eine Schale abscheulichen Saki anbieten. Einen ähnlichen Charakter hat die Landschaft um Kanagava sowohl als die Küste nordöstlich von Yokuhama.
Die Südosthälfte des Städtchens hatten damals die Ausländer, den nordwestlichen Theil die Japaner inne. Das den Fremden zu- gestandene Terrain reichte bald nicht mehr aus; die Repräsentanten der Vertragsmächte bemühten sich deshalb beständig um die weitere Abtretung von Grundstücken, und die Japaner wurden immer mehr aus Yokuhama verdrängt. Man arbeitete fleissig an dem breiten Canale, welcher die Niederlassung nach Art von Desima zur Insel machen sollte; jetzt umschliesst er das Städtchen vollständig, so dass aller Verkehr von den japanischen Behörden controlirt werden kann. Der Weg nach Kanagava führt zunächst auf einem künstlich aufgeschütteten Damm zwischen Sumpf und See hin, und auf zwei gut gebauten Brücken über Einschnitte des Meeres. Hier und an anderen Stellen der Strasse hat die japanische Regierung Wachthäuser und Thore angelegt, die bei eintretender Dunkelheit geschlossen und den Europäern oft erst nach langem Parlamentiren geöffnet werden. Es ist fast wie auf Desima, denn natürlich steht auch der Verkehr der Japaner mit Yokuhama unter Aufsicht der Polizei, welche oft Menschen und Waaren, ja Lebensmittel ganz nach ihrem Belieben ausschliesst. Die in den Verträgen stipulirte Freiheit des Handels- verkehres besteht also in Wahrheit nicht und wird sich auch schwer durchsetzen lassen, denn die Autorität der Regierung über ihre Unterthanen ist unbegränzt, und die Behörden üben die strengste Aufsicht über den Grosshandel. Die Anfuhr der Waaren in Yokuhama richtet sich ganz nach den Fluctuationen der politischen Lage. Jetzt, nachdem einige Jahre vergangen, lässt sich die Situation viel deut- licher übersehen als zur Zeit unserer Anwesenheit. Die im einleitenden Abschnitt ausgesprochene Ansicht, dass in den letzten Jahrzehnten die Regierung der Taikun die Zügel schiessen lassen und an Macht und Ansehn verloren habe, dass einzelne Daimio's selbständiger geworden seien und sich leicht einmal wieder um den alten Thron des Mikado schaaren könnten um das Haus Minamoto zu stürzen, hat sich bestätigt. Die höchste Würde des Mikado scheint heute eben so anerkannt zu sein als vor tausend Jahren. Eine mächtige Adelsparthei hat, die mit den westlichen Nationen vom Taikun eigen- mächtig geschlossenen Verträge zum Vorwand nehmend, die Autorität des Erbkaisers angerufen und, ganz wie vor dreihundert, vierhundert,
VI. Isolirung von Yokuhama.
eine Schale abscheulichen Saki anbieten. Einen ähnlichen Charakter hat die Landschaft um Kanagava sowohl als die Küste nordöstlich von Yokuhama.
