sen Banden anzuschliessen." 83) -- Die Provinz Ho-nan war über- dies von Hungersnoth heimgesucht und im Zustande der furchtbar- sten Anarchie.
Die blosse Aufzählung dieser Feldzüge, welche, ausgenom- men den gegen Norden, lauter Raubzüge waren, zeigt schon, dass die Tae-pin-Bewegung ihre politische Bedeutung verloren hatte. Die Insurgenten verwüsteten von 1853 bis 1856 immer wieder die grosse Länderstrecke, welche zwischen I-tsan westlich und Tsin- kian östlich zu beiden Seiten des Yan-tse liegt, und drangen bis in das Herz der Provinzen Gan-wui, Hu-pi, Hu-nan und Kian-si. Bleibend hielten sie aber nur Nan-kin und die umliegenden Städte besetzt, wo unermessliche Schätze aufgehäuft wurden. Sie thaten den Mandschu durch Verwüstung jener Landschaften nur mittelbar Schaden, sich selbst aber weit grösseren, da ihr Namen gehasst und verflucht wurde, so weit man ihn kannte. Ueber gewaltige Mittel verfügend ermannten sich ihre Führer diese ganze Zeit und auch später nicht zu einem einzigen Unternehmen von politischer Bedeutung, sondern lebten planlos in den Tag hinein und gingen lediglich auf Raub und auf die Behauptung von Nan-kin aus, wel- ches schon in diesem Zeitraume beständig von kaiserlichen Truppen belagert, wenn auch nicht wirksam eingeschlossen wurde.
Die Lehre des Hun-siu-tsuen in ihrer ursprünglichen Ge- stalt ist in so fern ein merkwürdiges Phänomen, als sie gewisser- maassen die unvermittelte Wirkung des Alten und Neuen Testa- mentes auf den Chinesen darstellt, wobei freilich der sehr unvoll- kommenen Uebersetzung von Morrison von vorn herein Rechnung zu tragen ist. Welchen Eindruck unsere heiligen Schriften ohne die Unterweisung confessioneller Glaubenslehrer auf den in fremder Gesittung erzogenen Menschen machen, können wir kaum ermessen; ein rechtgläubiger Katholik oder Protestant würde schwerlich selbst bei uns aus freier Durchdringung der Bibel hervorgehen. Das christliche Dogma in seiner heutigen Gestalt ist unter dem Einfluss der Anlagen und Anschauungen einer bestimmten Völkerfamilie, bestimmter historischer Ereignisse erwachsen; unter anderen Lebens- bedingungen würden sich andere Confessionen entwickeln. Jedes
sen Banden anzuschliessen.« 83) — Die Provinz Ho-nan war über- dies von Hungersnoth heimgesucht und im Zustande der furchtbar- sten Anarchie.
Die blosse Aufzählung dieser Feldzüge, welche, ausgenom- men den gegen Norden, lauter Raubzüge waren, zeigt schon, dass die Tae-piṅ-Bewegung ihre politische Bedeutung verloren hatte. Die Insurgenten verwüsteten von 1853 bis 1856 immer wieder die grosse Länderstrecke, welche zwischen I-tsaṅ westlich und Tšiṅ- kiaṅ östlich zu beiden Seiten des Yaṅ-tse liegt, und drangen bis in das Herz der Provinzen Gan-wui, Hu-pi, Hu-nan und Kiaṅ-si. Bleibend hielten sie aber nur Nan-kiṅ und die umliegenden Städte besetzt, wo unermessliche Schätze aufgehäuft wurden. Sie thaten den Mandschu durch Verwüstung jener Landschaften nur mittelbar Schaden, sich selbst aber weit grösseren, da ihr Namen gehasst und verflucht wurde, so weit man ihn kannte. Ueber gewaltige Mittel verfügend ermannten sich ihre Führer diese ganze Zeit und auch später nicht zu einem einzigen Unternehmen von politischer Bedeutung, sondern lebten planlos in den Tag hinein und gingen lediglich auf Raub und auf die Behauptung von Nan-kiṅ aus, wel- ches schon in diesem Zeitraume beständig von kaiserlichen Truppen belagert, wenn auch nicht wirksam eingeschlossen wurde.
