[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.XIII. Die Herrschaft der Mandschu. erlebte China wieder eine hohe Blüthe, und zwar, nach Kunst-werken, -- keineswegs vereinzelten, -- aus dieser Periode zu ur- theilen, der gesunden, kräftigen Blüthe. Da ist, wenigstens in der Kunst, kein Zeichen des Verfalls, kein sinnliches Raffinement, son- dern frisches rüstiges Leben. Sollte das nicht die Tsin-Herrschaft, das Aufrütteln der alten chinesischen Cultur durch die kräftige Hand der Tartaren-Kaiser gewirkt haben? -- Erst unter Kien- lon's Nachfolgern, in diesem Jahrhundert, scheint der Verfall ein- getreten und reissend fortgeschritten zu sein; die mächtige Hand fehlte, welche das Reich zusammenhielt, und in sich hatte der Or- ganismus keine Lebenskraft. Kia-kin war ein schlechter Regent und Verschwender; er führte den Aemter-Verkauf ein. Tau- kwan hatte bürgerliche Tugenden aber keine Herrschergaben. Die englischen Kriege brachten die grösste Noth über das Reich und gaben es Rebellionen preis; sie zerbrachen das göttliche Ansehn des erwählten Himmelssohnes und den Wahn von der Unbesieg- barkeit der Tartaren, auf welchen das Tsin-Haus seine Herrschaft wesentlich gründete; sie zerrütteten die Finanzen und zwangen den Kaiser zu ausgedehntem Aemter-Handel und Einführung von Geld- strafen, welche seitdem eine unentbehrliche Quelle des Staats- einkommens wurden. Dadurch erhielt allerdings die chinesische Gesittung den härtesten Schlag. Denn ihr ist der Kaiser der er- wählte Sohn des Himmels, das berufene Organ der Weltordnung, mit welcher er sich im vollkommensten Einklange befindet; seine Befehle sind die Gebote des Himmels, denen sich jeder Gute fügt, um selbst im Einklang mit der Weltordnung zu leben. Seine Ge- burt giebt dem Kaiser kein Recht auf den Thron; der Vorgänger, welchen seine Regierung als Himmelssohn legitimirte, hat ihn unter seinen Agnaten erwählt. Dass die Wahl richtig war, muss erst die Regierung des neuen Kaisers, der Segen beweisen, welchen sie dem Reiche bringt; die Prüfung, die er täglich besteht, zeigt ihn als den Würdigsten, als echten Himmelssohn. Wie nun der Thron, so sind auch alle Aemter berufen, die Weltordnung zur Geltung zu bringen; die Würdigsten sollen sie bekleiden. Diese im ganzen Reiche herauszufinden, ist der Zweck der öffentlichen Prüfungen, einer Einrichtung, die, nach Ueberwin- dung des Feudalismus vor Jahrhunderten zum integrirenden Theil des politischen Systemes wurde und auf dessen sittlicher Grund- lage beruht. 25*
XIII. Die Herrschaft der Mandschu. erlebte China wieder eine hohe Blüthe, und zwar, nach Kunst-werken, — keineswegs vereinzelten, — aus dieser Periode zu ur- theilen, der gesunden, kräftigen Blüthe. Da ist, wenigstens in der Kunst, kein Zeichen des Verfalls, kein sinnliches Raffinement, son- dern frisches rüstiges Leben. Sollte das nicht die Tsiṅ-Herrschaft, das Aufrütteln der alten chinesischen Cultur durch die kräftige Hand der Tartaren-Kaiser gewirkt haben? — Erst unter Kien- loṅ’s Nachfolgern, in diesem Jahrhundert, scheint der Verfall ein- getreten und reissend fortgeschritten zu sein; die mächtige Hand fehlte, welche das Reich zusammenhielt, und in sich hatte der Or- ganismus keine Lebenskraft. Kia-kiṅ war ein schlechter Regent und Verschwender; er führte den Aemter-Verkauf ein. Tau- kwaṅ hatte bürgerliche Tugenden aber keine Herrschergaben. Die englischen Kriege brachten die grösste Noth über das Reich und gaben es Rebellionen preis; sie zerbrachen das göttliche Ansehn des erwählten Himmelssohnes und den Wahn von der Unbesieg- barkeit der Tartaren, auf welchen das Tsiṅ-Haus seine Herrschaft wesentlich gründete; sie