Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Hoch-Gewitter. eines Gewitters giebt dann in anderer Weise Gelegenheit zu einemmajestätischen Schauspiel, bei dessen Anblick man sich über die Scheidegränze irdischer Hinfälligkeit und menschlicher Ohnmacht hinausträumt; es ist die Entladung eines Gewitters im Thale, wenn man, erhaben über demselben, sich in der Alpenregion be¬ findet. Wie auf des Olympos heiligen Höhen steht der Wanderer gleich einem Jupiter tonans; unter ihm lagert, ein schwarzgraues Ungeheuer, das Verderben drohende Wolkenmeer; einer Riesen¬ schlange gleich, umkriecht die elektrisch geladene Masse das Gebirge. Keine Hütte, kein Haus erblickt man in den Tiefen; denn versun¬ ken in schauerliche Nacht ist Alles, was an die Wohnstätten der Lebenden erinnert. Weiter hinaus kann man dann wieder große Gebirgszüge frei in ihrem ganzen Relief übersehen; das Gewitter bildet gleichsam eine Brücke hinüber zu den anderen Bergen. Da zuckts zu unseren Füßen; matt rosafarben fahren die entfesselten Feuernattern der Blitze in eigenwillig gegen sich selbst revoltiren¬ den Bahnen durch den Schreckensschleier, der über der Landschaft schwebt. Jetzt kracht es von unten herauf, gewaltig aber dumpf, und mit hundertfältigem Echo hallen es die Thäler grollend nach, bis die Schreckenstöne matt ersterben. Immer wiederholt sich das schrecklich schöne Schauspiel, immer und immer leckt es aufs Neue mit feurigen Zungen aus den Tiefen herauf, und abermals ertönt des Donners tausendstimmiger Zorn. Der Wanderer aber steht in lichter Höhe, erhaben wie ein Gott, über der Zerstörungswuth der Elemente. Ihn umgiebt Frieden und liebliche Ruhe, über seinem Haupte wölbt sich in durchsichtiger Klarheit des Himmels unerreich¬ barer Bau, und ein Triumph des Lichtes über die Finsterniß strahlt in ewiger Reinheit, Wärme und Leben spendend, die Sonne herab. Noch viel erhabener ist dieses Schauspiel des Nachts. Die Fremden, welche vom 27. zum 28. Juni 1860 auf dem Pilatus übernachte¬ ten, finden keine Worte, um die unaussprechliche Pracht des furcht¬ baren Gewitters zu schildern, welches sich Morgens zwischen 2 bis Hoch-Gewitter. eines Gewitters giebt dann in anderer Weiſe Gelegenheit zu einemmajeſtätiſchen Schauſpiel, bei deſſen Anblick man ſich über die Scheidegränze irdiſcher Hinfälligkeit und menſchlicher Ohnmacht hinausträumt; es iſt die Entladung eines Gewitters im Thale, wenn man, erhaben über demſelben, ſich in der Alpenregion be¬ findet. Wie auf des Olympos heiligen Höhen ſteht der Wanderer gleich einem Jupiter tonans; unter ihm lagert, ein ſchwarzgraues Ungeheuer, das Verderben drohende Wolkenmeer; einer Rieſen¬ ſchlange gleich, umkriecht die elektriſch geladene Maſſe das Gebirge. Keine Hütte, kein Haus erblickt man in den Tiefen; denn verſun¬ ken in ſchauerliche Nacht iſt Alles, was an die Wohnſtätten der Lebenden erinnert. Weiter hinaus kann man dann wieder große Gebirgszüge frei in ihrem ganzen Relief überſehen; das Gewitter bildet gleichſam eine Brücke hinüber zu den anderen Bergen. Da zuckts zu unſeren Füßen; matt roſafarben fahren die entfeſſelten Feuernattern der Blitze in eigenwillig gegen ſich ſelbſt revoltiren¬ den Bahnen durch den Schreckensſchleier, der über der Landſchaft ſchwebt. Jetzt kracht es von unten herauf, gewaltig aber dumpf, und mit hundertfältigem Echo hallen es die Thäler grollend nach, bis die Schreckenstöne matt erſterben. Immer wiederholt ſich das ſchrecklich