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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Ermordung des Lieutenant Camus.
drohenden Lonin-Banden aus ihrer Ruhe geschreckt, gewöhnten
sich aber, da nichts vorfiel, auch daran, und nahmen im Laufe
der nächsten Monate ganz ihre alte Lebensweise wieder auf. Viele
Kaufleute und Officiere machten täglich Spazierritte in die Um-
gegend, wo sie allenthalben Observationsposten der kaiserlichen
Truppen fanden; das Land schien gut bewacht zu sein. Seit
Richardson's Ermordung war ein Jahr vergangen; man glaubte,
dass die schwere Geldbusse der Regierung eine heilsame Lehre
gewesen sei, vergass aber, dass keine Behörde der Welt fähig ist,
dem Meuchelmorde vorzubeugen.

Am 14. October Nachmittags brachten Japaner die Nachricht
nach Yokuhama, dass auf einem Feldwege, eine Stunde von der
Stadt, die Leiche eines Ausländers läge. Mehrere Consuln und
Officiere machten sich mit einer japanischen Patrouille alsbald dahin
auf und fanden den verstümmelten Körper eines Officiers vom dritten
afrikanischen Jäger-Bataillon. Lieutenant Camus war an diesem Tage
gegen seine Gewohnheit ohne Revolver ausgeritten und schien von
mehreren Banditen aus dem Hinterhalt angegriffen worden zu sein.
Die rechte Hand lag, durch einen Säbelhieb glatt vom Arme ge-
trennt, ein Stück des Zügels haltend nicht weit vom Körper, der
von klaffenden Hiebwunden starrte. Das leicht verletzte blutbegossene
Pferd lief scheu in den nächsten Feldern umher. Den Mördern hatte
das coupirte buschige Terrain schnelle Bergung gestattet; doch
stellten die polizeilichen Nachforschungen heraus, dass ein Bauer
der That von weitem zusah. Nach seiner Aussage waren es
drei Zweischwertige. die nachher in der Richtung des Tokaido
flüchteten. Die Polizei verfolgte durch ihre Spione die Spur noch
auf grosse Entfernung, verlor sie dann aber, und erklärte nun am
Ende ihrer Hülfsmittel zu sein.

Der Charakter und die Verhältnisse des Lieutenant Camus
schlossen jeden Gedanken an persönliche Rache aus; es war wieder
eine Handlung des Fanatismus und ein neues Zeichen der Gegen-
wart blutdürstiger Banditen in der Umgebung von Yokuhama. Die
Repräsentanten der Vertragsmächte traten mit den Schiffscomman-
danten am 19. October zur Verabredung neuer Schutzmaassregeln
zusammen, denn man erkannte, nachdem das Bewusstsein der Ge-
fahr wieder geweckt, die getroffenen Anstalten für unzureichend.
Aber Admiral Kuper, der über die ansehnlichsten Kräfte verfügte,
glaubte seine zweitausendfünf hundert Mann nicht durch Wachtdienst

Anh. II. Ermordung des Lieutenant Camus.
drohenden Lonin-Banden aus ihrer Ruhe geschreckt, gewöhnten
sich aber, da nichts vorfiel, auch daran, und nahmen im Laufe
der nächsten Monate ganz ihre alte Lebensweise wieder auf. Viele
Kaufleute und Officiere machten täglich Spazierritte in die Um-
gegend, wo sie allenthalben Observationsposten der kaiserlichen
Truppen fanden; das Land schien gut bewacht zu sein. Seit
Richardson’s Ermordung war ein Jahr vergangen; man glaubte,
dass die schwere Geldbusse der Regierung eine heilsame Lehre
gewesen sei, vergass aber, dass keine Behörde der Welt fähig ist,
dem Meuchelmorde vorzubeugen.

