Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geheimbünde.
Züge nach der Malacca-Strasse, den Sunda-Inseln, Siam, Cochin-
china
, den Philippinen, Formosa und Californien. Die Männer von
Kuan-tun und Fu-kian sind abgehärtete, kühne und ausdauernde
Seeleute; viele leben ganz vom Fischfang. Seeräuberei und
Schleichhandel, welchen die Vorgebirge und Inseln tausend
sichere Schlupfwinkel bieten, werden hier schwerlich ausge-
rottet werden.

Die letzten Prinzen des Min-Hauses sollen in die rauhen
Gebirge von Kuan-si geflüchtet sein; im südchinesischen Volke
lebte der Glauben fort, dass von dort aus ein kaiserlicher Sprosse
das Reich einmal vom Barbarenjoche befreien werde. Seit der
Unterwerfung bestanden in den drei Provinzen geheime Gesell-
schaften mit politischer Tendenz; die wichtigste war der Dreifaltig-
keitsbund, dessen Wahlspruch Fan Tsin Fu Min, "Nieder mit den
Mandschu, hoch die Min", deutlich genug ist. Die Mitglieder oder
"Brüder" verpflichteten sich nach Art der Freimaurer zu gegen-
seitiger Hülfe und lockerten dadurch ihre Beziehungen zur Familie
und bürgerlichen Gesellschaft; oft traten sie als mächtige Räuber-
banden auf, welche zur See wie zu Lande die bestehende Ordnung
befehdeten und den Provinzialbehörden Jahre lang zu schaffen
machten. War der politische Zweck hier auch nur Deckmantel,
so wurde er doch niemals vergessen; der Bund bildete einen
Stamm, um den sich alle Unzufriedenen schaarten.

Den grössten Theil des 18. Jahrhunderts hindurch scheinen
die geheimen Gesellschaften sich nach aussen wenig geregt zu
haben; aber in den letzten Regierungsjahren des Kien-lon brachen
Unruhen in mehreren Provinzen aus. Kia-kin musste bei seiner
Thronbesteigung einen Frieden mit den Miao-tse schliessen, der
viel Geld kostete. Seine Hofhaltung verschlang ebenfalls grosse
Summen; er scheint zuerst den Verkauf von Aemtern eingeführt zu
haben, welcher den berechtigten Stolz der studirten Chinesen auf
das tiefste verletzte und dem Ansehen der Mandschu neue Wun-
den schlug. -- In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erhoben
sich die Unzufriedenen in mehreren Provinzen; ein grosser Theil
des Reiches wurde von zahlreichen Schaaren der Aufrührer und
den schlecht bezahlten kaiserlichen Soldaten verwüstet. Die
rebellischen Bewegungen scheiterten damals mehr an mangelnder
Lebensfähigkeit, Organisation, Führung und am Widerstande der
besitzenden Classen, als an der Macht der kaiserlichen Heere,

Die Geheimbünde.
Züge nach der Malacca-Strasse, den Sunda-Inseln, Siam, Cochin-
china
, den Philippinen, Formosa und Californien. Die Männer von
Kuaṅ-tuṅ und Fu-kian sind abgehärtete, kühne und ausdauernde
Seeleute; viele leben ganz vom Fischfang. Seeräuberei und
Schleichhandel, welchen die Vorgebirge und Inseln tausend
sichere Schlupfwinkel bieten, werden hier schwerlich ausge-
rottet werden.

Die letzten Prinzen des Miṅ-Hauses sollen in die rauhen
Gebirge von Kuaṅ-si geflüchtet sein; im südchinesischen Volke
lebte der Glauben fort, dass von dort aus ein kaiserlicher Sprosse
das Reich einmal vom Barbarenjoche befreien werde. Seit der
Unterwerfung bestanden in den drei Provinzen geheime Gesell-
schaften mit politischer Tendenz; die wichtigste war der Dreifaltig-
keitsbund, dessen Wahlspruch Fan Tsiṅ Fu Miṅ, »Nieder mit den
Mandschu, hoch die Miṅ«, deutlich genug ist. Die Mitglieder oder
»Brüder« verpflichteten sich nach Art der Freimaurer zu gegen-
seitiger Hülfe und lockerten dadurch ihre Beziehungen zur Familie
und bürgerlichen Gesellschaft; oft traten sie als mächtige Räuber-
banden auf, welche zur See wie zu Lande die bestehende Ordnung
befehdeten und den Provinzialbehörden Jahre lang zu schaffen
machten. War der politische Zweck hier auch nur Deckmantel,
so wurde er doch niemals vergessen; der Bund bildete einen
Stamm, um den sich alle Unzufriedenen schaarten.

