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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Ayutia. XXII.
einem Netz übersponnen, das Mauerwerk zugleich auseinander-
treibend und zusammenhaltend.

Gewiss liegen im Waldesdickicht noch viele Ruinen zerstreut,
das Gestrüpp ist aber undurchdringlich. Ayutia, das die Fran-
zosen des 17. Jahrhunderts gewöhnlich "Siam" nennen, war seit
seiner Gründung 1350, mit welcher die siamesische Geschichte be-
ginnt, bis zur Zerstörung durch die Birmanen 1767 Hauptstadt des
Reiches und Mittelpunct der Herrschaft in der glänzendsten Pe-
riode seiner Geschichte. Alle seefahrenden Nationen hatten dort
ihre Factoreien; der Handel muss im 17. Jahrhundert geblüht haben,
wie kaum jemals nachher in diesem Lande. La Loubere, der Siam
1687 als Gesandter Ludwig XIV. besuchte, giebt in seinem Werke
den Plan der Stadt, die an einem vom Menam und mehreren Zu-
flüssen gebildeten Wassernetz lag. Die Ufer sind hier höher als in
Bankok und werden wohl kaum beim höchsten Wasserstande über-
schwemmt. Die eigentliche Stadt, nach dem Plan zu urtheilen eine
von graden Strassen durchschnittene compacte Häusermasse, war von
zwei Hauptarmen des Menam umflossen und nur durch eine Brücke
mit dem anderen Ufer verbunden. Auf kleineren Inseln und Land-
zungen ringsum sind die Niederlassungen oder "Lager" der Chi-
nesen, Peguaner, Cochinchinesen, Macassaren, Malayen, Japaner,
Portugiesen, die Seminare und Häuser der französischen und portu-
giesischen Missionare verzeichnet. Die Hauptinsel soll anderthalb
deutsche Meilen im Umkreise haben. Die 40,000 Einwohner, die
Ayutia 1862 noch zählen sollte, merkte man nicht; sie müssen
weit zerstrent wohnen. König Maha-monkut liess damals einen
Palast und mehrere Tempel dort bauen.

Am 4. Februar holten Luan Senna Pagdi und der zweite
Gouverneur von Ayutia den Gesandten zu Besichtigung einiger
alten Bauten ab. Der Tempel Wat Dzon mit funfzig Fuss hohem
vergoldetem Buddabilde war noch gut erhalten; dort opferten
grade einige Chinesen unter schrecklicher Musik Glimmkerzen und
Silberpapier, klebten auch Stückchen Blattgold an die Bildsäule.
Einer nahm ein Paar Holzstäbchen aus dem Wahrsagebecher auf
dem Altar und warf sie mehrmals auf die Erde; sie wollten aber
nicht in der gewünschten Lage niederfallen, sein Gesicht wurde
immer wehmüthiger, und nach kurzem Gebet ging er von dannen.
-- Ein anderer gut erhaltener Tempel am Fluss heisst Wat Putai;
gleich unterhalb desselben bogen die Boote in einen engeren Fluss-

Ayutia. XXII.
einem Netz übersponnen, das Mauerwerk zugleich auseinander-
treibend und zusammenhaltend.

Gewiss liegen im Waldesdickicht noch viele Ruinen zerstreut,
das Gestrüpp ist aber undurchdringlich. Ayutia, das die Fran-
zosen des 17. Jahrhunderts gewöhnlich »Siam« nennen, war seit
seiner Gründung 1350, mit welcher die siamesische Geschichte be-
ginnt, bis zur Zerstörung durch die Birmanen 1767 Hauptstadt des
Reiches und Mittelpunct der Herrschaft in der glänzendsten Pe-
riode seiner Geschichte. Alle seefahrenden Nationen hatten dort
ihre Factoreien; der Handel muss im 17. Jahrhundert geblüht haben,
wie kaum jemals nachher in diesem Lande. La Loubère, der Siam
1687 als Gesandter Ludwig XIV. besuchte, giebt in seinem Werke
den Plan der Stadt, die an einem vom Menam und mehreren Zu-
flüssen gebildeten Wassernetz lag. Die Ufer sind hier höher als in
Baṅkok und werden wohl kaum beim höchsten Wasserstande über-
schwemmt. Die eigentliche Stadt, nach dem Plan zu urtheilen eine
von graden Strassen durchschnittene compacte Häusermasse, war von
zwei Hauptarmen des Menam umflossen und nur durch eine Brücke
mit dem anderen Ufer verbunden. Auf kleineren Inseln und Land-
zungen ringsum sind die Niederlassungen oder »Lager« der Chi-
nesen, Peguaner, Cochinchinesen, Macassaren, Malayen, Japaner,
Portugiesen, die Seminare und Häuser der französischen und portu-
giesischen Missionare verzeichnet. Die Hauptinsel soll anderthalb
deutsche Meilen im Umkreise haben. Die 40,000 Einwohner, die
Ayutia 1862 noch zählen sollte, merkte man nicht; sie müssen
weit zerstrent wohnen. König Maha-moṅkut liess damals einen
Palast und mehrere Tempel dort bauen.

