Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.Der Tiger im indischen Archipel. lich nach seiner Stimme, sundanesisch matjan. Auf Sumatra undJava ist er noch allzuhäufig, dagegen fehlt er gänzlich im östlichen Theil des Archipels, schon, so viel wir wissen, auf Celebes; von den Inseln östlich von Java habe ich nur die erste, Bali, als Heimath desselben nennen gehört. Auf Borneo scheint er ganz zu fehlen; auch ich konnte im westlichen stromreichen, Malakka und Sumatra zugewandten Theil dieser grossen Insel nichts Sicheres von ihm erfahren; ebenso scheint er auf Banka nicht vorzukommen, trotz der Nähe von Sumatra. Auf Java dagegen hörte ich viel von ihm er- zählen und auf Sumatra warnte man mich seinetwegen vor nächt- lichen Wanderungen. Aber man sieht ihn nicht leicht im Freien, da er, wie mir wiederholt bestätigt wurde, hauptsächlich bei Nacht umherstreift und den Menschen nur von hinten anfällt, doch beides mit Ausnahmen; so hörte ich von einem Javaner erzählen, der von vorn durch einen Tiger angegriffen worden sei; dieser habe ihm die Vordertatzen in die Stirne, die Hintertatzen in die Kniee geschlagen; trotzdem habe der Angegriffene ihn zurückgeworfen und zugleich mit seinem Kris (Dolch) ihm einen Stich versetzt, worauf das Thier eilig weggelaufen sei. Man fängt ihn lebend in mit Bambu und Laub leicht überdeckten Gruben und lässt ihn alsdann bald mit einem Büffel kämpfen, bald von Lanzenträgern erstechen (rampokken). In diesem Falle wird der Tiger in einem geschlossenen Kasten aus Holz oder festem Bambu in die Mitte eines freien Platzes gebracht und um ihn herum ein dreifacher Kreis von Lanzenträgern gebildet. Dann gehen zwei Männer, nur mit einem Kris bewaffnet in die Mitte und öffnen den Kasten; es ist adat (heilige Sitte), dass sie lang- samen Schrittes, ohne sich umzusehen, wieder zurückgehen, und nie soll es vorgekommen sein, dass einer dabei vom Tiger verletzt worden wäre. Der Tiger mag in der That, schon durch die Ge- fangenschaft und öfter durch längeres Fasten deprimirt, Angesichts der zahlreichen Menschen keine grosse Lust zum Angriffe haben, in der Regel will er gar nicht aus dem Kasten heraus und muss öfters erst durch Anzünden desselben herausgetrieben werden. Dann läuft er rathlos im Kreise umher, einen Ausweg suchend, aber überall von Lanzenspitzen zurückgewiesen und wird endlich beim Versuch mit Gewalt durchzubrechen niedergemacht. Die raschen Bewegungen und Wendungen des ebenso gewandten als gewaltigen Thiers sind das Anziehendste an diesem Schauspiel; nie gelingt es ihm durchzubrechen, wohl aber soll der Panther zuweilen bei dem Der Tiger im indischen Archipel. lich nach seiner Stimme, sundanesisch matjan. Auf Sumatra undJava ist er noch allzuhäufig, dagegen fehlt er gänzlich im östlichen Theil des Archipels, schon, so viel wir wissen, auf Celebes; von den Inseln östlich von Java habe ich nur die erste, Bali, als Heimath desselben nennen gehört. Auf Borneo scheint er ganz zu fehlen; auch ich konnte im westlichen stromreichen, Malakka und Sumatra zugewandten Theil dieser grossen Insel nichts Sicheres von ihm erfahren; ebenso scheint er auf Banka nicht vorzukommen, trotz der Nähe von Sumatra. Auf Java dagegen hörte ich viel von ihm er- zählen und auf Sumatra warnte man mich seinetwegen vor nächt- lichen Wanderungen. Aber man sieht ihn nicht leicht im Freien, da er, wie mir wiederholt bestätigt wurde, hauptsächlich bei Nacht umherstreift und den Menschen nur von hinten anfällt, doch beides mit Ausnahmen; so hörte ich von einem Javaner erzählen, der von vorn durch einen Tiger angegriffen worden sei; dieser habe ihm die Vordertatzen in die Stirne, die Hintertatzen in die Kniee geschlagen; trotzdem habe der Angegriffene ihn zurückgeworfen und zugleich mit seinem Kris (Dolch) ihm einen Stich versetzt, worauf