Den grössten Theil des 18. Jahrhunderts hindurch scheinen
die geheimen Gesellschaften sich nach aussen wenig geregt zu
haben; aber in den letzten Regierungsjahren des Kien-loṅ brachen
Unruhen in mehreren Provinzen aus. Kia-kiṅ musste bei seiner
Thronbesteigung einen Frieden mit den Miao-tse schliessen, der
viel Geld kostete. Seine Hofhaltung verschlang ebenfalls grosse
Summen; er scheint zuerst den Verkauf von Aemtern eingeführt zu
haben, welcher den berechtigten Stolz der studirten Chinesen auf
das tiefste verletzte und dem Ansehen der Mandschu neue Wun-
den schlug. — In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erhoben
sich die Unzufriedenen in mehreren Provinzen; ein grosser Theil
des Reiches wurde von zahlreichen Schaaren der Aufrührer und
den schlecht bezahlten kaiserlichen Soldaten verwüstet. Die
rebellischen Bewegungen scheiterten damals mehr an mangelnder
Lebensfähigkeit, Organisation, Führung und am Widerstande der
besitzenden Classen, als an der Macht der kaiserlichen Heere,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="155"/><fw place="top" type="header">Die Geheimbünde.</fw><lb/>
Züge nach der <placeName>Malacca-Strasse</placeName>, den <placeName>Sunda-Inseln</placeName>, <placeName>Siam</placeName>, <placeName>Cochin-<lb/>
china</placeName>, den <placeName>Philippinen</placeName>, <placeName>Formosa</placeName> und <placeName>Californien</placeName>. Die Männer von<lb/><hi rendition="#k"><placeName>Kuan&#x0307;-tun&#x0307;</placeName></hi> und <hi rendition="#k"><placeName>Fu-kian</placeName></hi> sind abgehärtete, kühne und ausdauernde<lb/>
Seeleute; viele leben ganz vom Fischfang. Seeräuberei und<lb/>
Schleichhandel, welchen die Vorgebirge und Inseln tausend<lb/>
sichere Schlupfwinkel bieten, werden hier schwerlich ausge-<lb/>
rottet werden.</p><lb/>
          <p>Die letzten Prinzen des <hi rendition="#k">Min&#x0307;</hi>-Hauses sollen in die rauhen<lb/>
Gebirge von <hi rendition="#k"><placeName>Kuan&#x0307;-si</placeName></hi> geflüchtet sein; im südchinesischen Volke<lb/>
lebte der Glauben fort, dass von dort aus ein kaiserlicher Sprosse<lb/>
das Reich einmal vom Barbarenjoche befreien werde. Seit der<lb/>
Unterwerfung bestanden in den drei Provinzen geheime Gesell-<lb/>
schaften mit politischer Tendenz; die wichtigste war der Dreifaltig-<lb/>
keitsbund, dessen Wahlspruch <hi rendition="#k">Fan Tsin&#x0307; Fu Min&#x0307;</hi>, »Nieder mit den<lb/>
Mandschu, hoch die <hi rendition="#k">Min&#x0307;</hi>«, deutlich genug ist. Die Mitglieder oder<lb/>
»Brüder« verpflichteten sich nach Art der Freimaurer zu gegen-<lb/>
seitiger Hülfe und lockerten dadurch ihre Beziehungen zur Familie<lb/>
und bürgerlichen Gesellschaft; oft traten sie als mächtige Räuber-<lb/>
banden auf, welche zur See wie zu Lande die bestehende Ordnung<lb/>
befehdeten und den Provinzialbehörden Jahre lang zu schaffen<lb/>
machten. War der politische Zweck hier auch nur Deckmantel,<lb/>
so wurde er doch niemals vergessen; der Bund bildete einen<lb/>
Stamm, um den sich alle Unzufriedenen schaarten.</p><lb/>
          <p>Den grössten Theil des 18. Jahrhunderts hindurch scheinen<lb/>
die geheimen Gesellschaften sich nach aussen wenig geregt zu<lb/>
haben; aber in den letzten Regierungsjahren des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119080648">Kien-lon&#x0307;</persName></hi> brachen<lb/>
Unruhen in mehreren Provinzen aus. <hi rendition="#k"><persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/n85308956">Kia-kin&#x0307;</persName></hi> musste bei seiner<lb/>
