich zu machen, scheint mir durch keine Lehre des Völker-
rechtes gerechtfertigt. In der westlichen Welt handelt man nach
diesen Grundsätzen nicht: vor kurzer Zeit sprach ein londoner Ge-
schwornengericht triumphirend einen Menschen frei, der Anschläge
gegen das Leben des französischen Kaisers schmiedete; ich hörte
nicht, dass die französische Gesandtschaft in London sich in Folge
dieser Rechtsverkürzung nach Dover zurückgezogen hätte. Ferner:
in einer der belebtesten Strassen Neapels wurde bei hellem Tage
ein roher Angriff auf die Person des französischen Gesandten verübt;
die Mörder entkamen in Gegenwart von hundert Zuschauern und
sind bis heute nicht ergriffen worden. Zog sich der französische
Gesandte deshalb aus Neapel zurück? Im März wurde der Regent
von Japan ermordet; nur ein Theil der Mörder ist verhaftet und
keiner bis jetzt bestraft worden. Dieser Verzug in Bestrafung von
Mördern einer so hochgestellten Person beweist, dass das japanische
Gerichtsverfahren von dem der westlichen Erdhälfte verschieden
ist. — Ich wünsche meinen Glauben hier öffentlich zu bekunden,
dass mein Leben in diesem Lande vollkommen sicher ist, so lange
ich die von der japanischen Regierung empfohlenen und von den
Japanern selbst angewandten Vorsichtsmaassregeln beobachte. Der
Rückzug nach Yokuhama zu dem Zwecke, auf die japanische Re-
gierung Eindruck zu machen, ist nach meiner Ansicht ein verfehlter
Schritt. Es war kein einziger Artikel im amerikanischen Vertrage
so schwer durchzusetzen, als das Recht der Gesandtschaft in Yeddo
zu residiren. Die japanischen Minister warnten mich bei jeder Ge-
legenheit vor den grossen Schwierigkeiten, welche der Aufenthalt
in der Hauptstadt nothwendig erzeugen müsse, und strebten aus
allen Kräften danach, dass ich meinen dauernden Wohnsitz in
Kanagava oder Kavasaki nähme, mit dem Rechte nach Yeddo zu
gehen, so oft die Geschäfte erforderten. Der Rückzug der Gesandten
nach Yokuhama ist genau was die Regierung wünscht, da er sie
von grosser Besorgniss, Verantwortlichkeit und Geldausgaben befreit,

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[172/0192] Schreiben des Herrn Harris. X. Civilisation auf gleicher Höhe mit der des Westens stehe; die Ja- paner sind aber kein halbcivilirtes Volk, der Zustand der Dinge in diesem Lande entspricht dem von Europa während des Mittel- alters. Von der hiesigen Regierung also die Beobachtung der näm- lichen Formen, dieselbe schnelle Ausübung des Rechtes zu verlangen, die man in civilisirten Ländern findet, heisst Unmögliches fordern; die Behörden aber für vereinzelte Handlungen von Privatleuten verantwortlich zu machen, scheint mir durch keine Lehre des Völker- rechtes gerechtfertigt. In der westlichen Welt handelt man nach diesen Grundsätzen nicht: vor kurzer Zeit sprach ein londoner Ge- schwornengericht triumphirend einen Menschen frei, der Anschläge gegen das Leben des französischen Kaisers schmiedete; ich hörte nicht, dass die französische Gesandtschaft in London sich in Folge dieser Rechtsverkürzung nach Dover zurückgezogen hätte. Ferner: in einer der belebtesten Strassen Neapels wurde bei hellem Tage ein roher Angriff auf die Person des französischen Gesandten verübt; die Mörder entkamen in Gegenwart von hundert Zuschauern und sind bis heute nicht ergriffen worden. Zog sich der französische Gesandte deshalb aus Neapel zurück? Im März wurde der Regent von Japan ermordet; nur ein Theil der Mörder ist verhaftet und keiner bis jetzt bestraft worden. Dieser Verzug in Bestrafung von Mördern einer so hochgestellten Person beweist, dass das japanische Gerichtsverfahren von dem der westlichen Erdhälfte verschieden ist. — Ich wünsche meinen Glauben hier öffentlich zu bekunden, dass mein Leben in diesem Lande vollkommen sicher ist, so lange ich die von der japanischen Regierung empfohlenen und von den Japanern selbst angewandten Vorsichtsmaassregeln beobachte. Der Rückzug nach Yokuhama zu dem Zwecke, auf die japanische Re- gierung Eindruck zu machen, ist nach meiner Ansicht ein verfehlter Schritt. Es war kein einziger Artikel im amerikanischen Vertrage so schwer durchzusetzen, als das Recht der Gesandtschaft in Yeddo zu residiren. Die japanischen Minister warnten mich bei jeder Ge- legenheit vor den grossen Schwierigkeiten, welche der Aufenthalt in der Hauptstadt nothwendig erzeugen müsse, und strebten aus allen Kräften danach, dass ich meinen dauernden Wohnsitz in Kanagava oder Kavasaki nähme, mit dem Rechte nach Yeddo zu gehen, so oft die Geschäfte erforderten. Der Rückzug der Gesandten nach Yokuhama ist genau was die Regierung wünscht, da er sie von grosser Besorgniss, Verantwortlichkeit und Geldausgaben befreit,

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/192>, abgerufen am 23.11.2024.