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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Notenwechsel.
Thore, die Franzosen die andere Seite bis zur südöstlichen Ecke
der Tartarenstadt. Die Sieger brachten über die breiten Rampen
ihre Feldgeschütze mit Leichtigkeit auf die Mauer und richteten sie
auf die Stadt. Pe-kin lag zu ihren Füssen.

Am nächsten Tage wurden die letzten überlebenden Gefan-
genen und die stark verwesten Leichen der Uebrigen ausgeliefert.
Die lebenden litten an den furchtbarsten Wunden und verloren
zum Theil den Gebrauch ihrer Glieder. Lord Elgin ahnte nicht
diese Unmenschlichkeit, als er am 7. October seine letzten Forde-
rungen stellte. Im Heer der Verbündeten gährte wilde Erbitterung;
die Führer mussten bedacht sein auf einen Act exemplarischer Ver-
geltung, der den intellectuellen Urheber der Misshandlungen mit
besonderer Härte träfe. Auch sollte die Bevölkerung von Pe-kin
erfahren, dass die Verbündeten wirklich Herren der Situation seien,
damit nicht in gewohnter Weise die geübte Schonung als Schwäche
und Ohnmacht gedeutet würde. In Pe-kin selbst öffentliche Ge-
bäude zu zerstören, hinderte Lord Elgin sein gegebenes Wort.
Die Zahlung einer grossen Summe Geldes hätte nur das Volk, nicht
den Fürsten getroffen und wäre zudem eine unwürdige Sühne der
verübten Verbrechen gewesen. Die Auslieferung der wirklichen
Urheber war nicht zu hoffen; man hätte sie auch kaum zu strafen
gewusst. Deshalb beschloss Lord Elgin die völlige Zerstörung der
eigentlichen Residenz der Tsin-Dynastie, des Sommerpalastes,
welche den Kaiser persönlich am härtesten treffen und auf die Be-
völkerung von Pe-kin den tiefsten Eindruck machen musste. Baron
Gros und General Montauban lehnten jede Theilnahme an dieser
Maassregel ab.

Am 14. October hatte der Prinz von Kun eine Note an
Lord Elgin gerichtet, in welcher er die Disciplin seines "Gefolges"
-- er wollte nicht sagen der "Truppen" -- lobte, und meldete, dass
Han-ki mit Verabredung der für Unterzeichnung der Convention
u. s. w. zu treffenden Anstalten beauftragt sei. Lord Elgin ant-
wortete in einem sehr ernsten Schreiben. In ungeschmückter Sprache
hält er dem Prinzen den Verrath von Tun-tsau, die verbreche-
rische Misshandlung der Gefangenen und seine falschen Berichte
über deren Wohlergehen vor. Die Versprechen der Alliirten seien
in der Voraussetzung gegeben, dass die Erklärungen des Prinzen
auf Wahrheit beruhten, würden aber durch deren Grundlosigkeit
null und nichtig. Der Prinz gebehrde sich, als sei der Frieden

Notenwechsel.
Thore, die Franzosen die andere Seite bis zur südöstlichen Ecke
der Tartarenstadt. Die Sieger brachten über die breiten Rampen
ihre Feldgeschütze mit Leichtigkeit auf die Mauer und richteten sie
auf die Stadt. Pe-kiṅ lag zu ihren Füssen.

Am nächsten Tage wurden die letzten überlebenden Gefan-
genen und die stark verwesten Leichen der Uebrigen ausgeliefert.
Die lebenden litten an den furchtbarsten Wunden und verloren
zum Theil den Gebrauch ihrer Glieder. Lord Elgin ahnte nicht
diese Unmenschlichkeit, als er am 7. October seine letzten Forde-
rungen stellte. Im Heer der Verbündeten gährte wilde Erbitterung;
die Führer mussten bedacht sein auf einen Act exemplarischer Ver-
geltung, der den intellectuellen Urheber der Misshandlungen mit
besonderer Härte träfe. Auch sollte die Bevölkerung von Pe-kiṅ
erfahren, dass die Verbündeten wirklich Herren der Situation seien,
damit nicht in gewohnter Weise die geübte Schonung als Schwäche
und Ohnmacht gedeutet würde. In Pe-kiṅ selbst öffentliche Ge-
bäude zu zerstören, hinderte Lord Elgin sein gegebenes Wort.
Die Zahlung einer grossen Summe Geldes hätte nur das Volk, nicht
den Fürsten getroffen und wäre zudem eine unwürdige Sühne der
verübten Verbrechen gewesen. Die Auslieferung der wirklichen
Urheber war nicht zu hoffen; man hätte sie auch kaum zu strafen
gewusst. Deshalb beschloss Lord Elgin die völlige Zerstörung der
eigentlichen Residenz der Tsiṅ-Dynastie, des Sommerpalastes,
welche den Kaiser persönlich am härtesten treffen und auf die Be-
völkerung von Pe-kiṅ den tiefsten Eindruck machen musste. Baron
Gros und General Montauban lehnten jede Theilnahme an dieser
Maassregel ab.

