Wieder einen anderen und doch verwandten Zauber übt das bleiche, weiche Vollmondlicht auf den, gleich einem Schleier, von der Fluhwand herniederschwebenden Fall aus.
Endlich kommt auch noch viel darauf an, mit welchen Erwar¬ tungen, mit welcher Receptivität der Reisende zum Staubbach kommt. Wer kurz zuvor die donnernden Katarakte des Rheinfalles bei Schaffhausen, des Aarfalles an der Handeck, des Buffalora im Val Misocco und anderer, in großen geschlossenen Massen und im engbegränzten, landschaftlichen Raume daherbrausenden Gebirgs¬ ströme sah und von ihrer Wirkung noch erschüttert, nun ins Lauter¬ brunnen-Thal tritt und dort Aehnliches erwartet, der wird freilich sehr enttäuscht werden. Der Staubbach ist mit wenig Ausnahme- Momenten eine Erscheinung zarter, elegischer Natur, die weit mehr empfunden als angestaunt und bewundert sein will.
In einer Höhe von fast 900 Fuß springen zwei Strom-Arme über die senkrecht abfallende Felsenwand hinaus, und vereinigen sich rasch zu einer beweglichen Wassersäule, von der nur ein kleiner Theil an einer Klippe zerschellt, alles Uebrige aber in freier Luft sich in Millionen Perlen auflöst und zuletzt in schimmernden Regen¬ staub verdünnt, der theils auf beträchtliche Weite die Matten um¬ her mit immerwährendem Thau benetzt, theils sich in einem tiefen Wasserbecken wieder sammelt, in welchem leuchtende Regenbogen durcheinander weben. Der Staubbach ist nicht groß durch einen unaufhaltsam wilden Strom, der an malerisch zerklüfteten Felsen¬ massen schäumend und mannigfaltig sich bricht oder durch den Donner seines Falles die Lüfte erschüttert und die Ausrufe des Erstaunens verschlingt; -- aber er ist erhaben durch seinen himmel¬ hohen Fall, durch die Wassermassen, welche sich weiß und weich wie Milch in unaufhörlicher Folge aus der Höhe hinabdrängen, -- durch sein allmähliges Hinschwinden in Nebel und durch das Feuer seiner Regenbogen, -- besonders aber auch durch sein, mit der Sanftheit des Ganzen so wundervoll harmonirendes, leises und
Der Waſſerfall.
Wieder einen anderen und doch verwandten Zauber übt das bleiche, weiche Vollmondlicht auf den, gleich einem Schleier, von der Fluhwand herniederſchwebenden Fall aus.
Endlich kommt auch noch viel darauf an, mit welchen Erwar¬ tungen, mit welcher Receptivität der Reiſende zum Staubbach kommt. Wer kurz zuvor die donnernden Katarakte des Rheinfalles bei Schaffhauſen, des Aarfalles an der Handeck, des Buffalora im Val Miſocco und anderer, in großen geſchloſſenen Maſſen und im engbegränzten, landſchaftlichen Raume daherbrauſenden Gebirgs¬ ſtröme ſah und von ihrer Wirkung noch erſchüttert, nun ins Lauter¬ brunnen-Thal tritt und dort Aehnliches erwartet, der wird freilich ſehr enttäuſcht werden. Der Staubbach iſt mit wenig Ausnahme- Momenten eine Erſcheinung zarter, elegiſcher Natur, die weit mehr empfunden als angeſtaunt und bewundert ſein will.
In einer Höhe von faſt 900 Fuß ſpringen zwei Strom-Arme über die ſenkrecht abfallende Felſenwand hinaus, und vereinigen ſich raſch zu einer beweglichen Waſſerſäule, von der nur ein kleiner Theil an einer Klippe zerſchellt, alles Uebrige aber in freier Luft ſich in Millionen Perlen auflöſt und zuletzt in ſchimmernden Regen¬ ſtaub verdünnt, der theils auf beträchtliche Weite die Matten um¬ her mit immerwährendem Thau benetzt, theils ſich in einem tiefen Waſſerbecken wieder ſammelt, in welchem leuchtende Regenbogen durcheinander weben. Der Staubbach iſt nicht groß durch einen unaufhaltſam wilden Strom, der an maleriſch zerklüfteten Felſen¬ maſſen ſchäumend und mannigfaltig ſich bricht oder durch den Donner ſeines Falles die Lüfte erſchüttert und die Ausrufe des Erſtaunens verſchlingt; — aber er iſt erhaben durch ſeinen himmel¬ hohen Fall, durch die Waſſermaſſen, welche ſich weiß und weich wie Milch in unaufhörlicher Folge aus der Höhe hinabdrängen, — durch ſein allmähliges Hinſchwinden in Nebel und durch das Feuer ſeiner Regenbogen, — beſonders aber auch durch ſein, mit der Sanftheit des Ganzen ſo wundervoll harmonirendes, leiſes und
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Der Waſſerfall.
Wieder einen anderen und doch verwandten Zauber übt das bleiche,
weiche Vollmondlicht auf den, gleich einem Schleier, von der
Fluhwand herniederſchwebenden Fall aus.
Endlich kommt auch noch viel darauf an, mit welchen Erwar¬
tungen, mit welcher Receptivität der Reiſende zum Staubbach
kommt. Wer kurz zuvor die donnernden Katarakte des Rheinfalles
bei Schaffhauſen, des Aarfalles an der Handeck, des Buffalora im
Val Miſocco und anderer, in großen geſchloſſenen Maſſen und im
engbegränzten, landſchaftlichen Raume daherbrauſenden Gebirgs¬
ſtröme ſah und von ihrer Wirkung noch erſchüttert, nun ins Lauter¬
brunnen-Thal tritt und dort Aehnliches erwartet, der wird freilich
ſehr enttäuſcht werden. Der Staubbach iſt mit wenig Ausnahme-
Momenten eine Erſcheinung zarter, elegiſcher Natur, die weit mehr
empfunden als angeſtaunt und bewundert ſein will.
In einer Höhe von faſt 900 Fuß ſpringen zwei Strom-Arme
über die ſenkrecht abfallende Felſenwand hinaus, und vereinigen
ſich raſch zu einer beweglichen Waſſerſäule, von der nur ein kleiner
Theil an einer Klippe zerſchellt, alles Uebrige aber in freier Luft
ſich in Millionen Perlen auflöſt und zuletzt in ſchimmernden Regen¬
ſtaub verdünnt, der theils auf beträchtliche Weite die Matten um¬
her mit immerwährendem Thau benetzt, theils ſich in einem tiefen
Waſſerbecken wieder ſammelt, in welchem leuchtende Regenbogen
durcheinander weben. Der Staubbach iſt nicht groß durch einen
unaufhaltſam wilden Strom, der an maleriſch zerklüfteten Felſen¬
maſſen ſchäumend und mannigfaltig ſich bricht oder durch den
Donner ſeines Falles die Lüfte erſchüttert und die Ausrufe des
Erſtaunens verſchlingt; — aber er iſt erhaben durch ſeinen himmel¬
hohen Fall, durch die Waſſermaſſen, welche ſich weiß und weich
wie Milch in unaufhörlicher Folge aus der Höhe hinabdrängen,
— durch ſein allmähliges Hinſchwinden in Nebel und durch das Feuer
ſeiner Regenbogen, — beſonders aber auch durch ſein, mit der
Sanftheit des Ganzen ſo wundervoll harmonirendes, leiſes und
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/177>, abgerufen am 16.02.2025.
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