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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XV. Kaufläden.
keine Käufer durch, bis der gefolterte Krämer sie abfindet. -- Die
Wittwen mit vaterlosen Waisen, deren Verwandtschaft wohl nicht
immer zu beweisen wäre, bilden eine andere Gattung; ferner
die Alten, Kranken, Blinden, Lahmen und Verwachsenen, die theils
wirklich Mitleid verdienen, theils ihre Schäden künstlich erzeugen
und pflegen. Dann giebt es Erzähler, Sänger und Citherspieler, --
die vielfach blind, durchgängig aber reinlicher und besser gekleidet
sind als die anderen Bettler.

Abends brennen vor Läden und Schenken bunte Laternen;
die Bewohner sitzen schwatzend in den Thüren; das lärmende
Treiben hat aufgehört, und die Gassen machen, in mildes Dämmer-
licht getaucht, den behaglichsten Eindruck. Hier und da versam-
meln sich Gruppen um einen Erzähler, der, hinter beleuchtetem
Tische stehend, seine gemessene Declamation mit emphatisch
graziösen Fächer-Schwenkungen begleitet: man hört ihm an-
dächtig zu.

Die ärmeren Classen bewohnen niedrige Häuser aus Lehm
und Holz, theils mit Ziegeln, theils mit Stroh gedeckt, über wel-
chem eine dicke Lage geglätteten Lehmes liegt; ein Obergeschoss
haben nur wenige. Es giebt auch flache Dächer aus grauem mit
Asphalt gemischtem Mörtel. In den besseren Gassen ist jedes Haus
ein Kaufladen: geschnitzte, vergoldete, gemalte Schilder mit Inschrif-
ten, Ladenzeichen und Emblemen bieten dicht bei einander hängend
den buntesten Anblick; zuweilen stehen hohe Steinpfeiler, das Dach
um das Doppelte überragend, vor den Läden, mit elegant ge-
meisselten Schriftzeichen und einem Zierrath auf der Spitze, der ein
niedliches Häuschen darstellt. -- Die besten Kaufläden lagen in der
Hauptstrasse der nordöstlichen Vorstadt; da gab es Kramläden aller
Art, Seiden-, Gold-, Pelz-, Schuh- und Kleiderläden. In letzteren,
wo meist gebrauchte Kleider verkauft wurden, war fast beständig
Auction; eine gaffende Menge pflegte davor zu stehen; der Ausrufer
hatte einen grossen Kleiderhaufen neben sich liegen, hob, mit lau-
ter Stimme den Preis hinausschreiend, ein Stück nach dem andern
in die Höhe und legte es, wenn Niemand bot, auf einen anderen
Haufen. So ging es Tag für Tag, und so kam, obgleich nur Ein-
zelnes gekauft wurde, wohl an jedes Stück einmal die Reihe.
Mehrere dieser Handlungen liegen oft neben einander, und die Aus-
rufer trachten einander zu überschreien. Auch Zopfläden giebt es
in dieser wie in allen belebten Strassen chinesischer Städte; denn

XV. Kaufläden.
keine Käufer durch, bis der gefolterte Krämer sie abfindet. — Die
Wittwen mit vaterlosen Waisen, deren Verwandtschaft wohl nicht
immer zu beweisen wäre, bilden eine andere Gattung; ferner
die Alten, Kranken, Blinden, Lahmen und Verwachsenen, die theils
wirklich Mitleid verdienen, theils ihre Schäden künstlich erzeugen
und pflegen. Dann giebt es Erzähler, Sänger und Citherspieler, —
die vielfach blind, durchgängig aber reinlicher und besser gekleidet
sind als die anderen Bettler.

Abends brennen vor Läden und Schenken bunte Laternen;
die Bewohner sitzen schwatzend in den Thüren; das lärmende
Treiben hat aufgehört, und die Gassen machen, in mildes Dämmer-
licht getaucht, den behaglichsten Eindruck. Hier und da versam-
meln sich Gruppen um einen Erzähler, der, hinter beleuchtetem
Tische stehend, seine gemessene Declamation mit emphatisch
graziösen Fächer-Schwenkungen begleitet: man hört ihm an-
dächtig zu.

