Die meisten Siamesen trinken nur Thee, den die Chinesen importiren, und meiden alle geistigen Getränke; der Genuss des landesüblichen aus Reis gebrannten Arrac soll jedoch Fortschritte machen. Der Opium-Einfuhr wehrte die Regierung lange Zeit ver- gebens und übertrug dann das Monopol einem Chinesen. Nur Chi- nesen ist der Gebrauch erlaubt; trotz der darauf gesetzten Todes- strafe soll er aber auch bei reichen Siamesen einreissen.
Alle Familienereignisse sind von abergläubischen Gebräuchen begleitet. Neben jeder gebärenden Frau wird ein Feuer angezündet und mehrere Wochen lang unterhalten; die dadurch erzeugte Hitze muss im tropischen Klima unerträglich sein, oft verbrennen auch Mutter und Kind, und Haus und Hof dazu. Die Mutter nährt ihre Kinder bis zum dritten und vierten Jahre, giebt ihnen aber auch Reis und Bananen; in diesem Alter können die meisten schon schwimmen. Bis zum fünften Jahr wird das ganze Haupthaar rasirt; nachher bleibt auf der Scheitel ein langer Schopf stehen, der in einen festen Knoten geschlungen und mit einer Nadel zu- sammengehalten wird. Bei eintretender Pubertät wird den Knaben wie den Mädchen der Schopf unter grossen Festlichkeiten kurz ge- schnitten; die Bonzen singen dazu ihre Litaneien und waschen dem geschmückten Festkinde den Kopf mit Weihwasser; alle Ver- wandten bringen reiche Gaben; man schmaust, zecht, raucht, kaut Betel, spielt Karten und Würfel den ganzen Tag. -- Bei den Grossen dauern die Festlichkeiten mehrere Tage; die Haarbeschnei- dung der Königskinder ist mit feierlichen Processionen, allegorischen Spielen, theatralischen Aufführungen und vielerlei Hocuspocus der Bonzen und Brahminen verbunden.
Nach der Haarbeschneidung werden die meisten Knaben einige Jahre in die Klöster geschickt, wo sie den prassenden Bonzen als Ruderer und Aufwärter dienen und dafür im Lesen, Schreiben und den Glaubenslehren unterrichtet werden sollen, aber nur Müssiggang, Schleckerei und Unsitte lernen. "Es ist That- sache, dass von hundert Knaben, die zehn bis zwölf Jahre im Tempel zubrachten, nicht zwanzig lesen und etwa zehn schreiben können, wenn sie diese Teufelsklöster verlassen. Die empfangene Erziehung besteht vorzüglich darin, dass sie Trägheit, Sittenver- derbniss und tausend abgeschmackte Mährchen gelernt haben. Nicht genug, dass sie Diener der Bonzen gewesen sind; die bud- distische Religion fordert auch, dass diese Knaben wenigstens auf
XXII. Gebräuche.
Die meisten Siamesen trinken nur Thee, den die Chinesen importiren, und meiden alle geistigen Getränke; der Genuss des landesüblichen aus Reis gebrannten Arrac soll jedoch Fortschritte machen. Der Opium-Einfuhr wehrte die Regierung lange Zeit ver- gebens und übertrug dann das Monopol einem Chinesen. Nur Chi- nesen ist der Gebrauch erlaubt; trotz der darauf gesetzten Todes- strafe soll er aber auch bei reichen Siamesen einreissen.
