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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Yamums und Tempel. XIX.
nur an wenigen Stellen ragt ein höheres Gebäude aus dem Häuser-
labyrinth. Hinter der Stadt schlängelt sich der Tsu-kian wie ein
silbernes Band durch die grüne Fläche, die nach Südosten unab-
sehbar, nach Süden und Westen von fernen Kämmen begrenzt ist.
Von Norden tritt der Fuss des steilen Gebirges hart an die Stadt
heran, welche die gegenüberliegenden Höhen völlig beherrschen.
Von da muss 1841 das aufgeregte Landvolk herabgestiegen sein,
das während der Waffenstillstandsverhandlungen den englischen
Truppen in den Rücken fiel. -- In der Nähe liegt ein Stadtthor
von der hergebrachten Bauart; die Wache war blau uniformirt, mit
rothem Besatz. Jeder Soldat trug auf der Brust den Namen seines
Regiments und auf dem Rücken in breiten Schriftzügen die Be-
theuerung, dass er sehr tapfer sei.

Unter den öffentlichen Gebäuden zeichneten sich die von
dem englischen und dem französischen Consul bewohnten Yamums
durch Grossartigkeit der Anlage aus. Endlose mit Steinplatten be-
legte Avenuen führen in grader Linie durch mehrere Portale und
Höfe, wo mächtige alte Bäume stehen; dann folgt eine Halle auf
niedrigem steinernem Sockel, von welcher ein breiter bedeckter
Gang nach dem Hauptgebäude läuft. Die ganze Flucht vom ersten
Portal an mag 600 Schritte lang sein. -- Die Bauwerke selbst
gleichen denen der Paläste von Pe-kin, sind aber sehr baufällig.

Tempel giebt es in Kan-ton viele; einer der merkwürdigsten
ist das grosse Pandämonium, welches dem von Pi-yun-tse im Ge-
birge bei Pe-kin gleicht. Auch hier stehen überlebensgrosse Portu-
giesen, Engländer und Holländer in komisch knapper Tracht unter
den Wohlthätern der Menschheit; die Menge der Glimmkerzen in
den vor den Götzen aufgestellten Opfergefässen zeugt von der Po-
pularität dieses Cultus. -- Ein anderer Tempel liegt in einem hüb-
schen Garten mit vielen Teichen, niedlichen Brücken, Pavillons und
künstlichen Felsen, die geschnörkelte Landschaft darstellend, die
man so häufig auf chinesischen Bildern sieht. Von den nord-
chinesischen Bauten unterscheidet sich die Tempel-Architectur dieser
Landestheile wesentlich; sie ist bunter, phantastischer, lustiger; die
Ornamentik beruht auf Anwendung von Kacheln, Stuck und Bruch-
stein. Pfeiler und Schwellen von sorgfältig behauenem Granit
treten an die Stelle der hölzernen; feine Stuckarbeiten an die Stelle
des Schnitzwerks. Gutes Bauholz scheint selten; die den nord-
chinesischen und japanischen Tempeln eigene Verschwendung des

Yamums und Tempel. XIX.
nur an wenigen Stellen ragt ein höheres Gebäude aus dem Häuser-
labyrinth. Hinter der Stadt schlängelt sich der Tšu-kiaṅ wie ein
silbernes Band durch die grüne Fläche, die nach Südosten unab-
sehbar, nach Süden und Westen von fernen Kämmen begrenzt ist.
Von Norden tritt der Fuss des steilen Gebirges hart an die Stadt
heran, welche die gegenüberliegenden Höhen völlig beherrschen.
Von da muss 1841 das aufgeregte Landvolk herabgestiegen sein,
das während der Waffenstillstandsverhandlungen den englischen
Truppen in den Rücken fiel. — In der Nähe liegt ein Stadtthor
von der hergebrachten Bauart; die Wache war blau uniformirt, mit
rothem Besatz. Jeder Soldat trug auf der Brust den Namen seines
Regiments und auf dem Rücken in breiten Schriftzügen die Be-
theuerung, dass er sehr tapfer sei.

Unter den öffentlichen Gebäuden zeichneten sich die von
dem englischen und dem französischen Consul bewohnten Yamums
durch Grossartigkeit der Anlage aus. Endlose mit Steinplatten be-
legte Avenuen führen in grader Linie durch mehrere Portale und
Höfe, wo mächtige alte Bäume stehen; dann folgt eine Halle auf
niedrigem steinernem Sockel, von welcher ein breiter bedeckter
Gang nach dem Hauptgebäude läuft. Die ganze Flucht vom ersten
Portal an mag 600 Schritte lang sein. — Die Bauwerke selbst
gleichen denen der Paläste von Pe-kiṅ, sind aber sehr baufällig.

