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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXI. Tempelarchitectur.
chenes und vergoldetes Ornament die Pfeiler. Zur Vorhalle führen
einige Stufen hinan. -- Bei noch grösseren Tempeln schiebt sich
unter den Giebel ein zweites, oft unter dieses ein drittes Dach, als
wären deren so viele ungleich lange übereinandergestülpt; dann
schliessen sich an die untere Dachkante, meist auch an die Grund-
linie des Giebeldreiecks Vordächer von flacherer Neigung. Bei
diesen Tempeln läuft eine häufig doppelte Pfeilerstellung um die
ganze Cella; die Zahl der Pfeiler ist dann auch in der Giebelfront
den Dimensionen entsprechend grösser, und die Vorhalle mehrere
Pfeiler tief. Ein Geländer verbindet zuweilen die umlaufenden
Pfeiler, die bei den grössten Tempeln meist viereckig, ohne Sockel
und Capitäl sind. Die Cellawand und die Pfeiler sind weiss ge-
tüncht, seltener bunt gemalt.

Fast alle siamesischen Dächer sind an der First um ein Ge-
ringes länger, als an der unteren Kante, so dass die Giebel un-
merklich überhängen; das wirkt bei den grossen übereinander-
gesattelten Tempeldächern ganz sonderbar. Die First ladet an
beiden Enden in hochgeschwungene Hörner aus; von diesen läuft
eine Reihe nach oben gekrümmter vergoldeter Zähne die Giebel-
kanten hinab und endet unten in aufrechtstehende Adlerflügel. Wo
mehrere Dächer übereinander liegen, hat jedes sein Horn an der
Spitze, seine Zahnreihen und Adlerflügel. Unter den Giebelkanten
läuft, das mosaikgefüllte Giebelfeld einrahmend, ein aus Holz ge-
schnitztes durchbrochnes Ornament hin, das die graden steilen
Linien in geschweifte auflöst. -- Hier glaubt man auf den ersten
Blick zuweilen gothisirende Motive zu sehen: die gipfelnden Linien
stossen aber, wenn auch nach unten in hakenförmige Ausladungen
geschwungen, oben niemals als Curven, sondern immer als Grade
zusammen. Die Dachflächen sind mit bunten glasirten Ziegeln be-
kleidet, blau, roth, grün oder gelb, mit umlaufenden breiten Rän-
dern von anderer Farbe.

Im Innern der Cella theilt gewöhnlich eine an den langen
Wänden hinlaufende Pfeilerstellung zwei schmalere Seitenschiffe ab.
Die flache Decke ist zwischen dem Gebälk zuweilen getäfelt; warm
und harmonisch wirkt die gesättigte Farbe des Holzes. Die Pfeiler
und Wände sind meist in bunten Mustern oder mit figuristischen
Darstellungen bemalt. Dem Eingang gegenüber sitzen die Götzen.

Der Haupttempel von Wat Po ist ein ungeschlachtes Ge-
bäude von 80 Fuss Breite und 200 Fuss Länge; Cellawand und

XXI. Tempelarchitectur.
chenes und vergoldetes Ornament die Pfeiler. Zur Vorhalle führen
einige Stufen hinan. — Bei noch grösseren Tempeln schiebt sich
unter den Giebel ein zweites, oft unter dieses ein drittes Dach, als
wären deren so viele ungleich lange übereinandergestülpt; dann
schliessen sich an die untere Dachkante, meist auch an die Grund-
linie des Giebeldreiecks Vordächer von flacherer Neigung. Bei
diesen Tempeln läuft eine häufig doppelte Pfeilerstellung um die
ganze Cella; die Zahl der Pfeiler ist dann auch in der Giebelfront
den Dimensionen entsprechend grösser, und die Vorhalle mehrere
Pfeiler tief. Ein Geländer verbindet zuweilen die umlaufenden
Pfeiler, die bei den grössten Tempeln meist viereckig, ohne Sockel
und Capitäl sind. Die Cellawand und die Pfeiler sind weiss ge-
tüncht, seltener bunt gemalt.

