Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane's brauner Reiter- schaar. -- Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.
Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann- schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb- lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern, die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi- ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor- zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen- rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu- putzen wussten. -- Das Local war ein den Officieren der Garni- son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan- den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er- staunliches.
Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Dzim-kana nannten. Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An- kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete. Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb San-ko-lin- sin's Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun- gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-
XV. Theater. Wettrennen.
Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane’s brauner Reiter- schaar. — Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.
Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann- schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb- lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern, die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi- ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor- zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen- rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu- putzen wussten. — Das Local war ein den Officieren der Garni- son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan- den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er- staunliches.
Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Džim-kana nannten. Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An- kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete. Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb Saṅ-ko-lin- sin’s Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun- gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0035"n="21"/><fwplace="top"type="header">XV. Theater. Wettrennen.</fw><lb/>
Schmutzhölle <hirendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber<lb/>
das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane’s brauner Reiter-<lb/>
schaar. — Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren<lb/>
bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.</p><lb/><p>Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann-<lb/>
schaft und sich selbst den Aufenthalt in <hirendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> erträglich zu<lb/>
machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die<lb/>
Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb-<lb/>
lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben<lb/>
spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und<lb/>
Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern,<lb/>
die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den<lb/>
Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi-<lb/>
ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst<lb/>
wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr<lb/>
eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor-<lb/>
zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen-<lb/>
rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu-<lb/>
putzen wussten. — Das Local war ein den Officieren der Garni-<lb/>
son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches<lb/>
Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen<lb/>
aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan-<lb/>
den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre<lb/>
dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen<lb/>
wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und<lb/>
Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen<lb/>
konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer<lb/>
schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er-<lb/>
staunliches.</p><lb/><p>Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen<lb/>
Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck <hirendition="#k">Džim-kana</hi> nannten.<lb/>
Graf <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119178931">Eulenburg</persName> und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An-<lb/>
kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den<lb/>
Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete.<lb/>
Die Rennbahn war südlich von <hirendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> innerhalb <persNameref="http://d-nb.info/gnd/1043030107"><hirendition="#k">Saṅ-ko-lin-<lb/>
sin</hi>’s</persName> Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun-<lb/>
gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester<lb/>
Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender<lb/>
Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[21/0035]
XV. Theater. Wettrennen.
Schmutzhölle Tien-tsin vortrefflich aus; vor Allem gefiel uns aber
das malerisch-kriegerische Aussehn von Fane’s brauner Reiter-
schaar. — Die Geschütze nahmen, mit chinesischen Maulthieren
bespannt, im Galop ohne Anstoss einen breiten Graben.
Keine geringe Aufgabe war es für die Officiere, der Mann-
schaft und sich selbst den Aufenthalt in Tien-tsin erträglich zu
machen, wo sie schon den Winter verlebten. Vorzüglich um die
Soldaten in guter Stimmung zu erhalten, richteten sie mit erheb-
lichen Kosten ein Theater ein, wo sie abwechselnd mit denselben
spielten. Tragisches, Melodramatisches, Parodieen, Lustspiele und
Possen kamen auf die Bretter; es fehlte auch nicht an Dichtern,
die Couplets machten voll Anspielungen auf den Krieg und den
Garnison-Klatsch. Den Soldaten zu Liebe spielten auch die Offi-
ciere oft Rührstücke mit zarten Frauenrollen, bei denen sie selbst
wohl Thränen lachten, während Jene Alles sehr ernst nahmen; ihr
eigenes Vergnügen fanden sie an der Komik, und zeigten dazu vor-
zügliche Begabung. Possen gaben sie meisterhaft, auch die Frauen-
rollen, zu denen sich junge Officiere fast verführerisch aufzu-
putzen wussten. — Das Local war ein den Officieren der Garni-
son vom Obercommando als Ressource überwiesenes chinesisches
Theater; sie statteten die Bühne mit selbstgemalten Decorationen
aus und richteten ein Orchester ein. Im Zuschauerraum stan-
den vorn einige Bänke für die Officiere; das weite Parterre
dahinter besetzten die Soldaten. Oft mussten die Vorstellungen
wiederholt werden, um dem Andrang zu genügen. Kostüme und
Requisiten waren glänzend; aus den mässigen Eintrittspreisen
konnten die Kosten kaum bestritten werden, die Unternehmer
schossen wohl namhafte Summen zu, und leisteten wahrhaft Er-
staunliches.
Zur Pflege des Sport hatten die englischen Officiere einen
Club gestiftet, den sie mit indischem Ausdruck Džim-kana nannten.
Graf Eulenburg und seine Begleiter wurden gleich nach ihrer An-
kunft zu Ehrenmitgliedern berufen und wohnten regelmässig den
Wettrennen bei, welche der Club jeden Sonnabend veranstaltete.
Die Rennbahn war südlich von Tien-tsin innerhalb Saṅ-ko-lin-
sin’s Umwallung abgesteckt, wo in geräumigem Zelt die Zeichnun-
gen angenommen und alle strengen Regeln des Sport in bester
Form gehandhabt wurden. Oft liefen die Wetten zu bedeutender
Höhe: da gab es Rennen für arabische, englische, australische, tar-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/35>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.