Tempel giebt es in Kan-ton viele; einer der merkwürdigsten
ist das grosse Pandämonium, welches dem von Pi-yun-tse im Ge-
birge bei Pe-kiṅ gleicht. Auch hier stehen überlebensgrosse Portu-
giesen, Engländer und Holländer in komisch knapper Tracht unter
den Wohlthätern der Menschheit; die Menge der Glimmkerzen in
den vor den Götzen aufgestellten Opfergefässen zeugt von der Po-
pularität dieses Cultus. — Ein anderer Tempel liegt in einem hüb-
schen Garten mit vielen Teichen, niedlichen Brücken, Pavillons und
künstlichen Felsen, die geschnörkelte Landschaft darstellend, die
man so häufig auf chinesischen Bildern sieht. Von den nord-
chinesischen Bauten unterscheidet sich die Tempel-Architectur dieser
Landestheile wesentlich; sie ist bunter, phantastischer, lustiger; die
Ornamentik beruht auf Anwendung von Kacheln, Stuck und Bruch-
stein. Pfeiler und Schwellen von sorgfältig behauenem Granit
treten an die Stelle der hölzernen; feine Stuckarbeiten an die Stelle
des Schnitzwerks. Gutes Bauholz scheint selten; die den nord-
chinesischen und japanischen Tempeln eigene Verschwendung des

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[194/0208] Yamums und Tempel. XIX. nur an wenigen Stellen ragt ein höheres Gebäude aus dem Häuser- labyrinth. Hinter der Stadt schlängelt sich der Tšu-kiaṅ wie ein silbernes Band durch die grüne Fläche, die nach Südosten unab- sehbar, nach Süden und Westen von fernen Kämmen begrenzt ist. Von Norden tritt der Fuss des steilen Gebirges hart an die Stadt heran, welche die gegenüberliegenden Höhen völlig beherrschen. Von da muss 1841 das aufgeregte Landvolk herabgestiegen sein, das während der Waffenstillstandsverhandlungen den englischen Truppen in den Rücken fiel. — In der Nähe liegt ein Stadtthor von der hergebrachten Bauart; die Wache war blau uniformirt, mit rothem Besatz. Jeder Soldat trug auf der Brust den Namen seines Regiments und auf dem Rücken in breiten Schriftzügen die Be- theuerung, dass er sehr tapfer sei. Unter den öffentlichen Gebäuden zeichneten sich die von dem englischen und dem französischen Consul bewohnten Yamums durch Grossartigkeit der Anlage aus. Endlose mit Steinplatten be- legte Avenuen führen in grader Linie durch mehrere Portale und Höfe, wo mächtige alte Bäume stehen; dann folgt eine Halle auf niedrigem steinernem Sockel, von welcher ein breiter bedeckter Gang nach dem Hauptgebäude läuft. Die ganze Flucht vom ersten Portal an mag 600 Schritte lang sein. — Die Bauwerke selbst gleichen denen der Paläste von Pe-kiṅ, sind aber sehr baufällig. Tempel giebt es in Kan-ton viele; einer der merkwürdigsten ist das grosse Pandämonium, welches dem von Pi-yun-tse im Ge- birge bei Pe-kiṅ gleicht. Auch hier stehen überlebensgrosse Portu- giesen, Engländer und Holländer in komisch knapper Tracht unter den Wohlthätern der Menschheit; die Menge der Glimmkerzen in den vor den Götzen aufgestellten Opfergefässen zeugt von der Po- pularität dieses Cultus. — Ein anderer Tempel liegt in einem hüb- schen Garten mit vielen Teichen, niedlichen Brücken, Pavillons und künstlichen Felsen, die geschnörkelte Landschaft darstellend, die man so häufig auf chinesischen Bildern sieht. Von den nord- chinesischen Bauten unterscheidet sich die Tempel-Architectur dieser Landestheile wesentlich; sie ist bunter, phantastischer, lustiger; die Ornamentik beruht auf Anwendung von Kacheln, Stuck und Bruch- stein. Pfeiler und Schwellen von sorgfältig behauenem Granit treten an die Stelle der hölzernen; feine Stuckarbeiten an die Stelle des Schnitzwerks. Gutes Bauholz scheint selten; die den nord- chinesischen und japanischen Tempeln eigene Verschwendung des

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/208>, abgerufen am 27.11.2024.