zerrütteten die Finanzen und zwangen den Kaiser zu ausgedehntem Aemter-Handel und Einführung von Geld- strafen, welche seitdem eine unentbehrliche Quelle des Staats- einkommens wurden. Dadurch erhielt allerdings die chinesische Gesittung den härtesten Schlag. Denn ihr ist der Kaiser der er- wählte Sohn des Himmels, das berufene Organ der Weltordnung, mit welcher er sich im vollkommensten Einklange befindet; seine Befehle sind die Gebote des Himmels, denen sich jeder Gute fügt, um selbst im Einklang mit der Weltordnung zu leben. Seine Ge- burt giebt dem Kaiser kein Recht auf den Thron; der Vorgänger, welchen seine Regierung als Himmelssohn legitimirte, hat ihn unter seinen Agnaten erwählt. Dass die Wahl richtig war, muss erst die Regierung des neuen Kaisers, der Segen beweisen, welchen sie dem Reiche bringt; die Prüfung, die er täglich besteht, zeigt ihn als den Würdigsten, als echten Himmelssohn. Wie nun der Thron, so sind auch alle Aemter berufen, die Weltordnung zur Geltung zu bringen; die Würdigsten sollen sie bekleiden. Diese im ganzen Reiche herauszufinden, ist der Zweck der öffentlichen Prüfungen, einer Einrichtung, die, nach Ueberwin- dung des Feudalismus vor Jahrhunderten zum integrirenden Theil des politischen Systemes wurde und auf dessen sittlicher Grund- lage beruht. 25*
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XIII. Die Herrschaft der Mandschu.
erlebte China wieder eine hohe Blüthe, und zwar, nach Kunst-
werken, — keineswegs vereinzelten, — aus dieser Periode zu ur-
theilen, der gesunden, kräftigen Blüthe. Da ist, wenigstens in der
Kunst, kein Zeichen des Verfalls, kein sinnliches Raffinement, son-
dern frisches rüstiges Leben. Sollte das nicht die Tsiṅ-Herrschaft,
das Aufrütteln der alten chinesischen Cultur durch die kräftige
Hand der Tartaren-Kaiser gewirkt haben? — Erst unter Kien-
loṅ’s Nachfolgern, in diesem Jahrhundert, scheint der Verfall ein-
getreten und reissend fortgeschritten zu sein; die mächtige Hand
fehlte, welche das Reich zusammenhielt, und in sich hatte der Or-
ganismus keine Lebenskraft. Kia-kiṅ war ein schlechter Regent
und Verschwender; er führte den Aemter-Verkauf ein. Tau-
kwaṅ hatte bürgerliche Tugenden aber keine Herrschergaben. Die
englischen Kriege brachten die grösste Noth über das Reich und
gaben es Rebellionen preis; sie zerbrachen das göttliche Ansehn
des erwählten Himmelssohnes und den Wahn von der Unbesieg-
barkeit der Tartaren, auf welchen das Tsiṅ-Haus seine Herrschaft
wesentlich gründete; sie zerrütteten die Finanzen und zwangen den
Kaiser zu ausgedehntem Aemter-Handel und Einführung von Geld-
strafen, welche seitdem eine unentbehrliche Quelle des Staats-
einkommens wurden. Dadurch erhielt allerdings die chinesische
Gesittung den härtesten Schlag. Denn ihr ist der Kaiser der er-
wählte Sohn des Himmels, das berufene Organ der Weltordnung,
mit welcher er sich im vollkommensten Einklange befindet; seine
Befehle sind die Gebote des Himmels, denen sich jeder Gute fügt,
um selbst im Einklang mit der Weltordnung zu leben. Seine Ge-
burt giebt dem Kaiser kein Recht auf den Thron; der Vorgänger,
welchen seine Regierung als Himmelssohn legitimirte, hat ihn
unter seinen Agnaten erwählt. Dass die Wahl richtig war, muss
erst die Regierung des neuen Kaisers, der Segen beweisen, welchen
sie dem Reiche bringt; die Prüfung, die er täglich besteht, zeigt
ihn als den Würdigsten, als echten Himmelssohn. Wie nun der
Thron, so sind auch alle Aemter berufen, die Weltordnung zur
Geltung zu bringen; die Würdigsten sollen sie bekleiden.
Diese im ganzen Reiche herauszufinden, ist der Zweck der
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