Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wasserfall.

Wie, wenn gelind anfächelt der West, vom Gipfel des Mastbaums,
Vielgeschlängelt, im wechselnden Schwung der Wimpel herabschweift,
Bald in die Länge gestreckt, bald eingeschlürft im Geringel
Fallend und wieder gehoben, ein Spiel des scherzenden Zephyrs;
Immer, wenn kaum er die Welle berührt mit der züngelnden Spitze,
Zuckt er zurück, flammt schillernd empor und flattert am Himmel: --
Also schwebt in der wehenden Luft der ätherische Gießbach
Mannigfaltig bewegt, vom Rand der ragenden Felswand
Hochab wallend, gefangen im Fall, nun hierhin, nun dorthin
Flatternd, ohne den Grund mit dem fluthigen Schweif zu berühren.
Oben erscheint er als Strom, ein der Luft entstürzender Meerschwall,
Hoch in der Mitt' ein Gewölk, und unten ein weißlicher Nebel.
Denn in der Tiefe hinab des hundertklaftrigen Jähfalls
Löst sich die Woge verdünnt zur Wolk' und verdunstet als Rauchdampf.
Nur hoch oben donnert er stets und droht, in dem Hersturz
Alles mit reißender Fluth zu verschwemmen; allein es verwandelt
Sanft sich in Milde die Wuth, und er netzt, staubregnend, das Hüglein,
Daß auch die zartesten Kräuter des Frühlings unter ihm aufblühn.
Baggesen.

Der Staubbach-Fall im Lauterbrunnen-Thale des Berner
Oberlandes, schon hundertmal beschrieben und gezeichnet, in Ge¬
dichten besungen und gepriesen, in jedem gedrängten Handbuche
der Geographie genannt, so daß jedes Schulkind seinen Namen
kennt, ist der vornehmste Repräsentant jener weitverbreiteten Gat¬
tung von Wasserfällen, die in Folge ihrer außerordentlichen Sturz¬

10*
Der Waſſerfall.

Wie, wenn gelind anfächelt der Weſt, vom Gipfel des Maſtbaums,
Vielgeſchlängelt, im wechſelnden Schwung der Wimpel herabſchweift,
Bald in die Länge geſtreckt, bald eingeſchlürft im Geringel
Fallend und wieder gehoben, ein Spiel des ſcherzenden Zephyrs;
Immer, wenn kaum er die Welle berührt mit der züngelnden Spitze,
Zuckt er zurück, flammt ſchillernd empor und flattert am Himmel: —
Alſo ſchwebt in der wehenden Luft der ätheriſche Gießbach
Mannigfaltig bewegt, vom Rand der ragenden Felswand
Hochab wallend, gefangen im Fall, nun hierhin, nun dorthin
Flatternd, ohne den Grund mit dem fluthigen Schweif zu berühren.
Oben erſcheint er als Strom, ein der Luft entſtürzender Meerſchwall,
Hoch in der Mitt' ein Gewölk, und unten ein weißlicher Nebel.
Denn in der Tiefe hinab des hundertklaftrigen Jähfalls
Löſt ſich die Woge verdünnt zur Wolk' und verdunſtet als Rauchdampf.
Nur hoch oben donnert er ſtets und droht, in dem Herſturz
Alles mit reißender Fluth zu verſchwemmen; allein es verwandelt
Sanft ſich in Milde die Wuth, und er netzt, ſtaubregnend, das Hüglein,
Daß auch die zarteſten Kräuter des Frühlings unter ihm aufblühn.
Baggeſen.

Der Staubbach-Fall im Lauterbrunnen-Thale des Berner
Oberlandes, ſchon hundertmal beſchrieben und gezeichnet, in Ge¬
dichten beſungen und geprieſen, in jedem gedrängten Handbuche
der Geographie genannt, ſo daß jedes Schulkind ſeinen Namen
kennt, iſt der vornehmſte Repräſentant jener weitverbreiteten Gat¬
tung von Waſſerfällen, die in Folge ihrer außerordentlichen Sturz¬

