durchwaten. Deß wurden wir einig. Ich faßte meinen Führer fest in den Arm, Beide stemmten wir unsere Stöcke gegen die reißenden Schaumwellen, und so traten wir unsere Wanderung an. Das Wasser ging uns bis an die Kniee, und unter den Füßen rollten uns die großen Kiesel hinweg, daß es galt, den Fuß zu jedem neuen Schritt recht fest zu setzen. Rechts mußte ein Wasser¬ fall oder Aehnliches sein, denn da tobte es mit ohrenbetäubendem Geräusch hinab, -- sehen konnten wir die Ursache nicht.
Weiß der Himmel, welch unseliger Einfall, oder welcher Um¬ stand plötzlich meinen Führer veranlassen mochte, sich aus meinem Arm loszumachen (er ging mir zur Rechten) -- genug, eine Be¬ wegung, ein Fehltritt, -- ein Schrei, -- und verschwunden war er. Wie ich vollends hinübergekommen bin, kann ich nicht mehr sagen. War es der Schrecken, das Entsetzen, was mir ungewöhn¬ liche Kraft und Sicherheit des Schrittes gab, -- war es Glück, oder war die Stelle, welche ich noch zu durchwaten gehabt, minder gefährlich, -- ich weiß es nicht. Nur das weiß ich, daß ich drü¬ ben am anderen Ufer an nacktem Wurzelwerk, an Baum-Aesten, durch verworrenes Gesträuch mich aus dem Wasser mit drängender Hast herausarbeitete und in peinlicher Seelenangst längs demselben, schreiend, mit dem langen Alpenstocke in das Wasser hineintastend, fortkletterte. Wie ich vermuthet, so bestätigte es sich; ein 6 bis 8 Fuß hoher Wasserfall war es, über welchen mein Führer hinab¬ stürzte. Meine Lage war in der That quälend. Ziemlich ermattet, durch und durch naß, sehr hungernd, eine ganze, lange, raben¬ schwarze Nacht im strömenden Regen, in völlig unbekannter Gegend vor mir und -- ein Menschenleben -- entweder verloren oder in größter Gefahr umzukommen! Ueberdies hatte der verunglückte Führer meine Tasche auf dem Rücken, in welcher, nebst Wäsche und anderem Nothbedarf, meine Papiere und Gelder sich befanden. Ich rief, ich schrie aufs Neue in das donnernde Gepolter hinein, ich stieß mit dem Alpenstock in die wildschäumende Fluth, kurz ich ver¬
Berlepsch, die Alpen. 9
Eine Nebel-Novelle.
durchwaten. Deß wurden wir einig. Ich faßte meinen Führer feſt in den Arm, Beide ſtemmten wir unſere Stöcke gegen die reißenden Schaumwellen, und ſo traten wir unſere Wanderung an. Das Waſſer ging uns bis an die Kniee, und unter den Füßen rollten uns die großen Kieſel hinweg, daß es galt, den Fuß zu jedem neuen Schritt recht feſt zu ſetzen. Rechts mußte ein Waſſer¬ fall oder Aehnliches ſein, denn da tobte es mit ohrenbetäubendem Geräuſch hinab, — ſehen konnten wir die Urſache nicht.
