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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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XIII. Der Justizpalast.
Hallen und Gängen stehen lange Reihen grotesker Bildsäulen, ka-
nonisirte Kaiser, Priester und Weltweise darstellend. Die sonder-
barsten Fratzen, colossale Schreckbilder mit grimmigem Schnurr-
und Knebelbart finden sich in den Tempeln der Tao-Secte: das
sind die schicksallenkenden Dämonen, die Spender allen Uebels,
das des Volkes abergläubische Furcht durch Opfer abzuwenden
trachtet.

Der Justizpalast, wo der Tsi-hien oder Oberrichter wohnt,
ist eben so schmutzig wie die Tempel; zwei Flaggenmaste bezeich-
nen die Wohnung des hohen Beamten. Solche Masten, an welchen
bei Festlichkeiten bunte Banner und Laternen prangen, stehen vor
allen grösseren Tempeln; Mandarinen soll diese Auszeichnung zu-
weilen durch kaiserliche Gnade verliehen werden. -- Am Thore
des Justizgebäudes sieht man gewöhnlich Sträflinge mit dem
Kan-go, einem schweren Brett um den Hals, auf welchem ihre
Vergehen aufgezeichnet sind. In den Vorhöfen lungert das gräss-
liche Geschlecht der Henker und Schergen, das sich von Erpres-
sung und Grausamkeit, oft gegen unschuldig Eingekerkerte, mästet.
Von Ketten erdrückt, liegen die Gefangenen dicht gedrängt in
engen, dunkelen Verliessen; die von der Regierung gelieferte Kost
läst sie langsam verschmachten; in den Wunden und Schwären der
elenden Gerippe nagen die Würmer. Wahre Jammergestalten sieht
man zum Verhör führen, wo Peitsche und Folter das Geständniss
erpressen. Selbst der flüchtige Anblick weckt Grauen.

Vom Blutdurst der Justiz redet folgender Vorfall, der da-
mals frisch im Gedächtniss der Ansiedler lebte. Der chinesische
Comprador eines Engländers erschoss beim Putzen eines Revolvers,
den er nicht geladen glaubte, einen Freund, der ihn eben besuchte.
Niemand zweifelte an der Absichtslosigkeit; der unglückliche Thäter
aber floh, da die chinesische Justiz Blut für Blut fordert. Nun
zog der Richter seine Frau und Kinder ein und zwang sie durch
unerhörte Grausamkeit, den Flüchtling unter Mittheilung ihrer
Qualen zur Rückkehr aufzufordern. Der Brief blieb ohne Wir-
kung, und nach langer Haft wurde die Familie entlassen. Da trieb
den Flüchtling die Sehnsucht nach Shang-hae, wo die Schergen
ihn bald aufspürten und zur Richtbank schleppten.

Die Stadt besitzt ein reinlich gehaltenes Findelhaus und
andere Anstalten wohlthätiger Vereine. Einer derselben stellte sich
die Aufgabe, Särge, namentlich für Kinder, an Unbemittelte zu

XIII. Der Justizpalast.
Hallen und Gängen stehen lange Reihen grotesker Bildsäulen, ka-
nonisirte Kaiser, Priester und Weltweise darstellend. Die sonder-
barsten Fratzen, colossale Schreckbilder mit grimmigem Schnurr-
und Knebelbart finden sich in den Tempeln der Tao-Secte: das
sind die schicksallenkenden Dämonen, die Spender allen Uebels,
das des Volkes abergläubische Furcht durch Opfer abzuwenden
trachtet.

Der Justizpalast, wo der Tši-hien oder Oberrichter wohnt,
ist eben so schmutzig wie die Tempel; zwei Flaggenmaste bezeich-
nen die Wohnung des hohen Beamten. Solche Masten, an welchen
bei Festlichkeiten bunte Banner und Laternen prangen, stehen vor
allen grösseren Tempeln; Mandarinen soll diese Auszeichnung zu-
weilen durch kaiserliche Gnade verliehen werden. — Am Thore
des Justizgebäudes sieht man gewöhnlich Sträflinge mit dem
Kaṅ-go, einem schweren Brett um den Hals, auf welchem ihre
Vergehen aufgezeichnet sind. In den Vorhöfen lungert das gräss-
liche Geschlecht der Henker und Schergen, das sich von Erpres-
sung und Grausamkeit, oft gegen unschuldig Eingekerkerte, mästet.
Von Ketten erdrückt, liegen die Gefangenen dicht gedrängt in
engen, dunkelen Verliessen; die von der Regierung gelieferte Kost
läst sie langsam verschmachten; in den Wunden und Schwären der
elenden Gerippe nagen die Würmer. Wahre Jammergestalten sieht
man zum Verhör führen, wo Peitsche und Folter das Geständniss
erpressen. Selbst der flüchtige Anblick weckt Grauen.

