Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.König Maha-monkut. XXII. das in langem Zuge 199 Bonzen, escortirt von keulentragendenEunuchen des Harem nahten. Die Bonzen sangen: "Nimm dein Mahl, doch sieh, es ist Staub. Iss um zu leben, dich kennen zu lernen, was du hier unten bist. Und sprich stets zu dir selbst: Erde ist, was ich esse, damit ich der Erde neues Leben gebe." Dann traten sie alle der Reihe nach vor den König, seine Kinder, Schwestern und Frauen, und empfingen deren Gaben in ein eisernes Becken, das jeder Bonze an einer Schnur um den Hals hängend unter dem Gewande tragen muss. Nachdem sie durch das "Thor der Erde" abgezogen, verfügte der König sich mit der Familie in den "zum Gedächtniss der Mutter" von ihm gebauten Privattempel, stieg allein die Altarstufen hinan, läutete die Glocke, zündete die Kerzen an, opferte weissen Lotus und Rosen, und brachte eine Stunde mit Gebeten und Vorlesen aus den heiligen Büchern zu. Dann legte er sich wieder zur Ruhe, bewacht von einer neuen Schaar Frauen; diejenigen der letzten Nachtwache kamen erst nach vierzehn Tagen wieder an die Reihe, wenn sie nicht vorher aus- drücklich befohlen wurden. Auf die Morgensiesta folgten einige Stunden Arbeit, besonders Abfassung englischer Briefe, darauf ge- gen zwölf das Frühstück: der König sass dabei an einem langen Tisch, neben dem zwölf Frauen des Harem, jede mit einer silbernen Schüssel standen, welche sie nach einander der ersten in der Reihe hinreichten. Diese nahm den silbernen Deckel ab, kostete und prä- sentirte, auf den Knieen heranrutschend, dem König die verschie- denen Suppen, Fleischsorten, Geflügel, Wild, Fische, Kuchen, Ge- lees, Früchte; Thee und Reis sind die obligaten Zuthaten jeder siamesischen Mahlzeit. -- Um zwei Uhr badete und salbte sich der König mit Hülfe seiner Frauen; nachher pflegte er eine Weile mit seinen Kindern und Lieblingsfrauen zu scherzen, dann in der Audienzhalle die Grossen zu empfangen und Staatsgeschäfte zu er- ledigen. Nachmittags folgte die Hauptmahlzeit und Abends ein leichtes Souper; um neun zog der König sich in seine Gemächer zurück. Dass er aus Besorgniss vor mörderischen Anschlägen jede Nacht in einem andern Zimmer geschlafen habe, ist wohl eine Er- findung; Mrs. Leonowens, die es gewiss erzählen würde, scheint nichts davon zu wissen. In seinen letzten Jahren soll Maha-monkut immer arg- König Maha-moṅkut. XXII. das in langem Zuge 199 Bonzen, escortirt von keulentragendenEunuchen des Harem nahten. Die Bonzen sangen: »Nimm dein Mahl, doch sieh, es ist Staub. Iss um zu leben, dich kennen zu lernen, was du hier unten bist. Und sprich stets zu dir selbst: Erde ist, was ich esse, damit ich der Erde neues Leben gebe.« Dann traten sie alle der Reihe nach vor den König, seine Kinder, Schwestern und Frauen, und empfingen deren Gaben in ein eisernes Becken, das jeder Bonze an einer Schnur um den Hals hängend unter dem Gewande tragen muss. Nachdem sie durch das »Thor der Erde« abgezogen, verfügte der König sich mit der Familie in den »zum Gedächtniss der Mutter« von ihm gebauten Privattempel, stieg allein die Altarstufen hinan, läutete die Glocke, zündete die Kerzen an, opferte weissen Lotus und Rosen, und brachte eine Stunde mit Gebeten und Vorlesen aus den heiligen Büchern zu. Dann legte er sich wieder zur Ruhe, bewacht von einer neuen Schaar Frauen; diejenigen der letzten Nachtwache kamen erst nach vierzehn Tagen wieder an die Reihe, wenn sie nicht vorher aus- drücklich befohlen wurden. Auf die Morgensiesta folgten einige Stunden Arbeit, besonders Abfassung englischer Briefe, darauf ge- gen zwölf das Frühstück: der König sass dabei an einem langen Tisch, neben dem zwölf Frauen des Harem, jede mit einer silbernen Schüssel standen, welche sie nach einander der ersten in der Reihe hinreichten. Diese nahm den silbernen Deckel ab, kostete und prä- sentirte, auf den Knieen heranrutschend, dem König die verschie- denen Suppen, Fleischsorten, Geflügel, Wild, Fische, Kuchen, Ge- lées, Früchte; Thee und Reis sind die obligaten Zuthaten jeder siamesischen Mahlzeit. — Um zwei Uhr badete und salbte sich der König mit Hülfe seiner Frauen; nachher pflegte er eine Weile mit seinen Kindern und Lieblingsfrauen zu scherzen, dann in der Audienzhalle die Grossen zu empfangen und Staatsgeschäfte zu er- ledigen. Nachmittags folgte die Hauptmahlzeit und Abends ein leichtes Souper; um neun zog der König sich in seine Gemächer zurück. Dass er aus Besorgniss vor mörderischen Anschlägen jede Nacht in einem andern Zimmer geschlafen habe, ist wohl eine Er- findung; Mrs. Leonowens, die es gewiss erzählen würde, scheint nichts davon zu wissen. 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König Maha-moṅkut. XXII.
