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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XV. Theater. Wettrennen.
Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber
das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane's brauner Reiter-
schaar. -- Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren
bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.

Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann-
schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu
machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die
Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb-
lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben
spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und
Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern,
die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den
Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi-
ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst
wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr
eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor-
zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen-
rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu-
putzen wussten. -- Das Local war ein den Officieren der Garni-
son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches
Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen
aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan-
den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre
dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen
wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und
Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen
konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer
schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er-
staunliches.

Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen
Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Dzim-kana nannten.
Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An-
kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den
Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete.
Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb San-ko-lin-
sin
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Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun-
gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester
Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender
Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-

XV. Theater. Wettrennen.
Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber
das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane’s brauner Reiter-
schaar. — Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren
bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.

Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann-
schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu
machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die
Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb-
lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben
spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und
Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern,
die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den
Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi-
ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst
wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr
eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor-
zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen-
rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu-
putzen wussten. — Das Local war ein den Officieren der Garni-
son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches
Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen
aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan-
den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre
dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen
wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und
Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen
konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer
schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er-
staunliches.

Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen
Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Džim-kana nannten.
Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An-
kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den
Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete.
Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb Saṅ-ko-lin-
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Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun-
gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester
Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender
Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-

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[21/0035] XV. Theater. Wettrennen. Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane’s brauner Reiter- schaar. — Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben. Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann- schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb- lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern, die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi- ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor- zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen- rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu- putzen wussten. — Das Local war ein den Officieren der Garni- son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan- den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er- staunliches. Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Džim-kana nannten. Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An- kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete. Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb Saṅ-ko-lin- sin’s Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun- gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/35>, abgerufen am 23.11.2024.