Die ärmeren Classen bewohnen niedrige Häuser aus Lehm
und Holz, theils mit Ziegeln, theils mit Stroh gedeckt, über wel-
chem eine dicke Lage geglätteten Lehmes liegt; ein Obergeschoss
haben nur wenige. Es giebt auch flache Dächer aus grauem mit
Asphalt gemischtem Mörtel. In den besseren Gassen ist jedes Haus
ein Kaufladen: geschnitzte, vergoldete, gemalte Schilder mit Inschrif-
ten, Ladenzeichen und Emblemen bieten dicht bei einander hängend
den buntesten Anblick; zuweilen stehen hohe Steinpfeiler, das Dach
um das Doppelte überragend, vor den Läden, mit elegant ge-
meisselten Schriftzeichen und einem Zierrath auf der Spitze, der ein
niedliches Häuschen darstellt. — Die besten Kaufläden lagen in der
Hauptstrasse der nordöstlichen Vorstadt; da gab es Kramläden aller
Art, Seiden-, Gold-, Pelz-, Schuh- und Kleiderläden. In letzteren,
wo meist gebrauchte Kleider verkauft wurden, war fast beständig
Auction; eine gaffende Menge pflegte davor zu stehen; der Ausrufer
hatte einen grossen Kleiderhaufen neben sich liegen, hob, mit lau-
ter Stimme den Preis hinausschreiend, ein Stück nach dem andern
in die Höhe und legte es, wenn Niemand bot, auf einen anderen
Haufen. So ging es Tag für Tag, und so kam, obgleich nur Ein-
zelnes gekauft wurde, wohl an jedes Stück einmal die Reihe.
Mehrere dieser Handlungen liegen oft neben einander, und die Aus-
rufer trachten einander zu überschreien. Auch Zopfläden giebt es
in dieser wie in allen belebten Strassen chinesischer Städte; denn

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[25/0039] XV. Kaufläden. keine Käufer durch, bis der gefolterte Krämer sie abfindet. — Die Wittwen mit vaterlosen Waisen, deren Verwandtschaft wohl nicht immer zu beweisen wäre, bilden eine andere Gattung; ferner die Alten, Kranken, Blinden, Lahmen und Verwachsenen, die theils wirklich Mitleid verdienen, theils ihre Schäden künstlich erzeugen und pflegen. Dann giebt es Erzähler, Sänger und Citherspieler, — die vielfach blind, durchgängig aber reinlicher und besser gekleidet sind als die anderen Bettler. Abends brennen vor Läden und Schenken bunte Laternen; die Bewohner sitzen schwatzend in den Thüren; das lärmende Treiben hat aufgehört, und die Gassen machen, in mildes Dämmer- licht getaucht, den behaglichsten Eindruck. Hier und da versam- meln sich Gruppen um einen Erzähler, der, hinter beleuchtetem Tische stehend, seine gemessene Declamation mit emphatisch graziösen Fächer-Schwenkungen begleitet: man hört ihm an- dächtig zu. Die ärmeren Classen bewohnen niedrige Häuser aus Lehm und Holz, theils mit Ziegeln, theils mit Stroh gedeckt, über wel- chem eine dicke Lage geglätteten Lehmes liegt; ein Obergeschoss haben nur wenige. Es giebt auch flache Dächer aus grauem mit Asphalt gemischtem Mörtel. In den besseren Gassen ist jedes Haus ein Kaufladen: geschnitzte, vergoldete, gemalte Schilder mit Inschrif- ten, Ladenzeichen und Emblemen bieten dicht bei einander hängend den buntesten Anblick; zuweilen stehen hohe Steinpfeiler, das Dach um das Doppelte überragend, vor den Läden, mit elegant ge- meisselten Schriftzeichen und einem Zierrath auf der Spitze, der ein niedliches Häuschen darstellt. — Die besten Kaufläden lagen in der Hauptstrasse der nordöstlichen Vorstadt; da gab es Kramläden aller Art, Seiden-, Gold-, Pelz-, Schuh- und Kleiderläden. In letzteren, wo meist gebrauchte Kleider verkauft wurden, war fast beständig Auction; eine gaffende Menge pflegte davor zu stehen; der Ausrufer hatte einen grossen Kleiderhaufen neben sich liegen, hob, mit lau- ter Stimme den Preis hinausschreiend, ein Stück nach dem andern in die Höhe und legte es, wenn Niemand bot, auf einen anderen Haufen. So ging es Tag für Tag, und so kam, obgleich nur Ein- zelnes gekauft wurde, wohl an jedes Stück einmal die Reihe. Mehrere dieser Handlungen liegen oft neben einander, und die Aus- rufer trachten einander zu überschreien. Auch Zopfläden giebt es in dieser wie in allen belebten Strassen chinesischer Städte; denn

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/39>, abgerufen am 21.11.2024.