Alle Familienereignisse sind von abergläubischen Gebräuchen begleitet. Neben jeder gebärenden Frau wird ein Feuer angezündet und mehrere Wochen lang unterhalten; die dadurch erzeugte Hitze muss im tropischen Klima unerträglich sein, oft verbrennen auch Mutter und Kind, und Haus und Hof dazu. Die Mutter nährt ihre Kinder bis zum dritten und vierten Jahre, giebt ihnen aber auch Reis und Bananen; in diesem Alter können die meisten schon schwimmen. Bis zum fünften Jahr wird das ganze Haupthaar rasirt; nachher bleibt auf der Scheitel ein langer Schopf stehen, der in einen festen Knoten geschlungen und mit einer Nadel zu- sammengehalten wird. Bei eintretender Pubertät wird den Knaben wie den Mädchen der Schopf unter grossen Festlichkeiten kurz ge- schnitten; die Bonzen singen dazu ihre Litaneien und waschen dem geschmückten Festkinde den Kopf mit Weihwasser; alle Ver- wandten bringen reiche Gaben; man schmaust, zecht, raucht, kaut Betel, spielt Karten und Würfel den ganzen Tag. — Bei den Grossen dauern die Festlichkeiten mehrere Tage; die Haarbeschnei- dung der Königskinder ist mit feierlichen Processionen, allegorischen Spielen, theatralischen Aufführungen und vielerlei Hocuspocus der Bonzen und Brahminen verbunden.
Nach der Haarbeschneidung werden die meisten Knaben einige Jahre in die Klöster geschickt, wo sie den prassenden Bonzen als Ruderer und Aufwärter dienen und dafür im Lesen, Schreiben und den Glaubenslehren unterrichtet werden sollen, aber nur Müssiggang, Schleckerei und Unsitte lernen. »Es ist That- sache, dass von hundert Knaben, die zehn bis zwölf Jahre im Tempel zubrachten, nicht zwanzig lesen und etwa zehn schreiben können, wenn sie diese Teufelsklöster verlassen. Die empfangene Erziehung besteht vorzüglich darin, dass sie Trägheit, Sittenver- derbniss und tausend abgeschmackte Mährchen gelernt haben. Nicht genug, dass sie Diener der Bonzen gewesen sind; die bud- distische Religion fordert auch, dass diese Knaben wenigstens auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0343"n="329"/><fwplace="top"type="header">XXII. Gebräuche.</fw><lb/><p>Die meisten Siamesen trinken nur Thee, den die Chinesen<lb/>
importiren, und meiden alle geistigen Getränke; der Genuss des<lb/>
landesüblichen aus Reis gebrannten Arrac soll jedoch Fortschritte<lb/>
machen. Der Opium-Einfuhr wehrte die Regierung lange Zeit ver-<lb/>
gebens und übertrug dann das Monopol einem Chinesen. Nur Chi-<lb/>
nesen ist der Gebrauch erlaubt; trotz der darauf gesetzten Todes-<lb/>
strafe soll er aber auch bei reichen Siamesen einreissen.</p><lb/><p>Alle Familienereignisse sind von abergläubischen Gebräuchen<lb/>
begleitet. Neben jeder gebärenden Frau wird ein Feuer angezündet<lb/>
und mehrere Wochen lang unterhalten; die dadurch erzeugte Hitze<lb/>
muss im tropischen Klima unerträglich sein, oft verbrennen auch<lb/>
Mutter und Kind, und Haus und Hof dazu. Die Mutter nährt ihre<lb/>
Kinder bis zum dritten und vierten Jahre, giebt ihnen aber auch<lb/>
Reis und Bananen; in diesem Alter können die meisten schon<lb/>
schwimmen. Bis zum fünften Jahr wird das ganze Haupthaar<lb/>
rasirt; nachher bleibt auf der Scheitel ein langer Schopf stehen,<lb/>
der in einen festen Knoten geschlungen und mit einer Nadel zu-<lb/>
sammengehalten wird. Bei eintretender Pubertät wird den Knaben<lb/>
wie den Mädchen der Schopf unter grossen Festlichkeiten kurz ge-<lb/>
schnitten; die Bonzen singen dazu ihre Litaneien und waschen dem<lb/>
geschmückten Festkinde den Kopf mit Weihwasser; alle Ver-<lb/>
wandten bringen reiche Gaben; man schmaust, zecht, raucht, kaut<lb/>
Betel, spielt Karten und Würfel den ganzen Tag. — Bei den<lb/>
Grossen dauern die Festlichkeiten mehrere Tage; die Haarbeschnei-<lb/>
dung der Königskinder ist mit feierlichen Processionen, allegorischen<lb/>
Spielen, theatralischen Aufführungen und vielerlei Hocuspocus der<lb/>
Bonzen und Brahminen verbunden.</p><lb/><p>Nach der Haarbeschneidung werden die meisten Knaben<lb/>
einige Jahre in die Klöster geschickt, wo sie den prassenden<lb/>
Bonzen als Ruderer und Aufwärter dienen und dafür im Lesen,<lb/>
Schreiben und den Glaubenslehren unterrichtet werden sollen, aber<lb/>
nur Müssiggang, Schleckerei und Unsitte lernen. »Es ist That-<lb/>
sache, dass von hundert Knaben, die zehn bis zwölf Jahre im<lb/>
Tempel zubrachten, nicht zwanzig lesen und etwa zehn schreiben<lb/>
können, wenn sie diese Teufelsklöster verlassen. Die empfangene<lb/>
Erziehung besteht vorzüglich darin, dass sie Trägheit, Sittenver-<lb/>
derbniss und tausend abgeschmackte Mährchen gelernt haben.<lb/>
Nicht genug, dass sie Diener der Bonzen gewesen sind; die bud-<lb/>
distische Religion fordert auch, dass diese Knaben wenigstens auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[329/0343]