Am 14. October hatte der Prinz von Kuṅ eine Note an
Lord Elgin gerichtet, in welcher er die Disciplin seines »Gefolges«
— er wollte nicht sagen der »Truppen« — lobte, und meldete, dass
Haṅ-ki mit Verabredung der für Unterzeichnung der Convention
u. s. w. zu treffenden Anstalten beauftragt sei. Lord Elgin ant-
wortete in einem sehr ernsten Schreiben. In ungeschmückter Sprache
hält er dem Prinzen den Verrath von Tuṅ-tšau, die verbreche-
rische Misshandlung der Gefangenen und seine falschen Berichte
über deren Wohlergehen vor. Die Versprechen der Alliirten seien
in der Voraussetzung gegeben, dass die Erklärungen des Prinzen
auf Wahrheit beruhten, würden aber durch deren Grundlosigkeit
null und nichtig. Der Prinz gebehrde sich, als sei der Frieden

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[365/0387] Notenwechsel. Thore, die Franzosen die andere Seite bis zur südöstlichen Ecke der Tartarenstadt. Die Sieger brachten über die breiten Rampen ihre Feldgeschütze mit Leichtigkeit auf die Mauer und richteten sie auf die Stadt. Pe-kiṅ lag zu ihren Füssen. Am nächsten Tage wurden die letzten überlebenden Gefan- genen und die stark verwesten Leichen der Uebrigen ausgeliefert. Die lebenden litten an den furchtbarsten Wunden und verloren zum Theil den Gebrauch ihrer Glieder. Lord Elgin ahnte nicht diese Unmenschlichkeit, als er am 7. October seine letzten Forde- rungen stellte. Im Heer der Verbündeten gährte wilde Erbitterung; die Führer mussten bedacht sein auf einen Act exemplarischer Ver- geltung, der den intellectuellen Urheber der Misshandlungen mit besonderer Härte träfe. Auch sollte die Bevölkerung von Pe-kiṅ erfahren, dass die Verbündeten wirklich Herren der Situation seien, damit nicht in gewohnter Weise die geübte Schonung als Schwäche und Ohnmacht gedeutet würde. In Pe-kiṅ selbst öffentliche Ge- bäude zu zerstören, hinderte Lord Elgin sein gegebenes Wort. Die Zahlung einer grossen Summe Geldes hätte nur das Volk, nicht den Fürsten getroffen und wäre zudem eine unwürdige Sühne der verübten Verbrechen gewesen. Die Auslieferung der wirklichen Urheber war nicht zu hoffen; man hätte sie auch kaum zu strafen gewusst. Deshalb beschloss Lord Elgin die völlige Zerstörung der eigentlichen Residenz der Tsiṅ-Dynastie, des Sommerpalastes, welche den Kaiser persönlich am härtesten treffen und auf die Be- völkerung von Pe-kiṅ den tiefsten Eindruck machen musste. Baron Gros und General Montauban lehnten jede Theilnahme an dieser Maassregel ab. Am 14. October hatte der Prinz von Kuṅ eine Note an Lord Elgin gerichtet, in welcher er die Disciplin seines »Gefolges« — er wollte nicht sagen der »Truppen« — lobte, und meldete, dass Haṅ-ki mit Verabredung der für Unterzeichnung der Convention u. s. w. zu treffenden Anstalten beauftragt sei. Lord Elgin ant- wortete in einem sehr ernsten Schreiben. In ungeschmückter Sprache hält er dem Prinzen den Verrath von Tuṅ-tšau, die verbreche- rische Misshandlung der Gefangenen und seine falschen Berichte über deren Wohlergehen vor. Die Versprechen der Alliirten seien in der Voraussetzung gegeben, dass die Erklärungen des Prinzen auf Wahrheit beruhten, würden aber durch deren Grundlosigkeit null und nichtig. Der Prinz gebehrde sich, als sei der Frieden

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/387>, abgerufen am 24.11.2024.