Die Lehre des Huṅ-siu-tsuen in ihrer ursprünglichen Ge- stalt ist in so fern ein merkwürdiges Phänomen, als sie gewisser- maassen die unvermittelte Wirkung des Alten und Neuen Testa- mentes auf den Chinesen darstellt, wobei freilich der sehr unvoll- kommenen Uebersetzung von Morrison von vorn herein Rechnung zu tragen ist. Welchen Eindruck unsere heiligen Schriften ohne die Unterweisung confessioneller Glaubenslehrer auf den in fremder Gesittung erzogenen Menschen machen, können wir kaum ermessen; ein rechtgläubiger Katholik oder Protestant würde schwerlich selbst bei uns aus freier Durchdringung der Bibel hervorgehen. Das christliche Dogma in seiner heutigen Gestalt ist unter dem Einfluss der Anlagen und Anschauungen einer bestimmten Völkerfamilie, bestimmter historischer Ereignisse erwachsen; unter anderen Lebens- bedingungen würden sich andere Confessionen entwickeln. Jedes
83) In der amtlichen Zeitung von Pe-kiṅ gedruckt.
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Die Lehre des Huṅ-siu-tsuen.
sen Banden anzuschliessen.« 83) — Die Provinz Ho-nan war über-
dies von Hungersnoth heimgesucht und im Zustande der furchtbar-
sten Anarchie.
Die blosse Aufzählung dieser Feldzüge, welche, ausgenom-
men den gegen Norden, lauter Raubzüge waren, zeigt schon, dass
die Tae-piṅ-Bewegung ihre politische Bedeutung verloren hatte.
Die Insurgenten verwüsteten von 1853 bis 1856 immer wieder die
grosse Länderstrecke, welche zwischen I-tsaṅ westlich und Tšiṅ-
kiaṅ östlich zu beiden Seiten des Yaṅ-tse liegt, und drangen bis
in das Herz der Provinzen Gan-wui, Hu-pi, Hu-nan und Kiaṅ-si.
Bleibend hielten sie aber nur Nan-kiṅ und die umliegenden Städte
besetzt, wo unermessliche Schätze aufgehäuft wurden. Sie thaten
den Mandschu durch Verwüstung jener Landschaften nur mittelbar
Schaden, sich selbst aber weit grösseren, da ihr Namen gehasst
und verflucht wurde, so weit man ihn kannte. Ueber gewaltige
Mittel verfügend ermannten sich ihre Führer diese ganze Zeit und
auch später nicht zu einem einzigen Unternehmen von politischer
Bedeutung, sondern lebten planlos in den Tag hinein und gingen
lediglich auf Raub und auf die Behauptung von Nan-kiṅ aus, wel-
ches schon in diesem Zeitraume beständig von kaiserlichen Truppen
belagert, wenn auch nicht wirksam eingeschlossen wurde.
Die Lehre des Huṅ-siu-tsuen in ihrer ursprünglichen Ge-
stalt ist in so fern ein merkwürdiges Phänomen, als sie gewisser-
maassen die unvermittelte Wirkung des Alten und Neuen Testa-
mentes auf den Chinesen darstellt, wobei freilich der sehr unvoll-
kommenen Uebersetzung von Morrison von vorn herein Rechnung
zu tragen ist. Welchen Eindruck unsere heiligen Schriften ohne
die Unterweisung confessioneller Glaubenslehrer auf den in fremder
Gesittung erzogenen Menschen machen, können wir kaum ermessen;
ein rechtgläubiger Katholik oder Protestant würde schwerlich selbst
bei uns aus freier Durchdringung der Bibel hervorgehen. Das
christliche Dogma in seiner heutigen Gestalt ist unter dem Einfluss
der Anlagen und Anschauungen einer bestimmten Völkerfamilie,
bestimmter historischer Ereignisse erwachsen; unter anderen Lebens-
bedingungen würden sich andere Confessionen entwickeln. Jedes
83) In der amtlichen Zeitung von Pe-kiṅ gedruckt.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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