das in langem Zuge 199 Bonzen, escortirt von keulentragenden
Eunuchen des Harem nahten. Die Bonzen sangen: »Nimm dein
Mahl, doch sieh, es ist Staub. Iss um zu leben, dich kennen zu
lernen, was du hier unten bist. Und sprich stets zu dir selbst:
Erde ist, was ich esse, damit ich der Erde neues Leben gebe.«
Dann traten sie alle der Reihe nach vor den König, seine Kinder,
Schwestern und Frauen, und empfingen deren Gaben in ein eisernes
Becken, das jeder Bonze an einer Schnur um den Hals hängend
unter dem Gewande tragen muss. Nachdem sie durch das »Thor
der Erde« abgezogen, verfügte der König sich mit der Familie in
den »zum Gedächtniss der Mutter« von ihm gebauten Privattempel,
stieg allein die Altarstufen hinan, läutete die Glocke, zündete die
Kerzen an, opferte weissen Lotus und Rosen, und brachte eine
Stunde mit Gebeten und Vorlesen aus den heiligen Büchern zu.
Dann legte er sich wieder zur Ruhe, bewacht von einer neuen
Schaar Frauen; diejenigen der letzten Nachtwache kamen erst nach
vierzehn Tagen wieder an die Reihe, wenn sie nicht vorher aus-
drücklich befohlen wurden. Auf die Morgensiesta folgten einige
Stunden Arbeit, besonders Abfassung englischer Briefe, darauf ge-
gen zwölf das Frühstück: der König sass dabei an einem langen
Tisch, neben dem zwölf Frauen des Harem, jede mit einer silbernen
Schüssel standen, welche sie nach einander der ersten in der Reihe
hinreichten. Diese nahm den silbernen Deckel ab, kostete und prä-
sentirte, auf den Knieen heranrutschend, dem König die verschie-
denen Suppen, Fleischsorten, Geflügel, Wild, Fische, Kuchen, Ge-
lées, Früchte; Thee und Reis sind die obligaten Zuthaten jeder
siamesischen Mahlzeit. — Um zwei Uhr badete und salbte sich der
König mit Hülfe seiner Frauen; nachher pflegte er eine Weile mit
seinen Kindern und Lieblingsfrauen zu scherzen, dann in der
Audienzhalle die Grossen zu empfangen und Staatsgeschäfte zu er-
ledigen. Nachmittags folgte die Hauptmahlzeit und Abends ein
leichtes Souper; um neun zog der König sich in seine Gemächer
zurück. Dass er aus Besorgniss vor mörderischen Anschlägen jede
Nacht in einem andern Zimmer geschlafen habe, ist wohl eine Er-
findung; Mrs. Leonowens, die es gewiss erzählen würde, scheint
nichts davon zu wissen.
In seinen letzten Jahren soll Maha-moṅkut immer arg-
wöhnischer und besonders auf den Zweiten König sehr eifersüchtig
geworden sein; es kam zu offenem Bruch zwischen den Brüdern,
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