an. Die Eingeborenen sowohl auf Batjan als Amboina geben ihm denselben Namen wie dem Waran, soa-soa, obwohl er zoologisch einer andern Familie von Eidechsen angehört.
Wie Leguan und Alligator, so hört man auch die Benennung Chamaeleon oft im indischen Archipel aus dem Munde von Euro- päern, welche sich damit den Schein von naturgeschichtlichen Kenntnissen geben wollen; es lebt aber im ganzen Bereich des indischen Archipels kein wahres Chamaeleon,28) d. h. keine gross- äugige Eidechse mit Pfeilzunge, Wickelschwanz und Klammer- füssen, so wenig als Alligatoren und Iguanen im zoologischen Sinne der Namen, sondern es sind kleine dickköpfige Eidechsen mit kurzer platter Zunge und sehr langem dünnen Schwanz, Calotes (Bron- chocela) der Zoologen, bunglon, kruning oder tanggarlasan der Malaien, balisamba auf Batjan, welche wegen eines leichten Farben- wechsels der Kehle je nach dem gereizten oder ruhigen Zustande des Thieres Chamaeleon genannt werden. Sie sind als Baumthiere von papageigrüner Farbe, welche freilich in Spiritus verloren geht, und zeigen grosse Gewandtheit und Raschheit im Klettern und Springen von Ast zu Ast; wenn man eines verfolgt und plötzlich aus dem Auge verliert, so sehe man erst nach, ob es nicht an oder in die Kleider des Verfolgers selbst sich geflüchtet. Die Eier sind verhältnissmässig gross, bis zur halben Rumpflänge, pergamentartig und spindelförmig. Die häufigste Art von Singapore, Sumatra, Java und Borneo ist Calotes cristatellus Kuhl., ein wenig verschieden davon ist derjenige der Molukken, C. Moluccanus Less.29) Ihnen nahe verwandt ist die Gattung Lophyrus, welche auf den Molukken und vielleicht auch auf Celebes fehlt, aber auf allen Inseln und Halb- inseln der westlichen Hälfte des Archipels Borneo, Java, Sumatra, Banka und Malakka vertreten ist, und nicht minder nahe verwandt in Bau und Lebensweise sind die sogenannten fliegenden Drachen, Draco L., nur dass diese durch ganz ungewöhnliche Verlängerung der Rippen jederseits einen beliebig auszuspannenden Fallschirm erhalten haben, welcher sie zu noch grösseren Sprüngen befähigt, daher auch die malaiische Benennung tjitjaq terbang, fliegende Eidechse. In mehreren Arten durch den ganzen Archipel verbreitet, sind sie doch im Allgemeinen selten und schwer zu sehen, obwohl sie öfters in den Gärten der Europäer selbst wohnen, aber stets hoch oben in den Kronen der Bäume sich aufhalten; namentlich des Mittags bei heissem Sonnenschein -- als kaltblütigen Thieren wird es ihnen
Baum-Eidechsen des Archipels.
an. Die Eingeborenen sowohl auf Batjan als Amboina geben ihm denselben Namen wie dem Waran, soa-soa, obwohl er zoologisch einer andern Familie von Eidechsen angehört.
