Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Südliche Alpenthäler. turnt, und luftige, flatternde Guirlanden von Baum zu Baumschwingt. Hui! ist das ein geniales Sichgehenlassen, ein graziöser Muthwille gegenüber der bevormundeten, vom Winzer ängstlich un¬ ter Zaum und Zügel gehaltenen Pfahlrebe unserer Kultur-Weinberge! -- Hier zeigt sie ihr wahres Naturell, da lebt und strebt in ihr der Feuergeist, den sie durch die Traube als sprudelnden Lebens¬ quell zollt; und wo man den losen Stürmer einfing, wo der praktische Eigennutz seinem brausenden Wildwuchs Gränzen zu setzen suchte, da ließ man ihm dennoch immer Freiheit genug, in niederen Laubengängen rankend mit den Gespielen seiner Jugend sich zu umarmen. Weiter begegnen wir dem Maulbeerbaum, dessen Blätter-Ernte Mit verwegenem Sprung bergunterstürzend der ungefüge, fessellos einherjagende, durchsichtiggrüne BergstromUnd über die Felsen den Weg sich kürzend, Schneeweißen Schaum verspritzend, Im Sonnenlicht blitzend, und die immer weichere violett angehauchte Färbung der Berge in des Thales Perspektive, -- jede solche Gruppe ist ein Bild, eine Calame'sche Studie. Südliche Alpenthäler. turnt, und luftige, flatternde Guirlanden von Baum zu Baumſchwingt. Hui! iſt das ein geniales Sichgehenlaſſen, ein graziöſer Muthwille gegenüber der bevormundeten, vom Winzer ängſtlich un¬ ter Zaum und Zügel gehaltenen Pfahlrebe unſerer Kultur-Weinberge! — Hier zeigt ſie ihr wahres Naturell, da lebt und ſtrebt in ihr der Feuergeiſt, den ſie durch die Traube als ſprudelnden Lebens¬ quell zollt; und wo man den loſen Stürmer einfing, wo der praktiſche Eigennutz ſeinem brauſenden Wildwuchs Gränzen zu ſetzen ſuchte, da ließ man ihm dennoch immer Freiheit genug, in niederen Laubengängen rankend mit den Geſpielen ſeiner Jugend ſich zu umarmen. Weiter begegnen wir dem Maulbeerbaum, deſſen Blätter-Ernte Mit verwegenem Sprung bergunterſtürzend der ungefüge, feſſellos einherjagende, durchſichtiggrüne BergſtromUnd über die Felſen den Weg ſich kürzend, Schneeweißen Schaum verſpritzend, Im Sonnenlicht blitzend, und die immer weichere violett angehauchte Färbung der Berge in des Thales Perſpektive, — jede ſolche Gruppe iſt ein Bild, eine Calame'ſche Studie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0136" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Südliche Alpenthäler</hi>.<lb/></fw> turnt, und luftige, flatternde Guirlanden von Baum zu Baum<lb/> ſchwingt. Hui! iſt das ein geniales Sichgehenlaſſen, ein graziöſer<lb/> Muthwille gegenüber der bevormundeten, vom Winzer ängſtlich un¬<lb/> ter Zaum und Zügel gehaltenen Pfahlrebe unſerer Kultur-Weinberge!<lb/> — Hier zeigt ſie ihr wahres Naturell, da lebt und ſtrebt in ihr<lb/> der Feuergeiſt, den ſie durch die Traube als ſprudelnden Lebens¬<lb/> quell zollt; und wo man den loſen Stürmer einfing, wo der<lb/> praktiſche Eigennutz ſeinem brauſenden Wildwuchs Gränzen zu<lb/> ſetzen ſuchte, da ließ man ihm dennoch immer Freiheit genug, in<lb/> niederen Laubengängen rankend mit den Geſpielen ſeiner Jugend<lb/> ſich zu umarmen.</p><lb/> <p>Weiter begegnen wir dem Maulbeerbaum, deſſen Blätter-Ernte<lb/> für die Seidenraupenzucht beſtimmt iſt, — der unſchönen Feige<lb/> mit der dünnen Belaubung, — und noch einem Baume, der uns<lb/> durch ſeinen impoſanten Wuchs, durch glänzende Blätterfülle, über¬<lb/> haupt durch markvolles Ausſehen vor allen anderen auffällt. Es<lb/> iſt die <hi rendition="#g">Edel-Kaſtanie</hi>, der ſüdlichen Thäler größte Zierde. Jeder<lb/> einzelnſtehende Baum derſelben, mit einem übermooſten Felſenblock<lb/> oder einem Hüttchen darunten, dann dicht dahinten<lb/><lg type="poem"><l>Mit verwegenem Sprung bergunterſtürzend</l><lb/><l>Und über die Felſen den Weg ſich kürzend,</l><lb/><l>Schneeweißen Schaum verſpritzend,</l><lb/><l>Im Sonnenlicht blitzend,</l><lb/></lg> der ungefüge, feſſellos einherjagende, durchſichtiggrüne Bergſtrom<lb/> und die immer weichere violett angehauchte Färbung der Berge<lb/> in des Thales Perſpektive, — jede ſolche Gruppe iſt ein Bild,<lb/> eine Calame'ſche Studie.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [110/0136]
Südliche Alpenthäler.
turnt, und luftige, flatternde Guirlanden von Baum zu Baum
ſchwingt. Hui! iſt das ein geniales Sichgehenlaſſen, ein graziöſer
Muthwille gegenüber der bevormundeten, vom Winzer ängſtlich un¬
ter Zaum und Zügel gehaltenen Pfahlrebe unſerer Kultur-Weinberge!
— Hier zeigt ſie ihr wahres Naturell, da lebt und ſtrebt in ihr
der Feuergeiſt, den ſie durch die Traube als ſprudelnden Lebens¬
quell zollt; und wo man den loſen Stürmer einfing, wo der
praktiſche Eigennutz ſeinem brauſenden Wildwuchs Gränzen zu
ſetzen ſuchte, da ließ man ihm dennoch immer Freiheit genug, in
niederen Laubengängen rankend mit den Geſpielen ſeiner Jugend
ſich zu umarmen.
Weiter begegnen wir dem Maulbeerbaum, deſſen Blätter-Ernte
für die Seidenraupenzucht beſtimmt iſt, — der unſchönen Feige
mit der dünnen Belaubung, — und noch einem Baume, der uns
durch ſeinen impoſanten Wuchs, durch glänzende Blätterfülle, über¬
haupt durch markvolles Ausſehen vor allen anderen auffällt. Es
iſt die Edel-Kaſtanie, der ſüdlichen Thäler größte Zierde. Jeder
einzelnſtehende Baum derſelben, mit einem übermooſten Felſenblock
oder einem Hüttchen darunten, dann dicht dahinten
Mit verwegenem Sprung bergunterſtürzend
Und über die Felſen den Weg ſich kürzend,
Schneeweißen Schaum verſpritzend,
Im Sonnenlicht blitzend,
der ungefüge, feſſellos einherjagende, durchſichtiggrüne Bergſtrom
und die immer weichere violett angehauchte Färbung der Berge
in des Thales Perſpektive, — jede ſolche Gruppe iſt ein Bild,
eine Calame'ſche Studie.
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