Fast alle siamesischen Dächer sind an der First um ein Ge-
ringes länger, als an der unteren Kante, so dass die Giebel un-
merklich überhängen; das wirkt bei den grossen übereinander-
gesattelten Tempeldächern ganz sonderbar. Die First ladet an
beiden Enden in hochgeschwungene Hörner aus; von diesen läuft
eine Reihe nach oben gekrümmter vergoldeter Zähne die Giebel-
kanten hinab und endet unten in aufrechtstehende Adlerflügel. Wo
mehrere Dächer übereinander liegen, hat jedes sein Horn an der
Spitze, seine Zahnreihen und Adlerflügel. Unter den Giebelkanten
läuft, das mosaikgefüllte Giebelfeld einrahmend, ein aus Holz ge-
schnitztes durchbrochnes Ornament hin, das die graden steilen
Linien in geschweifte auflöst. — Hier glaubt man auf den ersten
Blick zuweilen gothisirende Motive zu sehen: die gipfelnden Linien
stossen aber, wenn auch nach unten in hakenförmige Ausladungen
geschwungen, oben niemals als Curven, sondern immer als Grade
zusammen. Die Dachflächen sind mit bunten glasirten Ziegeln be-
kleidet, blau, roth, grün oder gelb, mit umlaufenden breiten Rän-
dern von anderer Farbe.

Im Innern der Cella theilt gewöhnlich eine an den langen
Wänden hinlaufende Pfeilerstellung zwei schmalere Seitenschiffe ab.
Die flache Decke ist zwischen dem Gebälk zuweilen getäfelt; warm
und harmonisch wirkt die gesättigte Farbe des Holzes. Die Pfeiler
und Wände sind meist in bunten Mustern oder mit figuristischen
Darstellungen bemalt. Dem Eingang gegenüber sitzen die Götzen.

Der Haupttempel von Wat Po ist ein ungeschlachtes Ge-
bäude von 80 Fuss Breite und 200 Fuss Länge; Cellawand und

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[279/0293] XXI. Tempelarchitectur. chenes und vergoldetes Ornament die Pfeiler. Zur Vorhalle führen einige Stufen hinan. — Bei noch grösseren Tempeln schiebt sich unter den Giebel ein zweites, oft unter dieses ein drittes Dach, als wären deren so viele ungleich lange übereinandergestülpt; dann schliessen sich an die untere Dachkante, meist auch an die Grund- linie des Giebeldreiecks Vordächer von flacherer Neigung. Bei diesen Tempeln läuft eine häufig doppelte Pfeilerstellung um die ganze Cella; die Zahl der Pfeiler ist dann auch in der Giebelfront den Dimensionen entsprechend grösser, und die Vorhalle mehrere Pfeiler tief. Ein Geländer verbindet zuweilen die umlaufenden Pfeiler, die bei den grössten Tempeln meist viereckig, ohne Sockel und Capitäl sind. Die Cellawand und die Pfeiler sind weiss ge- tüncht, seltener bunt gemalt. Fast alle siamesischen Dächer sind an der First um ein Ge- ringes länger, als an der unteren Kante, so dass die Giebel un- merklich überhängen; das wirkt bei den grossen übereinander- gesattelten Tempeldächern ganz sonderbar. Die First ladet an beiden Enden in hochgeschwungene Hörner aus; von diesen läuft eine Reihe nach oben gekrümmter vergoldeter Zähne die Giebel- kanten hinab und endet unten in aufrechtstehende Adlerflügel. Wo mehrere Dächer übereinander liegen, hat jedes sein Horn an der Spitze, seine Zahnreihen und Adlerflügel. Unter den Giebelkanten läuft, das mosaikgefüllte Giebelfeld einrahmend, ein aus Holz ge- schnitztes durchbrochnes Ornament hin, das die graden steilen Linien in geschweifte auflöst. — Hier glaubt man auf den ersten Blick zuweilen gothisirende Motive zu sehen: die gipfelnden Linien stossen aber, wenn auch nach unten in hakenförmige Ausladungen geschwungen, oben niemals als Curven, sondern immer als Grade zusammen. Die Dachflächen sind mit bunten glasirten Ziegeln be- kleidet, blau, roth, grün oder gelb, mit umlaufenden breiten Rän- dern von anderer Farbe. Im Innern der Cella theilt gewöhnlich eine an den langen Wänden hinlaufende Pfeilerstellung zwei schmalere Seitenschiffe ab. Die flache Decke ist zwischen dem Gebälk zuweilen getäfelt; warm und harmonisch wirkt die gesättigte Farbe des Holzes. Die Pfeiler und Wände sind meist in bunten Mustern oder mit figuristischen Darstellungen bemalt. Dem Eingang gegenüber sitzen die Götzen. Der Haupttempel von Wat Po ist ein ungeschlachtes Ge- bäude von 80 Fuss Breite und 200 Fuss Länge; Cellawand und

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/293>, abgerufen am 22.11.2024.