Thronbesteigung einen Frieden mit den <hi rendition="#k">Miao-tse</hi> schliessen, der<lb/>
viel Geld kostete. Seine Hofhaltung verschlang ebenfalls grosse<lb/>
Summen; er scheint zuerst den Verkauf von Aemtern eingeführt zu<lb/>
haben, welcher den berechtigten Stolz der studirten Chinesen auf<lb/>
das tiefste verletzte und dem Ansehen der Mandschu neue Wun-<lb/>
den schlug. &#x2014; In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erhoben<lb/>
sich die Unzufriedenen in mehreren Provinzen; ein grosser Theil<lb/>
des Reiches wurde von zahlreichen Schaaren der Aufrührer und<lb/>
den schlecht bezahlten kaiserlichen Soldaten verwüstet. Die<lb/>
rebellischen Bewegungen scheiterten damals mehr an mangelnder<lb/>
Lebensfähigkeit, Organisation, Führung und am Widerstande der<lb/>
besitzenden Classen, als an der Macht der kaiserlichen Heere,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0177] Die Geheimbünde. Züge nach der Malacca-Strasse, den Sunda-Inseln, Siam, Cochin- china, den Philippinen, Formosa und Californien. Die Männer von Kuaṅ-tuṅ und Fu-kian sind abgehärtete, kühne und ausdauernde Seeleute; viele leben ganz vom Fischfang. Seeräuberei und Schleichhandel, welchen die Vorgebirge und Inseln tausend sichere Schlupfwinkel bieten, werden hier schwerlich ausge- rottet werden. Die letzten Prinzen des Miṅ-Hauses sollen in die rauhen Gebirge von Kuaṅ-si geflüchtet sein; im südchinesischen Volke lebte der Glauben fort, dass von dort aus ein kaiserlicher Sprosse das Reich einmal vom Barbarenjoche befreien werde. Seit der Unterwerfung bestanden in den drei Provinzen geheime Gesell- schaften mit politischer Tendenz; die wichtigste war der Dreifaltig- keitsbund, dessen Wahlspruch Fan Tsiṅ Fu Miṅ, »Nieder mit den Mandschu, hoch die Miṅ«, deutlich genug ist. Die Mitglieder oder »Brüder« verpflichteten sich nach Art der Freimaurer zu gegen- seitiger Hülfe und lockerten dadurch ihre Beziehungen zur Familie und bürgerlichen Gesellschaft; oft traten sie als mächtige Räuber- banden auf, welche zur See wie zu Lande die bestehende Ordnung befehdeten und den Provinzialbehörden Jahre lang zu schaffen machten. War der politische Zweck hier auch nur Deckmantel, so wurde er doch niemals vergessen; der Bund bildete einen Stamm, um den sich alle Unzufriedenen schaarten. Den grössten Theil des 18. Jahrhunderts hindurch scheinen die geheimen Gesellschaften sich nach aussen wenig geregt zu haben; aber in den letzten Regierungsjahren des Kien-loṅ brachen Unruhen in mehreren Provinzen aus. Kia-kiṅ musste bei seiner Thronbesteigung einen Frieden mit den Miao-tse schliessen, der viel Geld kostete. Seine Hofhaltung verschlang ebenfalls grosse Summen; er scheint zuerst den Verkauf von Aemtern eingeführt zu haben, welcher den berechtigten Stolz der studirten Chinesen auf das tiefste verletzte und dem Ansehen der Mandschu neue Wun- den schlug. — In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erhoben sich die Unzufriedenen in mehreren Provinzen; ein grosser Theil des Reiches wurde von zahlreichen Schaaren der Aufrührer und den schlecht bezahlten kaiserlichen Soldaten verwüstet. Die rebellischen Bewegungen scheiterten damals mehr an mangelnder Lebensfähigkeit, Organisation, Führung und am Widerstande der besitzenden Classen, als an der Macht der kaiserlichen Heere,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/177
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/177>, abgerufen am 04.12.2024.