Wie Leguan und Alligator, so hört man auch die Benennung Chamaeleon oft im indischen Archipel aus dem Munde von Euro- päern, welche sich damit den Schein von naturgeschichtlichen Kenntnissen geben wollen; es lebt aber im ganzen Bereich des indischen Archipels kein wahres Chamaeleon,28) d. h. keine gross- äugige Eidechse mit Pfeilzunge, Wickelschwanz und Klammer- füssen, so wenig als Alligatoren und Iguanen im zoologischen Sinne der Namen, sondern es sind kleine dickköpfige Eidechsen mit kurzer platter Zunge und sehr langem dünnen Schwanz, Calotes (Bron- chocela) der Zoologen, bunglon, kruning oder tanggarlasan der Malaien, balisamba auf Batjan, welche wegen eines leichten Farben- wechsels der Kehle je nach dem gereizten oder ruhigen Zustande des Thieres Chamaeleon genannt werden. Sie sind als Baumthiere von papageigrüner Farbe, welche freilich in Spiritus verloren geht, und zeigen grosse Gewandtheit und Raschheit im Klettern und Springen von Ast zu Ast; wenn man eines verfolgt und plötzlich aus dem Auge verliert, so sehe man erst nach, ob es nicht an oder in die Kleider des Verfolgers selbst sich geflüchtet. Die Eier sind verhältnissmässig gross, bis zur halben Rumpflänge, pergamentartig und spindelförmig. Die häufigste Art von Singapore, Sumatra, Java und Borneo ist Calotes cristatellus Kuhl., ein wenig verschieden davon ist derjenige der Molukken, C. Moluccanus Less.29) Ihnen nahe verwandt ist die Gattung Lophyrus, welche auf den Molukken und vielleicht auch auf Celebes fehlt, aber auf allen Inseln und Halb- inseln der westlichen Hälfte des Archipels Borneo, Java, Sumatra, Banka und Malakka vertreten ist, und nicht minder nahe verwandt in Bau und Lebensweise sind die sogenannten fliegenden Drachen, Draco L., nur dass diese durch ganz ungewöhnliche Verlängerung der Rippen jederseits einen beliebig auszuspannenden Fallschirm erhalten haben, welcher sie zu noch grösseren Sprüngen befähigt, daher auch die malaiische Benennung tjitjaq terbang, fliegende Eidechse. In mehreren Arten durch den ganzen Archipel verbreitet, sind sie doch im Allgemeinen selten und schwer zu sehen, obwohl sie öfters in den Gärten der Europäer selbst wohnen, aber stets hoch oben in den Kronen der Bäume sich aufhalten; namentlich des Mittags bei heissem Sonnenschein — als kaltblütigen Thieren wird es ihnen
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Baum-Eidechsen des Archipels.
an. Die Eingeborenen sowohl auf Batjan als Amboina geben ihm
denselben Namen wie dem Waran, soa-soa, obwohl er zoologisch
einer andern Familie von Eidechsen angehört.
Wie Leguan und Alligator, so hört man auch die Benennung
Chamaeleon oft im indischen Archipel aus dem Munde von Euro-
päern, welche sich damit den Schein von naturgeschichtlichen
Kenntnissen geben wollen; es lebt aber im ganzen Bereich des
indischen Archipels kein wahres Chamaeleon,28) d. h. keine gross-
äugige Eidechse mit Pfeilzunge, Wickelschwanz und Klammer-
füssen, so wenig als Alligatoren und Iguanen im zoologischen Sinne
der Namen, sondern es sind kleine dickköpfige Eidechsen mit kurzer
platter Zunge und sehr langem dünnen Schwanz, Calotes (Bron-
chocela) der Zoologen, bunglon, kruning oder tanggarlasan der
Malaien, balisamba auf Batjan, welche wegen eines leichten Farben-
wechsels der Kehle je nach dem gereizten oder ruhigen Zustande
des Thieres Chamaeleon genannt werden. Sie sind als Baumthiere
von papageigrüner Farbe, welche freilich in Spiritus verloren geht,
und zeigen grosse Gewandtheit und Raschheit im Klettern und
Springen von Ast zu Ast; wenn man eines verfolgt und plötzlich
aus dem Auge verliert, so sehe man erst nach, ob es nicht an oder
in die Kleider des Verfolgers selbst sich geflüchtet. Die Eier sind
verhältnissmässig gross, bis zur halben Rumpflänge, pergamentartig
und spindelförmig. Die häufigste Art von Singapore, Sumatra,
Java und Borneo ist Calotes cristatellus Kuhl., ein wenig verschieden
davon ist derjenige der Molukken, C. Moluccanus Less.29) Ihnen nahe
verwandt ist die Gattung Lophyrus, welche auf den Molukken und
vielleicht auch auf Celebes fehlt, aber auf allen Inseln und Halb-
inseln der westlichen Hälfte des Archipels Borneo, Java, Sumatra,
Banka und Malakka vertreten ist, und nicht minder nahe verwandt
in Bau und Lebensweise sind die sogenannten fliegenden Drachen,
Draco L., nur dass diese durch ganz ungewöhnliche Verlängerung
der Rippen jederseits einen beliebig auszuspannenden Fallschirm
erhalten haben, welcher sie zu noch grösseren Sprüngen befähigt,
daher auch die malaiische Benennung tjitjaq terbang, fliegende Eidechse.
In mehreren Arten durch den ganzen Archipel verbreitet, sind sie
doch im Allgemeinen selten und schwer zu sehen, obwohl sie öfters
in den Gärten der Europäer selbst wohnen, aber stets hoch oben in
den Kronen der Bäume sich aufhalten; namentlich des Mittags bei
heissem Sonnenschein — als kaltblütigen Thieren wird es ihnen
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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/298>, abgerufen am 24.11.2024.
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