Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Kastanienwald. sowohl gesotten, "Farud" als auch auf dem Rost gebraten, "Brasch."Vorsichtig gedörrt kann man sie beinahe ein ganzes Jahr lang aufheben. Ein großer tragkräftiger Baum mag in günstigen Jah¬ ren fünf Centner Früchte liefern. Die Ernte der Insel Korsika allein wird jährlich auf hunderttausend Kronen geschätzt. -- Im Bergell, wo bei Soglio und weiter draußen auf der Schuttfläche des durch den Bergsturz von 1618 begrabenen Dorfes Plurs ganze Waldungen stehen, hat man ein Sprüchwort: "Quantas moscas, tantas castanies", welches sagen soll, so viel Fliegen ein feucht¬ heißer Sommer bringt, eben so viel Kastanien liefert die gleiche Jahresernte. Der soeben erwähnte Standort bei Soglio ist um deswillen Aber auch nach ihrem Tode, nachdem sie aufgehört hat, als Kaſtanienwald. ſowohl geſotten, „Farud“ als auch auf dem Roſt gebraten, „Brasch.“Vorſichtig gedörrt kann man ſie beinahe ein ganzes Jahr lang aufheben. Ein großer tragkräftiger Baum mag in günſtigen Jah¬ ren fünf Centner Früchte liefern. Die Ernte der Inſel Korſika allein wird jährlich auf hunderttauſend Kronen geſchätzt. — Im Bergell, wo bei Soglio und weiter draußen auf der Schuttfläche des durch den Bergſturz von 1618 begrabenen Dorfes Plurs ganze Waldungen ſtehen, hat man ein Sprüchwort: „Quantas moscas, tantas castanies“, welches ſagen ſoll, ſo viel Fliegen ein feucht¬ heißer Sommer bringt, eben ſo viel Kaſtanien liefert die gleiche Jahresernte. Der ſoeben erwähnte Standort bei Soglio iſt um deswillen Aber auch nach ihrem Tode, nachdem ſie aufgehört hat, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0145" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Kaſtanienwald</hi>.<lb/></fw> ſowohl geſotten, <hi rendition="#aq">„Farud“</hi> als auch auf dem Roſt gebraten, <hi rendition="#aq">„Brasch.“</hi><lb/> Vorſichtig gedörrt kann man ſie beinahe ein ganzes Jahr lang<lb/> aufheben. Ein großer tragkräftiger Baum mag in günſtigen Jah¬<lb/> ren fünf Centner Früchte liefern. Die Ernte der Inſel Korſika<lb/> allein wird jährlich auf hunderttauſend Kronen geſchätzt. — Im<lb/> Bergell, wo bei Soglio und weiter draußen auf der Schuttfläche<lb/> des durch den Bergſturz von 1618 begrabenen Dorfes Plurs ganze<lb/> Waldungen ſtehen, hat man ein Sprüchwort: <hi rendition="#aq">„Quantas moscas,<lb/> tantas castanies“,</hi> welches ſagen ſoll, ſo viel Fliegen ein feucht¬<lb/> heißer Sommer bringt, eben ſo viel Kaſtanien liefert die gleiche<lb/> Jahresernte.</p><lb/> <p>Der ſoeben erwähnte Standort bei Soglio iſt um deswillen<lb/> beſonders intereſſant, weil hier die, an das kalte, ſchneeluftige<lb/> Klima der eigentlichen Alpenregion gebundene Arve (<hi rendition="#aq">Pinus cembra</hi>)<lb/> ihre Zapfen mit den ſüßen eßbaren Zirbelnüßchen unmittelbar<lb/> neben der Kaſtanie reift, und beide Bäume geſellſchaftliche Wald¬<lb/> komplexe, der „Branten“ genannt, bilden.