Die Südosthälfte des Städtchens hatten damals die Ausländer, den nordwestlichen Theil die Japaner inne. Das den Fremden zu- gestandene Terrain reichte bald nicht mehr aus; die Repräsentanten der Vertragsmächte bemühten sich deshalb beständig um die weitere Abtretung von Grundstücken, und die Japaner wurden immer mehr aus Yokuhama verdrängt. Man arbeitete fleissig an dem breiten Canale, welcher die Niederlassung nach Art von Desima zur Insel machen sollte; jetzt umschliesst er das Städtchen vollständig, so dass aller Verkehr von den japanischen Behörden controlirt werden kann. Der Weg nach Kanagava führt zunächst auf einem künstlich aufgeschütteten Damm zwischen Sumpf und See hin, und auf zwei gut gebauten Brücken über Einschnitte des Meeres. Hier und an anderen Stellen der Strasse hat die japanische Regierung Wachthäuser und Thore angelegt, die bei eintretender Dunkelheit geschlossen und den Europäern oft erst nach langem Parlamentiren geöffnet werden. Es ist fast wie auf Desima, denn natürlich steht auch der Verkehr der Japaner mit Yokuhama unter Aufsicht der Polizei, welche oft Menschen und Waaren, ja Lebensmittel ganz nach ihrem Belieben ausschliesst. Die in den Verträgen stipulirte Freiheit des Handels- verkehres besteht also in Wahrheit nicht und wird sich auch schwer durchsetzen lassen, denn die Autorität der Regierung über ihre Unterthanen ist unbegränzt, und die Behörden üben die strengste Aufsicht über den Grosshandel. Die Anfuhr der Waaren in Yokuhama richtet sich ganz nach den Fluctuationen der politischen Lage. Jetzt, nachdem einige Jahre vergangen, lässt sich die Situation viel deut- licher übersehen als zur Zeit unserer Anwesenheit. Die im einleitenden Abschnitt ausgesprochene Ansicht, dass in den letzten Jahrzehnten die Regierung der Taïkūn die Zügel schiessen lassen und an Macht und Ansehn verloren habe, dass einzelne Daïmio’s selbständiger geworden seien und sich leicht einmal wieder um den alten Thron des Mikado schaaren könnten um das Haus Minamoto zu stürzen, hat sich bestätigt. Die höchste Würde des Mikado scheint heute eben so anerkannt zu sein als vor tausend Jahren. Eine mächtige Adelsparthei hat, die mit den westlichen Nationen vom Taïkūn eigen- mächtig geschlossenen Verträge zum Vorwand nehmend, die Autorität des Erbkaisers angerufen und, ganz wie vor dreihundert, vierhundert,
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VI. Isolirung von Yokuhama.
eine Schale abscheulichen Saki anbieten. Einen ähnlichen Charakter
hat die Landschaft um Kanagava sowohl als die Küste nordöstlich
von Yokuhama.
Die Südosthälfte des Städtchens hatten damals die Ausländer,
den nordwestlichen Theil die Japaner inne. Das den Fremden zu-
gestandene Terrain reichte bald nicht mehr aus; die Repräsentanten
der Vertragsmächte bemühten sich deshalb beständig um die weitere
Abtretung von Grundstücken, und die Japaner wurden immer mehr
aus Yokuhama verdrängt. Man arbeitete fleissig an dem breiten
Canale, welcher die Niederlassung nach Art von Desima zur Insel
machen sollte; jetzt umschliesst er das Städtchen vollständig, so
dass aller Verkehr von den japanischen Behörden controlirt werden
kann. Der Weg nach Kanagava führt zunächst auf einem künstlich
aufgeschütteten Damm zwischen Sumpf und See hin, und auf zwei
gut gebauten Brücken über Einschnitte des Meeres. Hier und an
anderen Stellen der Strasse hat die japanische Regierung Wachthäuser
und Thore angelegt, die bei eintretender Dunkelheit geschlossen und
den Europäern oft erst nach langem Parlamentiren geöffnet werden.
Es ist fast wie auf Desima, denn natürlich steht auch der Verkehr
der Japaner mit Yokuhama unter Aufsicht der Polizei, welche oft
Menschen und Waaren, ja Lebensmittel ganz nach ihrem Belieben
ausschliesst. Die in den Verträgen stipulirte Freiheit des Handels-
verkehres besteht also in Wahrheit nicht und wird sich auch schwer
durchsetzen lassen, denn die Autorität der Regierung über ihre
Unterthanen ist unbegränzt, und die Behörden üben die strengste
Aufsicht über den Grosshandel. Die Anfuhr der Waaren in Yokuhama
richtet sich ganz nach den Fluctuationen der politischen Lage. Jetzt,
nachdem einige Jahre vergangen, lässt sich die Situation viel deut-
licher übersehen als zur Zeit unserer Anwesenheit. Die im einleitenden
Abschnitt ausgesprochene Ansicht, dass in den letzten Jahrzehnten
die Regierung der Taïkūn die Zügel schiessen lassen und an Macht
und Ansehn verloren habe, dass einzelne Daïmio’s selbständiger
geworden seien und sich leicht einmal wieder um den alten Thron
des Mikado schaaren könnten um das Haus Minamoto zu stürzen,
hat sich bestätigt. Die höchste Würde des Mikado scheint heute
eben so anerkannt zu sein als vor tausend Jahren. Eine mächtige
Adelsparthei hat, die mit den westlichen Nationen vom Taïkūn eigen-
mächtig geschlossenen Verträge zum Vorwand nehmend, die Autorität
des Erbkaisers angerufen und, ganz wie vor dreihundert, vierhundert,
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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