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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Bedeutung der Verträge. -- Reise des englischen Gesandten. Anh. II.
gänzlicher Unkenntniss des Charakters der seefahrenden Nationen,
ihrer Stellung, Gewohnheiten und Ansprüche, aus Yokuhama ein
erweitertes Desima machen, vor allen Dingen den ganzen Ver-
kehr in Händen behalten
und allein allen Vortheil daraus zie-
hen zu können. Sie wusste sehr wohl, dass das alte System der
Siogun-Herrschaft mit wirklich freiem Verkehr unverträglich ist,
glaubte aber, da sie sich den darauf zielenden Stipulationen nicht
entziehen konnte, durch engste Beschränkung desselben auf
die geöffneten Häfen
ihren Zweck erreichen zu können, indem
sie ihre dort verkehrenden Unterthanen beaufsichtigte. -- Verträge
mussten geschlossen werden; die Regierung wollte sie so handhaben,
wie es sich mit dem alten System vertrüge und ihr allein materiellen
Vortheil brächte, hatte aber weder die Kraft noch die Geschick-
lichkeit ihr Vorhaben durchzuführen. Die folgenden Blätter mögen
zur Anschauung bringen, dass die Verträge, wie die Regierung von
Yeddo sie meinte, eine Unmöglichkeit für die Fremden, wie die
fremden Diplomaten sie meinten, eine Unmöglichkeit für Japan
waren. Sie werden wahrscheinlich mittelbar die Siogun-Herrschaft
stürzen und eine Umwälzung herbeiführen, welche Japan dem freie-
sten Verkehr der westlichen Völker erschliesst.


Herr Alcock, der sich Anfang März 1861 mit dem französi-
schen Geschäftsträger wieder feierlich zu Yeddo installirt hatte, ging
bald nachher auf kurze Zeit nach China und kehrte erst im Mai
nach Nangasaki zurück, um von da mit dem niederländischen Ge-
neral-Consul zu Lande nach Yeddo zu reisen. Sie legten den Weg
ohne alle Hindernisse zurück und fanden bei der Bevölkerung keine
Spur jener "Erregung der öffentlichen Meinung", welche die japa-
nischen Beamten beständig im Munde führten. In Osaka trafen sie
einen Bunyo der auswärtigen Abtheilung, Takemoto Kai-no-kami,
der ihnen von Yeddo ausdrücklich entgegengesandt wurde, um den
Besuch von Miako zu hintertreiben. Dort, hiess es zuerst, seien
eine Menge Lonine versammelt, verzweifeltes brotloses Gesindel,
welches die Verträge und deren Urheber auf das bitterste hasse;
die Reise sei mit der grössten Lebensgefahr verbunden. Als diese
Vorstellungen nicht fruchteten, kam die Wahrheit zu Tage, die
man bis dahin sorgsam verheimlicht hatte. Seit einem Jahre, erklärte

Bedeutung der Verträge. — Reise des englischen Gesandten. Anh. II.
gänzlicher Unkenntniss des Charakters der seefahrenden Nationen,
ihrer Stellung, Gewohnheiten und Ansprüche, aus Yokuhama ein
erweitertes Desima machen, vor allen Dingen den ganzen Ver-
kehr in Händen behalten
und allein allen Vortheil daraus zie-
hen zu können. Sie wusste sehr wohl, dass das alte System der
Siogun-Herrschaft mit wirklich freiem Verkehr unverträglich ist,
glaubte aber, da sie sich den darauf zielenden Stipulationen nicht
entziehen konnte, durch engste Beschränkung desselben auf
die geöffneten Häfen
ihren Zweck erreichen zu können, indem
sie ihre dort verkehrenden Unterthanen beaufsichtigte. — Verträge
mussten geschlossen werden; die Regierung wollte sie so handhaben,
wie es sich mit dem alten System vertrüge und ihr allein materiellen
Vortheil brächte, hatte aber weder die Kraft noch die Geschick-
lichkeit ihr Vorhaben durchzuführen. Die folgenden Blätter mögen
zur Anschauung bringen, dass die Verträge, wie die Regierung von
Yeddo sie meinte, eine Unmöglichkeit für die Fremden, wie die
fremden Diplomaten sie meinten, eine Unmöglichkeit für Japan
waren. Sie werden wahrscheinlich mittelbar die Siogun-Herrschaft
stürzen und eine Umwälzung herbeiführen, welche Japan dem freie-
sten Verkehr der westlichen Völker erschliesst.