das Thier eilig weggelaufen sei. Man fängt ihn lebend in mit Bambu und Laub leicht überdeckten Gruben und lässt ihn alsdann bald mit einem Büffel kämpfen, bald von Lanzenträgern erstechen (rampokken). In diesem Falle wird der Tiger in einem geschlossenen Kasten aus Holz oder festem Bambu in die Mitte eines freien Platzes gebracht und um ihn herum ein dreifacher Kreis von Lanzenträgern gebildet. Dann gehen zwei Männer, nur mit einem Kris bewaffnet in die Mitte und öffnen den Kasten; es ist adat (heilige Sitte), dass sie lang- samen Schrittes, ohne sich umzusehen, wieder zurückgehen, und nie soll es vorgekommen sein, dass einer dabei vom Tiger verletzt worden wäre. Der Tiger mag in der That, schon durch die Ge- fangenschaft und öfter durch längeres Fasten deprimirt, Angesichts der zahlreichen Menschen keine grosse Lust zum Angriffe haben, in der Regel will er gar nicht aus dem Kasten heraus und muss öfters erst durch Anzünden desselben herausgetrieben werden. Dann läuft er rathlos im Kreise umher, einen Ausweg suchend, aber überall von Lanzenspitzen zurückgewiesen und wird endlich beim Versuch mit Gewalt durchzubrechen niedergemacht. 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Der Tiger im indischen Archipel.
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Java ist er noch allzuhäufig, dagegen fehlt er gänzlich im östlichen
Theil des Archipels, schon, so viel wir wissen, auf Celebes; von
den Inseln östlich von Java habe ich nur die erste, Bali, als Heimath
desselben nennen gehört. Auf Borneo scheint er ganz zu fehlen;
auch ich konnte im westlichen stromreichen, Malakka und Sumatra
zugewandten Theil dieser grossen Insel nichts Sicheres von ihm
erfahren; ebenso scheint er auf Banka nicht vorzukommen, trotz der
Nähe von Sumatra. Auf Java dagegen hörte ich viel von ihm er-
zählen und auf Sumatra warnte man mich seinetwegen vor nächt-
lichen Wanderungen. Aber man sieht ihn nicht leicht im Freien,
da er, wie mir wiederholt bestätigt wurde, hauptsächlich bei Nacht
umherstreift und den Menschen nur von hinten anfällt, doch beides
mit Ausnahmen; so hörte ich von einem Javaner erzählen, der von
vorn durch einen Tiger angegriffen worden sei; dieser habe ihm die
Vordertatzen in die Stirne, die Hintertatzen in die Kniee geschlagen;
trotzdem habe der Angegriffene ihn zurückgeworfen und zugleich
mit seinem Kris (Dolch) ihm einen Stich versetzt, worauf das Thier
eilig weggelaufen sei. Man fängt ihn lebend in mit Bambu und
Laub leicht überdeckten Gruben und lässt ihn alsdann bald mit einem
Büffel kämpfen, bald von Lanzenträgern erstechen (rampokken).
In diesem Falle wird der Tiger in einem geschlossenen Kasten aus
Holz oder festem Bambu in die Mitte eines freien Platzes gebracht
und um ihn herum ein dreifacher Kreis von Lanzenträgern gebildet.
Dann gehen zwei Männer, nur mit einem Kris bewaffnet in die Mitte
und öffnen den Kasten; es ist adat (heilige Sitte), dass sie lang-
samen Schrittes, ohne sich umzusehen, wieder zurückgehen, und nie
soll es vorgekommen sein, dass einer dabei vom Tiger verletzt
worden wäre. Der Tiger mag in der That, schon durch die Ge-
fangenschaft und öfter durch längeres Fasten deprimirt, Angesichts
der zahlreichen Menschen keine grosse Lust zum Angriffe haben,
in der Regel will er gar nicht aus dem Kasten heraus und muss
öfters erst durch Anzünden desselben herausgetrieben werden. Dann
läuft er rathlos im Kreise umher, einen Ausweg suchend, aber
überall von Lanzenspitzen zurückgewiesen und wird endlich beim
Versuch mit Gewalt durchzubrechen niedergemacht. Die raschen
Bewegungen und Wendungen des ebenso gewandten als gewaltigen
Thiers sind das Anziehendste an diesem Schauspiel; nie gelingt es
ihm durchzubrechen, wohl aber soll der Panther zuweilen bei dem
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