ſchöne Schauſpiel, immer und immer leckt es aufs Neue mit feurigen Zungen aus den Tiefen herauf, und abermals ertönt des Donners tauſendſtimmiger Zorn. Der Wanderer aber ſteht in lichter Höhe, erhaben wie ein Gott, über der Zerſtörungswuth der Elemente. Ihn umgiebt Frieden und liebliche Ruhe, über ſeinem Haupte wölbt ſich in durchſichtiger Klarheit des Himmels unerreich¬ barer Bau, und ein Triumph des Lichtes über die Finſterniß ſtrahlt in ewiger Reinheit, Wärme und Leben ſpendend, die Sonne herab. Noch viel erhabener iſt dieſes Schauſpiel des Nachts. Die Fremden, welche vom 27. zum 28. Juni 1860 auf dem Pilatus übernachte¬ ten, finden keine Worte, um die unausſprechliche Pracht des furcht¬ baren Gewitters zu ſchildern, welches ſich Morgens zwiſchen 2 bis <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="144"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Hoch-Gewitter</hi>.<lb/></fw>eines Gewitters giebt dann in anderer Weiſe Gelegenheit zu einem<lb/> majeſtätiſchen Schauſpiel, bei deſſen Anblick man ſich über die<lb/> Scheidegränze irdiſcher Hinfälligkeit und menſchlicher Ohnmacht<lb/> hinausträumt; es iſt die Entladung eines Gewitters im Thale,<lb/> wenn man, erhaben über demſelben, ſich in der Alpenregion be¬<lb/> findet. 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Hoch-Gewitter.
eines Gewitters giebt dann in anderer Weiſe Gelegenheit zu einem
majeſtätiſchen Schauſpiel, bei deſſen Anblick man ſich über die
Scheidegränze irdiſcher Hinfälligkeit und menſchlicher Ohnmacht
hinausträumt; es iſt die Entladung eines Gewitters im Thale,
wenn man, erhaben über demſelben, ſich in der Alpenregion be¬
findet. Wie auf des Olympos heiligen Höhen ſteht der Wanderer
gleich einem Jupiter tonans; unter ihm lagert, ein ſchwarzgraues
Ungeheuer, das Verderben drohende Wolkenmeer; einer Rieſen¬
ſchlange gleich, umkriecht die elektriſch geladene Maſſe das Gebirge.
Keine Hütte, kein Haus erblickt man in den Tiefen; denn verſun¬
ken in ſchauerliche Nacht iſt Alles, was an die Wohnſtätten der
Lebenden erinnert. Weiter hinaus kann man dann wieder große
Gebirgszüge frei in ihrem ganzen Relief überſehen; das Gewitter
bildet gleichſam eine Brücke hinüber zu den anderen Bergen. Da
zuckts zu unſeren Füßen; matt roſafarben fahren die entfeſſelten
Feuernattern der Blitze in eigenwillig gegen ſich ſelbſt revoltiren¬
den Bahnen durch den Schreckensſchleier, der über der Landſchaft
ſchwebt. Jetzt kracht es von unten herauf, gewaltig aber dumpf,
und mit hundertfältigem Echo hallen es die Thäler grollend nach,
bis die Schreckenstöne matt erſterben. Immer wiederholt ſich das
ſchrecklich ſchöne Schauſpiel, immer und immer leckt es aufs Neue
mit feurigen Zungen aus den Tiefen herauf, und abermals ertönt
des Donners tauſendſtimmiger Zorn. Der Wanderer aber ſteht in
lichter Höhe, erhaben wie ein Gott, über der Zerſtörungswuth der
Elemente. Ihn umgiebt Frieden und liebliche Ruhe, über ſeinem
Haupte wölbt ſich in durchſichtiger Klarheit des Himmels unerreich¬
barer Bau, und ein Triumph des Lichtes über die Finſterniß ſtrahlt
in ewiger Reinheit, Wärme und Leben ſpendend, die Sonne herab.
Noch viel erhabener iſt dieſes Schauſpiel des Nachts. Die Fremden,
welche vom 27. zum 28. Juni 1860 auf dem Pilatus übernachte¬
ten, finden keine Worte, um die unausſprechliche Pracht des furcht¬
baren Gewitters zu ſchildern, welches ſich Morgens zwiſchen 2 bis
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