Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bergmann, Ernst von: Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium. Rede, gehalten zur Feier des Stiftungstages der militär-ärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883. Berlin, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem
sind allerdings Transfusionen überall und unter den
mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur
selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu
ausserordentlicher Höhe stieg.

Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines
zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die
Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes
Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei
drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen
worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten
der verschiedensten Organe, die man durch eine
Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste,
welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren
gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-,
Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich
aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die
Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten,
sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter
solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst
dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann,
als am Ende der 50er Jahre Martin4) seine durchschlagenden
Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften
Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich
die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor
10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte
und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,

ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem
sind allerdings Transfusionen überall und unter den
mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur
selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu
ausserordentlicher Höhe stieg.

Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines
zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die
Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes
Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei
drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen
worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten
der verschiedensten Organe, die man durch eine
Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste,
welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren
gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-,
Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich
aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die
Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten,
sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter
solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst
dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann,
als am Ende der 50er Jahre Martin4) seine durchschlagenden
Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften
Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich
die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor
10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte
und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0007" n="7"/>
ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem<lb/>
sind allerdings Transfusionen überall und unter den<lb/>
mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur<lb/>
selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten<lb/>
Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu<lb/>
ausserordentlicher Höhe stieg. </p>
        <p>Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines<lb/>
zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die<lb/>
Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes<lb/>
Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei<lb/>
drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen<lb/>
worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte<lb/>
unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten<lb/>
der verschiedensten Organe, die man durch eine<lb/>
Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste,<lb/>
welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren<lb/>
gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-,<lb/>
Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich<lb/>
aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die<lb/>
Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten,<lb/>
sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter<lb/>
solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst<lb/>
dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann,<lb/>
als am Ende der 50er Jahre Martin<note xml:id="note-n-4" next="#note-4" place="end" n="4)"/>  seine durchschlagenden<lb/>
Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften<lb/>
Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich<lb/>
die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor<lb/>
10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte<lb/>
und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0007] ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem sind allerdings Transfusionen überall und unter den mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu ausserordentlicher Höhe stieg. Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten der verschiedensten Organe, die man durch eine Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste, welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren-, Lungen-, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten, sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann, als am Ende der 50er Jahre Martin ⁴⁾ seine durchschlagenden Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor 10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2011-07-20T12:00:00Z)

Weitere Informationen:

  • Die Sperrungen des Originals wurden nicht übernommen.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bergmann_transfusion_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bergmann_transfusion_1883/7
Zitationshilfe: Bergmann, Ernst von: Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium. Rede, gehalten zur Feier des Stiftungstages der militär-ärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883. Berlin, 1883, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bergmann_transfusion_1883/7>, abgerufen am 23.11.2024.