Am 14. October Nachmittags brachten Japaner die Nachricht
nach Yokuhama, dass auf einem Feldwege, eine Stunde von der
Stadt, die Leiche eines Ausländers läge. Mehrere Consuln und
Officiere machten sich mit einer japanischen Patrouille alsbald dahin
auf und fanden den verstümmelten Körper eines Officiers vom dritten
afrikanischen Jäger-Bataillon. Lieutenant Camus war an diesem Tage
gegen seine Gewohnheit ohne Revolver ausgeritten und schien von
mehreren Banditen aus dem Hinterhalt angegriffen worden zu sein.
Die rechte Hand lag, durch einen Säbelhieb glatt vom Arme ge-
trennt, ein Stück des Zügels haltend nicht weit vom Körper, der
von klaffenden Hiebwunden starrte. Das leicht verletzte blutbegossene
Pferd lief scheu in den nächsten Feldern umher. Den Mördern hatte
das coupirte buschige Terrain schnelle Bergung gestattet; doch
stellten die polizeilichen Nachforschungen heraus, dass ein Bauer
der That von weitem zusah. Nach seiner Aussage waren es
drei Zweischwertige. die nachher in der Richtung des Tokaïdo
flüchteten. Die Polizei verfolgte durch ihre Spione die Spur noch
auf grosse Entfernung, verlor sie dann aber, und erklärte nun am
Ende ihrer Hülfsmittel zu sein.

Der Charakter und die Verhältnisse des Lieutenant Camus
schlossen jeden Gedanken an persönliche Rache aus; es war wieder
eine Handlung des Fanatismus und ein neues Zeichen der Gegen-
wart blutdürstiger Banditen in der Umgebung von Yokuhama. Die
Repräsentanten der Vertragsmächte traten mit den Schiffscomman-
danten am 19. October zur Verabredung neuer Schutzmaassregeln
zusammen, denn man erkannte, nachdem das Bewusstsein der Ge-
fahr wieder geweckt, die getroffenen Anstalten für unzureichend.
Aber Admiral Kuper, der über die ansehnlichsten Kräfte verfügte,
glaubte seine zweitausendfünf hundert Mann nicht durch Wachtdienst

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[309/0329] Anh. II. Ermordung des Lieutenant Camus. drohenden Lonin-Banden aus ihrer Ruhe geschreckt, gewöhnten sich aber, da nichts vorfiel, auch daran, und nahmen im Laufe der nächsten Monate ganz ihre alte Lebensweise wieder auf. Viele Kaufleute und Officiere machten täglich Spazierritte in die Um- gegend, wo sie allenthalben Observationsposten der kaiserlichen Truppen fanden; das Land schien gut bewacht zu sein. Seit Richardson’s Ermordung war ein Jahr vergangen; man glaubte, dass die schwere Geldbusse der Regierung eine heilsame Lehre gewesen sei, vergass aber, dass keine Behörde der Welt fähig ist, dem Meuchelmorde vorzubeugen. Am 14. October Nachmittags brachten Japaner die Nachricht nach Yokuhama, dass auf einem Feldwege, eine Stunde von der Stadt, die Leiche eines Ausländers läge. Mehrere Consuln und Officiere machten sich mit einer japanischen Patrouille alsbald dahin auf und fanden den verstümmelten Körper eines Officiers vom dritten afrikanischen Jäger-Bataillon. Lieutenant Camus war an diesem Tage gegen seine Gewohnheit ohne Revolver ausgeritten und schien von mehreren Banditen aus dem Hinterhalt angegriffen worden zu sein. Die rechte Hand lag, durch einen Säbelhieb glatt vom Arme ge- trennt, ein Stück des Zügels haltend nicht weit vom Körper, der von klaffenden Hiebwunden starrte. Das leicht verletzte blutbegossene Pferd lief scheu in den nächsten Feldern umher. Den Mördern hatte das coupirte buschige Terrain schnelle Bergung gestattet; doch stellten die polizeilichen Nachforschungen heraus, dass ein Bauer der That von weitem zusah. Nach seiner Aussage waren es drei Zweischwertige. die nachher in der Richtung des Tokaïdo flüchteten. Die Polizei verfolgte durch ihre Spione die Spur noch auf grosse Entfernung, verlor sie dann aber, und erklärte nun am Ende ihrer Hülfsmittel zu sein. Der Charakter und die Verhältnisse des Lieutenant Camus schlossen jeden Gedanken an persönliche Rache aus; es war wieder eine Handlung des Fanatismus und ein neues Zeichen der Gegen- wart blutdürstiger Banditen in der Umgebung von Yokuhama. Die Repräsentanten der Vertragsmächte traten mit den Schiffscomman- danten am 19. October zur Verabredung neuer Schutzmaassregeln zusammen, denn man erkannte, nachdem das Bewusstsein der Ge- fahr wieder geweckt, die getroffenen Anstalten für unzureichend. Aber Admiral Kuper, der über die ansehnlichsten Kräfte verfügte, glaubte seine zweitausendfünf hundert Mann nicht durch Wachtdienst

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/329>, abgerufen am 22.11.2024.