Herr Alcock, der sich Anfang März 1861 mit dem französi-
schen Geschäftsträger wieder feierlich zu Yeddo installirt hatte, ging
bald nachher auf kurze Zeit nach China und kehrte erst im Mai
nach Naṅgasaki zurück, um von da mit dem niederländischen Ge-
neral-Consul zu Lande nach Yeddo zu reisen. Sie legten den Weg
ohne alle Hindernisse zurück und fanden bei der Bevölkerung keine
Spur jener »Erregung der öffentlichen Meinung«, welche die japa-
nischen Beamten beständig im Munde führten. In Osaka trafen sie
einen Bunyo der auswärtigen Abtheilung, Takemoto Kaï-no-kami,
der ihnen von Yeddo ausdrücklich entgegengesandt wurde, um den
Besuch von Miako zu hintertreiben. Dort, hiess es zuerst, seien
eine Menge Lonine versammelt, verzweifeltes brotloses Gesindel,
welches die Verträge und deren Urheber auf das bitterste hasse;
die Reise sei mit der grössten Lebensgefahr verbunden. Als diese
Vorstellungen nicht fruchteten, kam die Wahrheit zu Tage, die
man bis dahin sorgsam verheimlicht hatte. Seit einem Jahre, erklärte

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[250/0270] Bedeutung der Verträge. — Reise des englischen Gesandten. Anh. II. gänzlicher Unkenntniss des Charakters der seefahrenden Nationen, ihrer Stellung, Gewohnheiten und Ansprüche, aus Yokuhama ein erweitertes Desima machen, vor allen Dingen den ganzen Ver- kehr in Händen behalten und allein allen Vortheil daraus zie- hen zu können. Sie wusste sehr wohl, dass das alte System der Siogun-Herrschaft mit wirklich freiem Verkehr unverträglich ist, glaubte aber, da sie sich den darauf zielenden Stipulationen nicht entziehen konnte, durch engste Beschränkung desselben auf die geöffneten Häfen ihren Zweck erreichen zu können, indem sie ihre dort verkehrenden Unterthanen beaufsichtigte. — Verträge mussten geschlossen werden; die Regierung wollte sie so handhaben, wie es sich mit dem alten System vertrüge und ihr allein materiellen Vortheil brächte, hatte aber weder die Kraft noch die Geschick- lichkeit ihr Vorhaben durchzuführen. Die folgenden Blätter mögen zur Anschauung bringen, dass die Verträge, wie die Regierung von Yeddo sie meinte, eine Unmöglichkeit für die Fremden, wie die fremden Diplomaten sie meinten, eine Unmöglichkeit für Japan waren. Sie werden wahrscheinlich mittelbar die Siogun-Herrschaft stürzen und eine Umwälzung herbeiführen, welche Japan dem freie- sten Verkehr der westlichen Völker erschliesst. Herr Alcock, der sich Anfang März 1861 mit dem französi- schen Geschäftsträger wieder feierlich zu Yeddo installirt hatte, ging bald nachher auf kurze Zeit nach China und kehrte erst im Mai nach Naṅgasaki zurück, um von da mit dem niederländischen Ge- neral-Consul zu Lande nach Yeddo zu reisen. Sie legten den Weg ohne alle Hindernisse zurück und fanden bei der Bevölkerung keine Spur jener »Erregung der öffentlichen Meinung«, welche die japa- nischen Beamten beständig im Munde führten. In Osaka trafen sie einen Bunyo der auswärtigen Abtheilung, Takemoto Kaï-no-kami, der ihnen von Yeddo ausdrücklich entgegengesandt wurde, um den Besuch von Miako zu hintertreiben. Dort, hiess es zuerst, seien eine Menge Lonine versammelt, verzweifeltes brotloses Gesindel, welches die Verträge und deren Urheber auf das bitterste hasse; die Reise sei mit der grössten Lebensgefahr verbunden. Als diese Vorstellungen nicht fruchteten, kam die Wahrheit zu Tage, die man bis dahin sorgsam verheimlicht hatte. Seit einem Jahre, erklärte

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/270>, abgerufen am 22.11.2024.