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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Thierkenntniss und Thiernamen.
der unsrigen: tapfere Soldaten werden mit Tigern vergleichen, die
Schauspieler, welche Offiziere und Generale vorstellen, bemalen ihr
Gesicht mit schwarzen Linien, die denen des Tigergesichtes gleichen,
und "den Tiger bei den Barthaaren fassen" ist sprüchwörtliche Be-
zeichnung eines muthigen Mannes.

Voreilige Schlüsse aus unvollständigen Beobachtungen haben
auch bei den Chinesen zu einer Reihe naturhistorischer Fabeln
geführt, z. B. über Verwandlung von einem Thier in ein anderes,
Feldmäuse in Wachteln u. s. f., wie ganz ähnliche bei Plinius, selbst
Aristoteles u. A. sich finden. Solche Vorurtheile sind auch in Europa
noch nicht erloschen, aber doch mehr und mehr auf die Ungebildeten
beschränkt; in China aber hat die allgemeine Achtung der Tradition
sie auch bei den Gebildeten noch in voller Geltung erhalten, und
sie erscheinen in der Litteratur oft als etwas längst Ausgemachtes,
Allbekanntes, ohne Spur eines Zweifels, aber auch ohne neue Be-
gründung, ein Merkmal wissenschaftlichen Stillstandes. 10)

Dagegen könnte es scheinen, als ob die Chinesen in Betreff
der allgemein verständlichen volksthümlichen Bezeichnungen der
Thiere wissenschaftlicher als wir Europäer wären. Da nämlich das
Wesen der chinesischen Schrift für jeden einzelnen Begriff, d. h.
einfaches Nomen oder Verbum, ein besonderes Zeichen verlangt,
aber eine grosse Anzahl unabhängiger Zeichen schwerer im Gedächt-
niss zu behalten ist, als gleich viele Zusammensetzungen aus einer
geringen Anzahl einzelner Zeichen (Buchstaben), so musste die
chinesische Sprache früher und allgemeiner als die europäischen
das Hülfsmittel einer Namengebung nach Art des naturhistorischen
Systems ergreifen, nämlich den minder bekannten oder neu erkun-
deten Thierarten nicht eigene unabhängige Namen zu geben, sondern
den des nächsten allbekannten Thieres mit einem unterscheidenden
Zusatz, oder auch, wo ein eigener Name vorhanden war, denselben
mit dem des bekannteren verwandten Thieres zu verbinden. Es ist
das nichts Anderes, als was in unseren deutschen Ausdrücken
Fledermaus, Seehund, Walfisch und Haifisch stattfindet. Die euro-
päischen Sprachen benutzen vielfach noch ein anderes Auskunfts-
mittel, die Einführung von Fremdwörtern; aber dieses ist dem
Chinesen eben durch sein System, ganze Worte, nicht Laute zu
bezeichnen, theoretisch ganz versagt, practisch nur unvollkommen
und mit Zweideutigkeiten möglich: die einzelnen Silben des Fremd-
wortes werden nämlich durch diejenigen chinesischen Wortzeichen

Thierkenntniss und Thiernamen.
der unsrigen: tapfere Soldaten werden mit Tigern vergleichen, die
Schauspieler, welche Offiziere und Generale vorstellen, bemalen ihr
Gesicht mit schwarzen Linien, die denen des Tigergesichtes gleichen,
und »den Tiger bei den Barthaaren fassen« ist sprüchwörtliche Be-
zeichnung eines muthigen Mannes.

Voreilige Schlüsse aus unvollständigen Beobachtungen haben
auch bei den Chinesen zu einer Reihe naturhistorischer Fabeln
geführt, z. B. über Verwandlung von einem Thier in ein anderes,
Feldmäuse in Wachteln u. s. f., wie ganz ähnliche bei Plinius, selbst
Aristoteles u. A. sich finden. Solche Vorurtheile sind auch in Europa
noch nicht erloschen, aber doch mehr und mehr auf die Ungebildeten
beschränkt; in China aber hat die allgemeine Achtung der Tradition
sie auch bei den Gebildeten noch in voller Geltung erhalten, und
sie erscheinen in der Litteratur oft als etwas längst Ausgemachtes,
Allbekanntes, ohne Spur eines Zweifels, aber auch ohne neue Be-
gründung, ein Merkmal wissenschaftlichen Stillstandes. 10)