Vom Blutdurst der Justiz redet folgender Vorfall, der da-
mals frisch im Gedächtniss der Ansiedler lebte. Der chinesische
Comprador eines Engländers erschoss beim Putzen eines Revolvers,
den er nicht geladen glaubte, einen Freund, der ihn eben besuchte.
Niemand zweifelte an der Absichtslosigkeit; der unglückliche Thäter
aber floh, da die chinesische Justiz Blut für Blut fordert. Nun
zog der Richter seine Frau und Kinder ein und zwang sie durch
unerhörte Grausamkeit, den Flüchtling unter Mittheilung ihrer
Qualen zur Rückkehr aufzufordern. Der Brief blieb ohne Wir-
kung, und nach langer Haft wurde die Familie entlassen. Da trieb
den Flüchtling die Sehnsucht nach Shang-hae, wo die Schergen
ihn bald aufspürten und zur Richtbank schleppten.

Die Stadt besitzt ein reinlich gehaltenes Findelhaus und
andere Anstalten wohlthätiger Vereine. Einer derselben stellte sich
die Aufgabe, Särge, namentlich für Kinder, an Unbemittelte zu

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[383/0405] XIII. Der Justizpalast. Hallen und Gängen stehen lange Reihen grotesker Bildsäulen, ka- nonisirte Kaiser, Priester und Weltweise darstellend. Die sonder- barsten Fratzen, colossale Schreckbilder mit grimmigem Schnurr- und Knebelbart finden sich in den Tempeln der Tao-Secte: das sind die schicksallenkenden Dämonen, die Spender allen Uebels, das des Volkes abergläubische Furcht durch Opfer abzuwenden trachtet. Der Justizpalast, wo der Tši-hien oder Oberrichter wohnt, ist eben so schmutzig wie die Tempel; zwei Flaggenmaste bezeich- nen die Wohnung des hohen Beamten. Solche Masten, an welchen bei Festlichkeiten bunte Banner und Laternen prangen, stehen vor allen grösseren Tempeln; Mandarinen soll diese Auszeichnung zu- weilen durch kaiserliche Gnade verliehen werden. — Am Thore des Justizgebäudes sieht man gewöhnlich Sträflinge mit dem Kaṅ-go, einem schweren Brett um den Hals, auf welchem ihre Vergehen aufgezeichnet sind. In den Vorhöfen lungert das gräss- liche Geschlecht der Henker und Schergen, das sich von Erpres- sung und Grausamkeit, oft gegen unschuldig Eingekerkerte, mästet. Von Ketten erdrückt, liegen die Gefangenen dicht gedrängt in engen, dunkelen Verliessen; die von der Regierung gelieferte Kost läst sie langsam verschmachten; in den Wunden und Schwären der elenden Gerippe nagen die Würmer. Wahre Jammergestalten sieht man zum Verhör führen, wo Peitsche und Folter das Geständniss erpressen. Selbst der flüchtige Anblick weckt Grauen. Vom Blutdurst der Justiz redet folgender Vorfall, der da- mals frisch im Gedächtniss der Ansiedler lebte. Der chinesische Comprador eines Engländers erschoss beim Putzen eines Revolvers, den er nicht geladen glaubte, einen Freund, der ihn eben besuchte. Niemand zweifelte an der Absichtslosigkeit; der unglückliche Thäter aber floh, da die chinesische Justiz Blut für Blut fordert. Nun zog der Richter seine Frau und Kinder ein und zwang sie durch unerhörte Grausamkeit, den Flüchtling unter Mittheilung ihrer Qualen zur Rückkehr aufzufordern. Der Brief blieb ohne Wir- kung, und nach langer Haft wurde die Familie entlassen. Da trieb den Flüchtling die Sehnsucht nach Shang-hae, wo die Schergen ihn bald aufspürten und zur Richtbank schleppten. Die Stadt besitzt ein reinlich gehaltenes Findelhaus und andere Anstalten wohlthätiger Vereine. Einer derselben stellte sich die Aufgabe, Särge, namentlich für Kinder, an Unbemittelte zu

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/405>, abgerufen am 22.11.2024.