Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.XVIII. Umgebung. aus dem häuslichen und bürgerlichen Leben spricht. Die Frauenund Mädchen jeden Alters bewegen sich in den Häusern, auf den Strassen bei der grössten Decenz mit unbefangener Frei- heit; da ist keine Spur von Prüderie und angewöhnter Zurückhal- tung, die versteckte Rohheit, Gefährdung des Anstandes und der guten Sitte verriethe. Die Kinder sind lustig, aufgeweckt und wohl- erzogen, unter liebreicher Obhut ihrer Eltern oder erwachsener Ge- schwister. Unter den älteren Leuten aus dem Volke fällt die grosse Anzahl gutartiger, angenehmer Physiognomieen von ausgeprägter Eigenthümlichkeit, der Ausdruck ernsten Wohlwollens und freund- licher Herzensgüte auf, der von würdig vollbrachtem Leben und innerer Befriedigung, oft auch von tief empfundenen individuellen Schicksalen redet. Trotz allen Auswüchsen muss diese Gesittung auf den gesunden Grundlagen reiner Menschlichkeit fussen; der Heroismus der Liebe, Freundschaft, des Ehr- und Pflichtgefühls ist bei den Japanern bis zur Entartung ausgebildet; selbst ihre alten politischen Einrichtungen beruhen doch bei aller Verdorben- heit auf der natürlichsten Basis der menschlichen Gesellschaft, dem patriarchalischen Leben, dessen Ausartung sich in der ganzen Welt als Feudalismus documentirt. Man verzeihe dem Verfasser diese Abschweifung, zu der ihn Auf breiten Terrassen thronen Tempel von ernstem würdigem XVIII. Umgebung. aus dem häuslichen und bürgerlichen Leben spricht. Die Frauenund Mädchen jeden Alters bewegen sich in den Häusern, auf den Strassen bei der grössten Decenz mit unbefangener Frei- heit; da ist keine Spur von Prüderie und angewöhnter Zurückhal- tung, die versteckte Rohheit, Gefährdung des Anstandes und der guten Sitte verriethe. Die Kinder sind lustig, aufgeweckt und wohl- erzogen, unter liebreicher Obhut ihrer Eltern oder erwachsener Ge- schwister. Unter den älteren Leuten aus dem Volke fällt die grosse Anzahl gutartiger, angenehmer Physiognomieen von ausgeprägter Eigenthümlichkeit, der Ausdruck ernsten Wohlwollens und freund- licher Herzensgüte auf, der von würdig vollbrachtem Leben und innerer Befriedigung, oft auch von tief empfundenen individuellen Schicksalen redet. Trotz allen Auswüchsen muss diese Gesittung auf den gesunden Grundlagen reiner Menschlichkeit fussen; der Heroismus der Liebe, Freundschaft, des Ehr- und Pflichtgefühls ist bei den Japanern bis zur Entartung ausgebildet; selbst ihre alten politischen Einrichtungen beruhen doch bei aller Verdorben- heit auf der natürlichsten Basis der menschlichen Gesellschaft, dem patriarchalischen Leben, dessen Ausartung sich in der ganzen Welt als Feudalismus documentirt. 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XVIII. Umgebung.
aus dem häuslichen und bürgerlichen Leben spricht. Die Frauen
und Mädchen jeden Alters bewegen sich in den Häusern, auf
den Strassen bei der grössten Decenz mit unbefangener Frei-
heit; da ist keine Spur von Prüderie und angewöhnter Zurückhal-
tung, die versteckte Rohheit, Gefährdung des Anstandes und der
guten Sitte verriethe. Die Kinder sind lustig, aufgeweckt und wohl-
erzogen, unter liebreicher Obhut ihrer Eltern oder erwachsener Ge-
schwister. Unter den älteren Leuten aus dem Volke fällt die grosse
Anzahl gutartiger, angenehmer Physiognomieen von ausgeprägter
Eigenthümlichkeit, der Ausdruck ernsten Wohlwollens und freund-
licher Herzensgüte auf, der von würdig vollbrachtem Leben und
innerer Befriedigung, oft auch von tief empfundenen individuellen
Schicksalen redet. Trotz allen Auswüchsen muss diese Gesittung
auf den gesunden Grundlagen reiner Menschlichkeit fussen; der
Heroismus der Liebe, Freundschaft, des Ehr- und Pflichtgefühls
ist bei den Japanern bis zur Entartung ausgebildet; selbst ihre
alten politischen Einrichtungen beruhen doch bei aller Verdorben-
heit auf der natürlichsten Basis der menschlichen Gesellschaft,
dem patriarchalischen Leben, dessen Ausartung sich in der ganzen
Welt als Feudalismus documentirt.
Man verzeihe dem Verfasser diese Abschweifung, zu der ihn
die Erinnerung an die frohen Tage in Naṅgasaki hinreisst; man
verzeihe auch, wenn hier nochmals die landschaftliche Schönheit
dieses gesegneten Erdenwinkels gepriesen wird, deren Andenken
ihm seine unter dem Zauber der Gegenwart geschriebenen Briefe
erwecken. Bei der köstlichen Herbstluft war es ein Hochgenuss,
auf den die Stadt umkränzenden Höhen, auf den Friedhöfen her-
umzustreifen, welche die Abhänge überall bedecken, wo neben
riesigen Kiefern, Cryptomerien, Taxus, Podocarpus und Lebens-
bäumen der dunkele dichtbelaubte Kampherbaum, zartgefiederte
Bambus, zierliche Palmen, Cicadeen, Bananen und andere Tropen-
bewohner grünen, wo saftige Moose und Farrenkräuter zwischen
tausenderlei Gesträuch den Boden mit schwellendem Teppich be-
decken und der Epheu voll und üppig in die Wipfel steigt.
Auf breiten Terrassen thronen Tempel von ernstem würdigem
Ansehn. Ihre Färbung ist tief gesättigt, in voller Harmonie mit
der Umgebung, das Holzwerk rothbraun, bis in das Schwarze ver-
tieft, mit Broncebeschlägen von schöner Patina, die Dächer schwärz-
lich grau. Zahllose Grabsteine bedecken die Tempelterrassen und
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