Am 4. Februar holten Luaṅ Senna Pagdi und der zweite
Gouverneur von Ayutia den Gesandten zu Besichtigung einiger
alten Bauten ab. Der Tempel Wat Džoṅ mit funfzig Fuss hohem
vergoldetem Buddabilde war noch gut erhalten; dort opferten
grade einige Chinesen unter schrecklicher Musik Glimmkerzen und
Silberpapier, klebten auch Stückchen Blattgold an die Bildsäule.
Einer nahm ein Paar Holzstäbchen aus dem Wahrsagebecher auf
dem Altar und warf sie mehrmals auf die Erde; sie wollten aber
nicht in der gewünschten Lage niederfallen, sein Gesicht wurde
immer wehmüthiger, und nach kurzem Gebet ging er von dannen.
— Ein anderer gut erhaltener Tempel am Fluss heisst Wat Putaï;
gleich unterhalb desselben bogen die Boote in einen engeren Fluss-

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[312/0326] Ayutia. XXII. einem Netz übersponnen, das Mauerwerk zugleich auseinander- treibend und zusammenhaltend. Gewiss liegen im Waldesdickicht noch viele Ruinen zerstreut, das Gestrüpp ist aber undurchdringlich. Ayutia, das die Fran- zosen des 17. Jahrhunderts gewöhnlich »Siam« nennen, war seit seiner Gründung 1350, mit welcher die siamesische Geschichte be- ginnt, bis zur Zerstörung durch die Birmanen 1767 Hauptstadt des Reiches und Mittelpunct der Herrschaft in der glänzendsten Pe- riode seiner Geschichte. Alle seefahrenden Nationen hatten dort ihre Factoreien; der Handel muss im 17. Jahrhundert geblüht haben, wie kaum jemals nachher in diesem Lande. La Loubère, der Siam 1687 als Gesandter Ludwig XIV. besuchte, giebt in seinem Werke den Plan der Stadt, die an einem vom Menam und mehreren Zu- flüssen gebildeten Wassernetz lag. Die Ufer sind hier höher als in Baṅkok und werden wohl kaum beim höchsten Wasserstande über- schwemmt. Die eigentliche Stadt, nach dem Plan zu urtheilen eine von graden Strassen durchschnittene compacte Häusermasse, war von zwei Hauptarmen des Menam umflossen und nur durch eine Brücke mit dem anderen Ufer verbunden. Auf kleineren Inseln und Land- zungen ringsum sind die Niederlassungen oder »Lager« der Chi- nesen, Peguaner, Cochinchinesen, Macassaren, Malayen, Japaner, Portugiesen, die Seminare und Häuser der französischen und portu- giesischen Missionare verzeichnet. Die Hauptinsel soll anderthalb deutsche Meilen im Umkreise haben. Die 40,000 Einwohner, die Ayutia 1862 noch zählen sollte, merkte man nicht; sie müssen weit zerstrent wohnen. König Maha-moṅkut liess damals einen Palast und mehrere Tempel dort bauen. Am 4. Februar holten Luaṅ Senna Pagdi und der zweite Gouverneur von Ayutia den Gesandten zu Besichtigung einiger alten Bauten ab. Der Tempel Wat Džoṅ mit funfzig Fuss hohem vergoldetem Buddabilde war noch gut erhalten; dort opferten grade einige Chinesen unter schrecklicher Musik Glimmkerzen und Silberpapier, klebten auch Stückchen Blattgold an die Bildsäule. Einer nahm ein Paar Holzstäbchen aus dem Wahrsagebecher auf dem Altar und warf sie mehrmals auf die Erde; sie wollten aber nicht in der gewünschten Lage niederfallen, sein Gesicht wurde immer wehmüthiger, und nach kurzem Gebet ging er von dannen. — Ein anderer gut erhaltener Tempel am Fluss heisst Wat Putaï; gleich unterhalb desselben bogen die Boote in einen engeren Fluss-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/326>, abgerufen am 27.11.2024.