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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Erbfolge. Prinz Ftutsbasi.
nicht vollständig vorliegt, unerörtert bleiben; doch sei hier gesagt,
dass im Falle der Unfähigkeit eines Siogun zur Regierung die Linie
Mito den Vice-Siogun zu stellen hat, dass die Nebenlinie Ftutsbasi
in gewissen Fällen zu den thronberechtigten gehört, und dass
der Fürst von Mito die Adoption seines Sohnes durch den Repräsen-
tanten dieses Hauses erwirkte, um ihm Anspruch auf den Thron
zu verschaffen. Ikamo war stärker, schob den Prätendenten bei
Seite, und wurde durch Trabanten des Mito ermordet, der bald
darauf selbst eines gewaltsamen Todes starb. Ftutsbasi-Mito
musste seinen Thronrechten entsagen, stand aber noch immer an der
Spitze der mächtigen Parthei, welche im Geheimen am Sturze der herr-
schenden Linie arbeitete und, durch das Streben der freiheitslüsternen
Daimio's unterstützt, den Krieg mit dem Auslande heraufzubeschwö-
ren suchte. Seine Erhebung zur Würde des Vice-Siogun, auf welche
er wahrscheinlich als Prinz von Mito unter gewissen Verhältnissen
Anspruch hatte, war sicher ein Compromiss, durch welchen zwar
sein Anrecht auf den Thron nichtig, sein politischer Einfluss aber
bedeutend erhöht wurde. Offenbar geben die verwickelten Erbfolge-
Verhältnisse jetzt wie vor tausend Jahren der Cabale und Ver-
schwörung freien Spielraum. Für die Fremden musste diese Erhe-
bung in einem Lande bedenklich sein, wo durchschlagende Herrscher-
gewalt immer anerkannt worden ist; denn, wenn auch sein Recht
auf den Thron erlosch, so waren damit noch keineswegs seine An-
sprüche
beseitigt, im Gegentheil seiner auf Krieg mit dem Aus-
lande zielenden Politik nur freiere Wirksamkeit eingeräumt; es war
sicher eine Schlappe der conservativen Parthei.

Die dem Vernehmen nach mit Takemoto mündlich verabredete
geheime Zahlung kam nicht zur Ausführung; die Japaner selbst
scheinen die Bedingung des Geheimnisses fallen gelassen zu haben,
und versprachen am 18. Juni die Summe von 140,000 Dollars, von
da an wöchentlich 50,000 abzutragen. Der genannte Tag verstrich.
Herr Neale stellte eine neue Frist bis zum 19. Abends, erhielt jedoch
auch bis dahin nur die Nachricht, dass das Geld zwar bereit liege,
der Taikun aber Gegenbefehl geschickt habe. Der Gouverneur von
Kanagava schob in einem Gespräch mit Herrn von Bellecourt die
Schuld auf den Mikado: jeder vernünftige Japaner sehe ein, dass
sein Vaterland im Kriege mit den Fremden unterliegen müsste: nur
der Mikado halte in seiner beschränkten Vorstellung Japan für das
mächtigste Reich der Welt, und habe streng befohlen die Fremden

Anh. II. Erbfolge. Prinz Ftutsbaši.
nicht vollständig vorliegt, unerörtert bleiben; doch sei hier gesagt,
dass im Falle der Unfähigkeit eines Siogun zur Regierung die Linie
Mito den Vice-Siogun zu stellen hat, dass die Nebenlinie Ftutsbaši
in gewissen Fällen zu den thronberechtigten gehört, und dass
der Fürst von Mito die Adoption seines Sohnes durch den Repräsen-
tanten dieses Hauses erwirkte, um ihm Anspruch auf den Thron
zu verschaffen. Ikamo war stärker, schob den Prätendenten bei
Seite, und wurde durch Trabanten des Mito ermordet, der bald
darauf selbst eines gewaltsamen Todes starb. Ftutsbaši-Mito
musste seinen Thronrechten entsagen, stand aber noch immer an der
Spitze der mächtigen Parthei, welche im Geheimen am Sturze der herr-
schenden Linie arbeitete und, durch das Streben der freiheitslüsternen
Daïmio’s unterstützt, den Krieg mit dem Auslande heraufzubeschwö-
ren suchte. Seine Erhebung zur Würde des Vice-Siogun, auf welche
er wahrscheinlich als Prinz von Mito unter gewissen Verhältnissen
Anspruch hatte, war sicher ein Compromiss, durch welchen zwar
sein Anrecht auf den Thron nichtig, sein politischer Einfluss aber
bedeutend erhöht wurde. Offenbar geben die verwickelten Erbfolge-
Verhältnisse jetzt wie vor tausend Jahren der Cabale und Ver-
schwörung freien Spielraum. Für die Fremden musste diese Erhe-
bung in einem Lande bedenklich sein, wo durchschlagende Herrscher-
gewalt immer anerkannt worden ist; denn, wenn auch sein Recht
auf den Thron erlosch, so waren damit noch keineswegs seine An-
sprüche
beseitigt, im Gegentheil seiner auf Krieg mit dem Aus-
lande zielenden Politik nur freiere Wirksamkeit eingeräumt; es war
sicher eine Schlappe der conservativen Parthei.

