Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Kastanienwald. vernarbten Rinde, kurz im ganzen Holzaufbau, der deutschen Winter¬eiche wie ein Spiegelbild. Eben so wie bei dieser giebt es Stämme von gewaltigem Umfang. Solche von 20 bis 30 Fuß Circumferenz sind nicht selten; im Val Misocco steht einer, der 3 Fuß ob dem Boden 32 Fuß mißt. Der berühmteste Baum ist bekanntlich jener am Aetna, "Castagno di cento cavalli" genannt, dessen Umfang 180 Fuß beträgt. Da aber seine Höhe in durchaus keinem Ver¬ hältniß zu seiner Breiten-Wölbung steht, so erscheint er in einiger Entfernung eher wie ein riesenhafter Busch. In der That zeigt er auch nicht einen massiven Stamm, sondern eine Gruppe von fünf Ast-Kolossen, die aus einem jetzt unter der Erde verborgenen Stamm-Fundamente ausgehen. Die Edel-Kastanie ist in ihrer Ausschlagsfähigkeit und Re¬ In ebenmäßiger Uebereinstimmung mit der noblen männlichen 8*
Kaſtanienwald. vernarbten Rinde, kurz im ganzen Holzaufbau, der deutſchen Winter¬eiche wie ein Spiegelbild. Eben ſo wie bei dieſer giebt es Stämme von gewaltigem Umfang. Solche von 20 bis 30 Fuß Circumferenz ſind nicht ſelten; im Val Miſocco ſteht einer, der 3 Fuß ob dem Boden 32 Fuß mißt. Der berühmteſte Baum iſt bekanntlich jener am Aetna, „Caſtagno di cento cavalli“ genannt, deſſen Umfang 180 Fuß beträgt. Da aber ſeine Höhe in durchaus keinem Ver¬ hältniß zu ſeiner Breiten-Wölbung ſteht, ſo erſcheint er in einiger Entfernung eher wie ein rieſenhafter Buſch. In der That zeigt er auch nicht einen maſſiven Stamm, ſondern eine Gruppe von fünf Aſt-Koloſſen, die aus einem jetzt unter der Erde verborgenen Stamm-Fundamente ausgehen. Die Edel-Kaſtanie iſt in ihrer Ausſchlagsfähigkeit und Re¬ In ebenmäßiger Uebereinſtimmung mit der noblen männlichen 8*
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Kaſtanienwald.
vernarbten Rinde, kurz im ganzen Holzaufbau, der deutſchen Winter¬
eiche wie ein Spiegelbild. Eben ſo wie bei dieſer giebt es Stämme
von gewaltigem Umfang. Solche von 20 bis 30 Fuß Circumferenz
ſind nicht ſelten; im Val Miſocco ſteht einer, der 3 Fuß ob dem
Boden 32 Fuß mißt. Der berühmteſte Baum iſt bekanntlich jener
am Aetna, „Caſtagno di cento cavalli“ genannt, deſſen Umfang
180 Fuß beträgt. Da aber ſeine Höhe in durchaus keinem Ver¬
hältniß zu ſeiner Breiten-Wölbung ſteht, ſo erſcheint er in einiger
Entfernung eher wie ein rieſenhafter Buſch. In der That zeigt
er auch nicht einen maſſiven Stamm, ſondern eine Gruppe von
fünf Aſt-Koloſſen, die aus einem jetzt unter der Erde verborgenen
Stamm-Fundamente ausgehen.
Die Edel-Kaſtanie iſt in ihrer Ausſchlagsfähigkeit und Re¬
produktionskraft außerordentlich; ſie gehört zu den zäh-lebigſten
Bäumen. Stämme, hohl wie die geſpenſtiger, alter Weiden, in
denen einige Männer bequem wie in, einem Pavillon Platz haben
würden (improviſirte Schilderhäuſer der Landſchaft), — ja ſogar
ſolche, in denen der caprajo (Ziegenhirt) ſein Feuer anzuzünden
pflegt, um ein armſelig Gericht Polenta darüber zu bereiten, —
Stämme, deren innere Wandflächen ſchwarz verkohlt ſind, — grü¬
nen friſch und fröhlich in den Laubkronen. Ein oft nur wenige
Fuß breiter Rinde-ſtreifen mit ſeinen Splintzellen, der ſich an dem
faſt völlig entrindeten Stamm emporzieht, bringt dem Gipfel hin¬
reichende Nahrung zu.
In ebenmäßiger Uebereinſtimmung mit der noblen männlichen
Haltung des Stammes, ſeiner formſtolzen Kuppelbildung und dem
ausgedehnten Aſtumfange ſteht auch die charakteriſtiſche Zeichnung
des Laubes. Die länglich-lanzettförmigen Blätter ſtrotzen von
Eigenwillen und ſelbſtherrlichem Ausdruck. Lebhaft würden ſie an
das antike Attribut des Sänger-Preiſes, an das edelgeformte Lor¬
beerblatt erinnern, wenn ſie zu den harmloſen friedlichen Laubge¬
ſtalten gehörten; aber als Kinder ihres ſtolzen Hochaufſtrebenden
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