XXII. Gebräuche.
Die meisten Siamesen trinken nur Thee, den die Chinesen
importiren, und meiden alle geistigen Getränke; der Genuss des
landesüblichen aus Reis gebrannten Arrac soll jedoch Fortschritte
machen. Der Opium-Einfuhr wehrte die Regierung lange Zeit ver-
gebens und übertrug dann das Monopol einem Chinesen. Nur Chi-
nesen ist der Gebrauch erlaubt; trotz der darauf gesetzten Todes-
strafe soll er aber auch bei reichen Siamesen einreissen.
Alle Familienereignisse sind von abergläubischen Gebräuchen
begleitet. Neben jeder gebärenden Frau wird ein Feuer angezündet
und mehrere Wochen lang unterhalten; die dadurch erzeugte Hitze
muss im tropischen Klima unerträglich sein, oft verbrennen auch
Mutter und Kind, und Haus und Hof dazu. Die Mutter nährt ihre
Kinder bis zum dritten und vierten Jahre, giebt ihnen aber auch
Reis und Bananen; in diesem Alter können die meisten schon
schwimmen. Bis zum fünften Jahr wird das ganze Haupthaar
rasirt; nachher bleibt auf der Scheitel ein langer Schopf stehen,
der in einen festen Knoten geschlungen und mit einer Nadel zu-
sammengehalten wird. Bei eintretender Pubertät wird den Knaben
wie den Mädchen der Schopf unter grossen Festlichkeiten kurz ge-
schnitten; die Bonzen singen dazu ihre Litaneien und waschen dem
geschmückten Festkinde den Kopf mit Weihwasser; alle Ver-
wandten bringen reiche Gaben; man schmaust, zecht, raucht, kaut
Betel, spielt Karten und Würfel den ganzen Tag. — Bei den
Grossen dauern die Festlichkeiten mehrere Tage; die Haarbeschnei-
dung der Königskinder ist mit feierlichen Processionen, allegorischen
Spielen, theatralischen Aufführungen und vielerlei Hocuspocus der
Bonzen und Brahminen verbunden.
Nach der Haarbeschneidung werden die meisten Knaben
einige Jahre in die Klöster geschickt, wo sie den prassenden
Bonzen als Ruderer und Aufwärter dienen und dafür im Lesen,
Schreiben und den Glaubenslehren unterrichtet werden sollen, aber
nur Müssiggang, Schleckerei und Unsitte lernen. »Es ist That-
sache, dass von hundert Knaben, die zehn bis zwölf Jahre im
Tempel zubrachten, nicht zwanzig lesen und etwa zehn schreiben
können, wenn sie diese Teufelsklöster verlassen. Die empfangene
Erziehung besteht vorzüglich darin, dass sie Trägheit, Sittenver-
derbniss und tausend abgeschmackte Mährchen gelernt haben.
Nicht genug, dass sie Diener der Bonzen gewesen sind; die bud-
distische Religion fordert auch, dass diese Knaben wenigstens auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/343>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.