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0175" n="[147]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#fr #g">Der Wa&#x017F;&#x017F;erfall</hi>.<lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <l>Wie, wenn gelind anfächelt der We&#x017F;t, vom Gipfel des Ma&#x017F;tbaums,<lb/></l>
              <l>Vielge&#x017F;chlängelt, im wech&#x017F;elnden Schwung der Wimpel herab&#x017F;chweift,<lb/></l>
              <l>Bald in die Länge ge&#x017F;treckt, bald einge&#x017F;chlürft im Geringel<lb/></l>
              <l>Fallend und wieder gehoben, ein Spiel des &#x017F;cherzenden Zephyrs;<lb/></l>
              <l>Immer, wenn kaum er die Welle berührt mit der züngelnden Spitze,<lb/></l>
              <l>Zuckt er zurück, flammt &#x017F;chillernd empor und flattert am Himmel: &#x2014;<lb/></l>
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;chwebt in der wehenden Luft der ätheri&#x017F;che Gießbach<lb/></l>
              <l>Mannigfaltig bewegt, vom Rand der ragenden Felswand<lb/></l>
              <l>Hochab wallend, gefangen im Fall, nun hierhin, nun dorthin<lb/></l>
              <l>Flatternd, ohne den Grund mit dem fluthigen Schweif zu berühren.<lb/></l>
              <l>Oben er&#x017F;cheint er als Strom, ein der Luft ent&#x017F;türzender Meer&#x017F;chwall,<lb/></l>
              <l>Hoch in der Mitt' ein Gewölk, und unten ein weißlicher Nebel.<lb/></l>
              <l>Denn in der Tiefe hinab des hundertklaftrigen Jähfalls<lb/></l>
              <l>&#x017F;t &#x017F;ich die Woge verdünnt zur Wolk' und verdun&#x017F;tet als Rauchdampf.<lb/></l>
              <l>Nur hoch oben donnert er &#x017F;tets und droht, in dem Her&#x017F;turz<lb/></l>
              <l>Alles mit reißender Fluth zu ver&#x017F;chwemmen; allein es verwandelt<lb/></l>
              <l>Sanft &#x017F;ich in Milde die Wuth, und er netzt, &#x017F;taubregnend, das Hüglein,<lb/></l>
              <l>Daß auch die zarte&#x017F;ten Kräuter des Frühlings unter ihm aufblühn.<lb/></l>
            </lg>
          </quote>
          <bibl rendition="#right"><hi rendition="#g">Bagge&#x017F;en</hi>.<lb/></bibl>
        </cit>
        <p>Der Staubbach-Fall im Lauterbrunnen-Thale des Berner<lb/>
Oberlandes, &#x017F;chon hundertmal be&#x017F;chrieben und gezeichnet, in Ge¬<lb/>
dichten be&#x017F;ungen und geprie&#x017F;en, in jedem gedrängten Handbuche<lb/>
der Geographie genannt, &#x017F;o daß jedes Schulkind &#x017F;einen Namen<lb/>
kennt, i&#x017F;t der vornehm&#x017F;te Reprä&#x017F;entant jener weitverbreiteten Gat¬<lb/>
tung von Wa&#x017F;&#x017F;erfällen, die in Folge ihrer außerordentlichen Sturz¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[147]/0175] Der Waſſerfall. Wie, wenn gelind anfächelt der Weſt, vom Gipfel des Maſtbaums, Vielgeſchlängelt, im wechſelnden Schwung der Wimpel herabſchweift, Bald in die Länge geſtreckt, bald eingeſchlürft im Geringel Fallend und wieder gehoben, ein Spiel des ſcherzenden Zephyrs; Immer, wenn kaum er die Welle berührt mit der züngelnden Spitze, Zuckt er zurück, flammt ſchillernd empor und flattert am Himmel: — Alſo ſchwebt in der wehenden Luft der ätheriſche Gießbach Mannigfaltig bewegt, vom Rand der ragenden Felswand Hochab wallend, gefangen im Fall, nun hierhin, nun dorthin Flatternd, ohne den Grund mit dem fluthigen Schweif zu berühren. Oben erſcheint er als Strom, ein der Luft entſtürzender Meerſchwall, Hoch in der Mitt' ein Gewölk, und unten ein weißlicher Nebel. Denn in der Tiefe hinab des hundertklaftrigen Jähfalls Löſt ſich die Woge verdünnt zur Wolk' und verdunſtet als Rauchdampf. Nur hoch oben donnert er ſtets und droht, in dem Herſturz Alles mit reißender Fluth zu verſchwemmen; allein es verwandelt Sanft ſich in Milde die Wuth, und er netzt, ſtaubregnend, das Hüglein, Daß auch die zarteſten Kräuter des Frühlings unter ihm aufblühn. Baggeſen. Der Staubbach-Fall im Lauterbrunnen-Thale des Berner Oberlandes, ſchon hundertmal beſchrieben und gezeichnet, in Ge¬ dichten beſungen und geprieſen, in jedem gedrängten Handbuche der Geographie genannt, ſo daß jedes Schulkind ſeinen Namen kennt, iſt der vornehmſte Repräſentant jener weitverbreiteten Gat¬ tung von Waſſerfällen, die in Folge ihrer außerordentlichen Sturz¬ 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/175
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. [147]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/175>, abgerufen am 21.11.2024.