Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpenrose. einander, ein großes kollegialisches Blühen, das jauchzende Genießeneiner gemeinsamen Jugend, man möchte fast sagen ein millionen¬ fältiges rosarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenrose noch eine wesentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das Karmin-Glöckcken seine volle Lebensfreude genossen hat und die Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langsam am Sten¬ gel absterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder seine schöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zusammenschrumpfend wie viele der schönsten Blumen, -- nein, mit fröhlichem freien Ent¬ schlusse, wirft es noch einen sehnsüchtig vollen Blick auf alle seine lieben Genossen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die ganze schöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen brennendheißen Abschiedskuß auf die Lippen und springt dann mit einem Satze leicht in den vorüberrauschenden Waldbach oder den zu Schaum aufgelösten Gebirgsstrom, und kein sterbliches Auge be¬ kommt es wieder zu sehen. Unser Alpenröschen ist ein eigensinniges Pflänzchen; es läßt sich Sie grämts und härmts im Herzen, Verpflanzt sie eine Hand; Sie stirbt an Heimwehschmerzen In jedem fremden Land. Und zugleich ists dabei das reizendste Symbol jungfräulicher Alpenroſe. einander, ein großes kollegialiſches Blühen, das jauchzende Genießeneiner gemeinſamen Jugend, man möchte faſt ſagen ein millionen¬ fältiges roſarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenroſe noch eine weſentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das Karmin-Glöckcken ſeine volle Lebensfreude genoſſen hat und die Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langſam am Sten¬ gel abſterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder ſeine ſchöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zuſammenſchrumpfend wie viele der ſchönſten Blumen, — nein, mit fröhlichem freien Ent¬ ſchluſſe, wirft es noch einen ſehnſüchtig vollen Blick auf alle ſeine lieben Genoſſen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die ganze ſchöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen brennendheißen Abſchiedskuß auf die Lippen und ſpringt dann mit einem Satze leicht in den vorüberrauſchenden Waldbach oder den zu Schaum aufgelöſten Gebirgsſtrom, und kein ſterbliches Auge be¬ kommt es wieder zu ſehen. Unſer Alpenröschen iſt ein eigenſinniges Pflänzchen; es läßt ſich Sie grämts und härmts im Herzen, Verpflanzt ſie eine Hand; Sie ſtirbt an Heimwehſchmerzen In jedem fremden Land. Und zugleich iſts dabei das reizendſte Symbol jungfräulicher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0129" n="103"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpenroſe</hi>.<lb/></fw> einander, ein großes kollegialiſches Blühen, das jauchzende Genießen<lb/> einer gemeinſamen Jugend, man möchte faſt ſagen ein millionen¬<lb/> fältiges roſarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenroſe<lb/> noch eine weſentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das<lb/> Karmin-Glöckcken ſeine volle Lebensfreude genoſſen hat und die<lb/> Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langſam am Sten¬<lb/> gel abſterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder ſeine<lb/> ſchöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zuſammenſchrumpfend wie<lb/> viele der ſchönſten Blumen, — nein, mit fröhlichem freien Ent¬<lb/> ſchluſſe, wirft es noch einen ſehnſüchtig vollen Blick auf alle ſeine<lb/> lieben Genoſſen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die<lb/> ganze ſchöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen<lb/> brennendheißen Abſchiedskuß auf die Lippen und ſpringt dann mit<lb/> einem Satze leicht in den vorüberrauſchenden Waldbach oder den<lb/> zu Schaum aufgelöſten Gebirgsſtrom, und kein ſterbliches Auge be¬<lb/> kommt es wieder zu ſehen.</p><lb/> <p>Unſer Alpenröschen iſt ein eigenſinniges Pflänzchen; es läßt ſich<lb/> nicht willig in die Tieflandsgärten und herrſchaftlichen Parke ver¬<lb/> ſehen, um nach des blumiſtiſchen Künſtlers Gutfinden unter allerlei<lb/> ſervilem Pflanzentande ſklaviſch die Rabatten zu ſchmücken, — es<lb/> iſt kein „feiles Röschen“, das zu Jedermanns Belieben und Gebot<lb/> ſteht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo ſeine<lb/> Heimath iſt, wo es dem Himmel näher als die Menſchen, auch in<lb/> vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Sie grämts und härmts im Herzen,</l><lb/> <l>Verpflanzt ſie eine Hand;</l><lb/> <l>Sie ſtirbt an Heimwehſchmerzen</l><lb/> <l>In jedem fremden Land.</l><lb/> </lg> <p>Und zugleich iſts dabei das reizendſte Symbol jungfräulicher<lb/> Reinheit und Unſchuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch<lb/> eine Blüthe, die, gebrochen, ſo raſch die Schönheit und das Feuer<lb/> ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahinſiecht, wie die Al¬<lb/> penroſe. Wetter und Sturm, Hitze und Froſt, Regen und Schnee, —<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0129]
Alpenroſe.
einander, ein großes kollegialiſches Blühen, das jauchzende Genießen
einer gemeinſamen Jugend, man möchte faſt ſagen ein millionen¬
fältiges roſarothes Farben-Konzert. Und dabei hat die Alpenroſe
noch eine weſentliche Aehnlichkeit mit der Baumblüthe; wie das
Karmin-Glöckcken ſeine volle Lebensfreude genoſſen hat und die
Stunde des Scheidens naht, da welkt es nicht, langſam am Sten¬
gel abſterbend, verkommend und Bedauern erregend, oder ſeine
ſchöne Gluthfarbe verlierend und kläglich zuſammenſchrumpfend wie
viele der ſchönſten Blumen, — nein, mit fröhlichem freien Ent¬
ſchluſſe, wirft es noch einen ſehnſüchtig vollen Blick auf alle ſeine
lieben Genoſſen, auf die weißen glänzenden Firnhäupter, auf die
ganze ſchöne Alpenwelt, drückt dem Nebenglöckchen noch einen
brennendheißen Abſchiedskuß auf die Lippen und ſpringt dann mit
einem Satze leicht in den vorüberrauſchenden Waldbach oder den
zu Schaum aufgelöſten Gebirgsſtrom, und kein ſterbliches Auge be¬
kommt es wieder zu ſehen.
Unſer Alpenröschen iſt ein eigenſinniges Pflänzchen; es läßt ſich
nicht willig in die Tieflandsgärten und herrſchaftlichen Parke ver¬
ſehen, um nach des blumiſtiſchen Künſtlers Gutfinden unter allerlei
ſervilem Pflanzentande ſklaviſch die Rabatten zu ſchmücken, — es
iſt kein „feiles Röschen“, das zu Jedermanns Belieben und Gebot
ſteht; ein freies Kind freier Berge, blüht es nur dort, wo ſeine
Heimath iſt, wo es dem Himmel näher als die Menſchen, auch in
vollen Zügen die reineren Aetherlüfte trinkt.
Sie grämts und härmts im Herzen,
Verpflanzt ſie eine Hand;
Sie ſtirbt an Heimwehſchmerzen
In jedem fremden Land.
Und zugleich iſts dabei das reizendſte Symbol jungfräulicher
Reinheit und Unſchuld; im großen Pflanzenreiche giebts kaum noch
eine Blüthe, die, gebrochen, ſo raſch die Schönheit und das Feuer
ihrer Farbe verliert und zu Tode getroffen dahinſiecht, wie die Al¬
penroſe. Wetter und Sturm, Hitze und Froſt, Regen und Schnee, —
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