Die dem Vernehmen nach mit Takemoto mündlich verabredete
geheime Zahlung kam nicht zur Ausführung; die Japaner selbst
scheinen die Bedingung des Geheimnisses fallen gelassen zu haben,
und versprachen am 18. Juni die Summe von 140,000 Dollars, von
da an wöchentlich 50,000 abzutragen. Der genannte Tag verstrich.
Herr Neale stellte eine neue Frist bis zum 19. Abends, erhielt jedoch
auch bis dahin nur die Nachricht, dass das Geld zwar bereit liege,
der Taïkūn aber Gegenbefehl geschickt habe. Der Gouverneur von
Kanagava schob in einem Gespräch mit Herrn von Bellecourt die
Schuld auf den Mikado: jeder vernünftige Japaner sehe ein, dass
sein Vaterland im Kriege mit den Fremden unterliegen müsste: nur
der Mikado halte in seiner beschränkten Vorstellung Japan für das
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[283/0303] Anh. II. Erbfolge. Prinz Ftutsbaši. nicht vollständig vorliegt, unerörtert bleiben; doch sei hier gesagt, dass im Falle der Unfähigkeit eines Siogun zur Regierung die Linie Mito den Vice-Siogun zu stellen hat, dass die Nebenlinie Ftutsbaši in gewissen Fällen zu den thronberechtigten gehört, und dass der Fürst von Mito die Adoption seines Sohnes durch den Repräsen- tanten dieses Hauses erwirkte, um ihm Anspruch auf den Thron zu verschaffen. Ikamo war stärker, schob den Prätendenten bei Seite, und wurde durch Trabanten des Mito ermordet, der bald darauf selbst eines gewaltsamen Todes starb. Ftutsbaši-Mito musste seinen Thronrechten entsagen, stand aber noch immer an der Spitze der mächtigen Parthei, welche im Geheimen am Sturze der herr- schenden Linie arbeitete und, durch das Streben der freiheitslüsternen Daïmio’s unterstützt, den Krieg mit dem Auslande heraufzubeschwö- ren suchte. Seine Erhebung zur Würde des Vice-Siogun, auf welche er wahrscheinlich als Prinz von Mito unter gewissen Verhältnissen Anspruch hatte, war sicher ein Compromiss, durch welchen zwar sein Anrecht auf den Thron nichtig, sein politischer Einfluss aber bedeutend erhöht wurde. Offenbar geben die verwickelten Erbfolge- Verhältnisse jetzt wie vor tausend Jahren der Cabale und Ver- schwörung freien Spielraum. Für die Fremden musste diese Erhe- bung in einem Lande bedenklich sein, wo durchschlagende Herrscher- gewalt immer anerkannt worden ist; denn, wenn auch sein Recht auf den Thron erlosch, so waren damit noch keineswegs seine An- sprüche beseitigt, im Gegentheil seiner auf Krieg mit dem Aus- lande zielenden Politik nur freiere Wirksamkeit eingeräumt; es war sicher eine Schlappe der conservativen Parthei. Die dem Vernehmen nach mit Takemoto mündlich verabredete geheime Zahlung kam nicht zur Ausführung; die Japaner selbst scheinen die Bedingung des Geheimnisses fallen gelassen zu haben, und versprachen am 18. Juni die Summe von 140,000 Dollars, von da an wöchentlich 50,000 abzutragen. Der genannte Tag verstrich. Herr Neale stellte eine neue Frist bis zum 19. Abends, erhielt jedoch auch bis dahin nur die Nachricht, dass das Geld zwar bereit liege, der Taïkūn aber Gegenbefehl geschickt habe. Der Gouverneur von Kanagava schob in einem Gespräch mit Herrn von Bellecourt die Schuld auf den Mikado: jeder vernünftige Japaner sehe ein, dass sein Vaterland im Kriege mit den Fremden unterliegen müsste: nur der Mikado halte in seiner beschränkten Vorstellung Japan für das mächtigste Reich der Welt, und habe streng befohlen die Fremden

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/303>, abgerufen am 22.11.2024.