Weiß der Himmel, welch unſeliger Einfall, oder welcher Um¬ ſtand plötzlich meinen Führer veranlaſſen mochte, ſich aus meinem Arm loszumachen (er ging mir zur Rechten) — genug, eine Be¬ wegung, ein Fehltritt, — ein Schrei, — und verſchwunden war er. Wie ich vollends hinübergekommen bin, kann ich nicht mehr ſagen. War es der Schrecken, das Entſetzen, was mir ungewöhn¬ liche Kraft und Sicherheit des Schrittes gab, — war es Glück, oder war die Stelle, welche ich noch zu durchwaten gehabt, minder gefährlich, — ich weiß es nicht. Nur das weiß ich, daß ich drü¬ ben am anderen Ufer an nacktem Wurzelwerk, an Baum-Aeſten, durch verworrenes Geſträuch mich aus dem Waſſer mit drängender Haſt herausarbeitete und in peinlicher Seelenangſt längs demſelben, ſchreiend, mit dem langen Alpenſtocke in das Waſſer hineintaſtend, fortkletterte. Wie ich vermuthet, ſo beſtätigte es ſich; ein 6 bis 8 Fuß hoher Waſſerfall war es, über welchen mein Führer hinab¬ ſtürzte. Meine Lage war in der That quälend. Ziemlich ermattet, durch und durch naß, ſehr hungernd, eine ganze, lange, raben¬ ſchwarze Nacht im ſtrömenden Regen, in völlig unbekannter Gegend vor mir und — ein Menſchenleben — entweder verloren oder in größter Gefahr umzukommen! Ueberdies hatte der verunglückte Führer meine Taſche auf dem Rücken, in welcher, nebſt Wäſche und anderem Nothbedarf, meine Papiere und Gelder ſich befanden. Ich rief, ich ſchrie aufs Neue in das donnernde Gepolter hinein, ich ſtieß mit dem Alpenſtock in die wildſchäumende Fluth, kurz ich ver¬
Berlepſch, die Alpen. 9
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Eine Nebel-Novelle.
durchwaten. Deß wurden wir einig. Ich faßte meinen Führer
feſt in den Arm, Beide ſtemmten wir unſere Stöcke gegen die
reißenden Schaumwellen, und ſo traten wir unſere Wanderung an.
Das Waſſer ging uns bis an die Kniee, und unter den Füßen
rollten uns die großen Kieſel hinweg, daß es galt, den Fuß zu
jedem neuen Schritt recht feſt zu ſetzen. Rechts mußte ein Waſſer¬
fall oder Aehnliches ſein, denn da tobte es mit ohrenbetäubendem
Geräuſch hinab, — ſehen konnten wir die Urſache nicht.
Weiß der Himmel, welch unſeliger Einfall, oder welcher Um¬
ſtand plötzlich meinen Führer veranlaſſen mochte, ſich aus meinem
Arm loszumachen (er ging mir zur Rechten) — genug, eine Be¬
wegung, ein Fehltritt, — ein Schrei, — und verſchwunden war
er. Wie ich vollends hinübergekommen bin, kann ich nicht mehr
ſagen. War es der Schrecken, das Entſetzen, was mir ungewöhn¬
liche Kraft und Sicherheit des Schrittes gab, — war es Glück,
oder war die Stelle, welche ich noch zu durchwaten gehabt, minder
gefährlich, — ich weiß es nicht. Nur das weiß ich, daß ich drü¬
ben am anderen Ufer an nacktem Wurzelwerk, an Baum-Aeſten,
durch verworrenes Geſträuch mich aus dem Waſſer mit drängender
Haſt herausarbeitete und in peinlicher Seelenangſt längs demſelben,
ſchreiend, mit dem langen Alpenſtocke in das Waſſer hineintaſtend,
fortkletterte. Wie ich vermuthet, ſo beſtätigte es ſich; ein 6 bis 8
Fuß hoher Waſſerfall war es, über welchen mein Führer hinab¬
ſtürzte. Meine Lage war in der That quälend. Ziemlich ermattet,
durch und durch naß, ſehr hungernd, eine ganze, lange, raben¬
ſchwarze Nacht im ſtrömenden Regen, in völlig unbekannter Gegend
vor mir und — ein Menſchenleben — entweder verloren oder in
größter Gefahr umzukommen! Ueberdies hatte der verunglückte
Führer meine Taſche auf dem Rücken, in welcher, nebſt Wäſche und
anderem Nothbedarf, meine Papiere und Gelder ſich befanden. Ich
rief, ich ſchrie aufs Neue in das donnernde Gepolter hinein, ich
ſtieß mit dem Alpenſtock in die wildſchäumende Fluth, kurz ich ver¬
Berlepſch, die Alpen. 9
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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