Dagegen könnte es scheinen, als ob die Chinesen in Betreff
der allgemein verständlichen volksthümlichen Bezeichnungen der
Thiere wissenschaftlicher als wir Europäer wären. Da nämlich das
Wesen der chinesischen Schrift für jeden einzelnen Begriff, d. h.
einfaches Nomen oder Verbum, ein besonderes Zeichen verlangt,
aber eine grosse Anzahl unabhängiger Zeichen schwerer im Gedächt-
niss zu behalten ist, als gleich viele Zusammensetzungen aus einer
geringen Anzahl einzelner Zeichen (Buchstaben), so musste die
chinesische Sprache früher und allgemeiner als die europäischen
das Hülfsmittel einer Namengebung nach Art des naturhistorischen
Systems ergreifen, nämlich den minder bekannten oder neu erkun-
deten Thierarten nicht eigene unabhängige Namen zu geben, sondern
den des nächsten allbekannten Thieres mit einem unterscheidenden
Zusatz, oder auch, wo ein eigener Name vorhanden war, denselben
mit dem des bekannteren verwandten Thieres zu verbinden. Es ist
das nichts Anderes, als was in unseren deutschen Ausdrücken
Fledermaus, Seehund, Walfisch und Haifisch stattfindet. Die euro-
päischen Sprachen benutzen vielfach noch ein anderes Auskunfts-
mittel, die Einführung von Fremdwörtern; aber dieses ist dem
Chinesen eben durch sein System, ganze Worte, nicht Laute zu
bezeichnen, theoretisch ganz versagt, practisch nur unvollkommen
und mit Zweideutigkeiten möglich: die einzelnen Silben des Fremd-
wortes werden nämlich durch diejenigen chinesischen Wortzeichen

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[171/0189] Thierkenntniss und Thiernamen. der unsrigen: tapfere Soldaten werden mit Tigern vergleichen, die Schauspieler, welche Offiziere und Generale vorstellen, bemalen ihr Gesicht mit schwarzen Linien, die denen des Tigergesichtes gleichen, und »den Tiger bei den Barthaaren fassen« ist sprüchwörtliche Be- zeichnung eines muthigen Mannes. Voreilige Schlüsse aus unvollständigen Beobachtungen haben auch bei den Chinesen zu einer Reihe naturhistorischer Fabeln geführt, z. B. über Verwandlung von einem Thier in ein anderes, Feldmäuse in Wachteln u. s. f., wie ganz ähnliche bei Plinius, selbst Aristoteles u. A. sich finden. Solche Vorurtheile sind auch in Europa noch nicht erloschen, aber doch mehr und mehr auf die Ungebildeten beschränkt; in China aber hat die allgemeine Achtung der Tradition sie auch bei den Gebildeten noch in voller Geltung erhalten, und sie erscheinen in der Litteratur oft als etwas längst Ausgemachtes, Allbekanntes, ohne Spur eines Zweifels, aber auch ohne neue Be- gründung, ein Merkmal wissenschaftlichen Stillstandes. 10) Dagegen könnte es scheinen, als ob die Chinesen in Betreff der allgemein verständlichen volksthümlichen Bezeichnungen der Thiere wissenschaftlicher als wir Europäer wären. Da nämlich das Wesen der chinesischen Schrift für jeden einzelnen Begriff, d. h. einfaches Nomen oder Verbum, ein besonderes Zeichen verlangt, aber eine grosse Anzahl unabhängiger Zeichen schwerer im Gedächt- niss zu behalten ist, als gleich viele Zusammensetzungen aus einer geringen Anzahl einzelner Zeichen (Buchstaben), so musste die chinesische Sprache früher und allgemeiner als die europäischen das Hülfsmittel einer Namengebung nach Art des naturhistorischen Systems ergreifen, nämlich den minder bekannten oder neu erkun- deten Thierarten nicht eigene unabhängige Namen zu geben, sondern den des nächsten allbekannten Thieres mit einem unterscheidenden Zusatz, oder auch, wo ein eigener Name vorhanden war, denselben mit dem des bekannteren verwandten Thieres zu verbinden. Es ist das nichts Anderes, als was in unseren deutschen Ausdrücken Fledermaus, Seehund, Walfisch und Haifisch stattfindet. Die euro- päischen Sprachen benutzen vielfach noch ein anderes Auskunfts- mittel, die Einführung von Fremdwörtern; aber dieses ist dem Chinesen eben durch sein System, ganze Worte, nicht Laute zu bezeichnen, theoretisch ganz versagt, practisch nur unvollkommen und mit Zweideutigkeiten möglich: die einzelnen Silben des Fremd- wortes werden nämlich durch diejenigen chinesischen Wortzeichen

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/189>, abgerufen am 21.11.2024.