</p><lb/> <p>Aber auch nach ihrem Tode, nachdem ſie aufgehört hat, als<lb/> ſchönſter Laub-Baum des Südens die Landſchaft feſtlich und lebens¬<lb/> voll zu ſchmücken und durch ihre Früchte zu ernähren, zeigt ſich die<lb/> Kaſtanie im Werthe ihres Holzes noch als edle, hervorragende<lb/> Pflanze. Denn dieſes ſteht an Feſtigkeit, Ausdauer und Solidität<lb/> dem der Eiche unmittelbar zur Seite, und würde, da ſeine Jahres¬<lb/> ringe durch weitwandige Gränzröhren wie bei der Eiche auffallend<lb/> von einander geſchieden ſind, ſelbſt in ſeinen phyſikaliſchen Eigen¬<lb/> ſchaften dem Eichenholze völlig gleichſtehen, wenn ihm nicht die<lb/> charakteriſtiſchen, großen Markſtrahlen gänzlich fehlten. — Die<lb/> Meer-gebietende Dogenſtadt Venedig, das reiche lachende Genua,<lb/> die gewaltigen Werfte Englands bauten ihre rieſigen Dreimaſter,<lb/> ihre gewaltigen Kauffahrtei- und Kriegsſchiffe aus Kaſtanienholz,<lb/> weil es von Würmern und den zerſtörenden Bohrmuſcheln (Phola¬<lb/> den) nicht angegriffen wird. Die mächtigen Balkengelüſte der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [117/0145]
Kaſtanienwald.
ſowohl geſotten, „Farud“ als auch auf dem Roſt gebraten, „Brasch.“
Vorſichtig gedörrt kann man ſie beinahe ein ganzes Jahr lang
aufheben. Ein großer tragkräftiger Baum mag in günſtigen Jah¬
ren fünf Centner Früchte liefern. Die Ernte der Inſel Korſika
allein wird jährlich auf hunderttauſend Kronen geſchätzt. — Im
Bergell, wo bei Soglio und weiter draußen auf der Schuttfläche
des durch den Bergſturz von 1618 begrabenen Dorfes Plurs ganze
Waldungen ſtehen, hat man ein Sprüchwort: „Quantas moscas,
tantas castanies“, welches ſagen ſoll, ſo viel Fliegen ein feucht¬
heißer Sommer bringt, eben ſo viel Kaſtanien liefert die gleiche
Jahresernte.
Der ſoeben erwähnte Standort bei Soglio iſt um deswillen
beſonders intereſſant, weil hier die, an das kalte, ſchneeluftige
Klima der eigentlichen Alpenregion gebundene Arve (Pinus cembra)
ihre Zapfen mit den ſüßen eßbaren Zirbelnüßchen unmittelbar
neben der Kaſtanie reift, und beide Bäume geſellſchaftliche Wald¬
komplexe, der „Branten“ genannt, bilden.
Aber auch nach ihrem Tode, nachdem ſie aufgehört hat, als
ſchönſter Laub-Baum des Südens die Landſchaft feſtlich und lebens¬
voll zu ſchmücken und durch ihre Früchte zu ernähren, zeigt ſich die
Kaſtanie im Werthe ihres Holzes noch als edle, hervorragende
Pflanze. Denn dieſes ſteht an Feſtigkeit, Ausdauer und Solidität
dem der Eiche unmittelbar zur Seite, und würde, da ſeine Jahres¬
ringe durch weitwandige Gränzröhren wie bei der Eiche auffallend
von einander geſchieden ſind, ſelbſt in ſeinen phyſikaliſchen Eigen¬
ſchaften dem Eichenholze völlig gleichſtehen, wenn ihm nicht die
charakteriſtiſchen, großen Markſtrahlen gänzlich fehlten. — Die
Meer-gebietende Dogenſtadt Venedig, das reiche lachende Genua,
die gewaltigen Werfte Englands bauten ihre rieſigen Dreimaſter,
ihre gewaltigen Kauffahrtei- und Kriegsſchiffe aus Kaſtanienholz,
weil es von Würmern und den zerſtörenden Bohrmuſcheln (Phola¬
den) nicht angegriffen wird. Die mächtigen Balkengelüſte der
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