Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Wasserfall.
nung nach der Lütschine von der Gewalt der Wassermasse her, die
nach Gewittern und bei großer Schneeschmelze hier im Mittelpunkte
des Falles Raum geschafft, ohne doch die Hügel rechts und links
zu vermindern; denn diese haben sich aus allerlei Steinen empor¬
geschichtet, um mit trotziger Kraft den Anfang des Bachbettes ein¬
zudämmen.

Auf der rechten Seite kann man leicht in den Kesselcirkus
hinabgelangen. Alsbald wird man von einem doppelten Regen¬
bogen umringt, der, einem Nimbus gleich, so genau mit uns ver¬
schmilzt, daß er Schritt um Schritt, so lange wir im Sonnenglanz
und im Thaunebel bleiben, bald vorrückt, bald zurückweicht, wo
wir gehen und stehen. Die Wassertropfen hängen sich an die
Kleider und glühen einzeln wieder in unvergleichlicher Pracht.
Aber die Nässe gestattet nicht, sich dieses Feengewandes lange zu
freuen; ein fröstelndes Gefühl treibt um so eher aus der Tiefe
wieder ans Ufer, da die Gefahr am Tage liegt, von irgend einem
zufällig herabgeflözten Steine plötzlich und selbst tödtlich verletzt
zu werden.

In einiger Entfernung lagert es sich dann auf Wiesenhalden
wonnig und sicher; sorglos genießt der Wanderer, was ihm bisher
entgangen war. Mit unermüdetem Staunen erhebt sich das Auge
nach der hohen, im Blau des Himmels scharf gezeichneten, dunkel¬
grauen Kante, wo die Najade zweitheilig ihr fliegendes Gewand
in die Lüfte hängt. -- Eine Hälfte des Baches, nur unmerkbar
von der anderen getrennt, fällt beinahe senkrecht herab und würde
effektlos an der Felswand niedergleiten, wenn diese nicht von Oben
bis unter die Mitte der Höhe sich unmerklich zurückzöge und nun
der Wassersäule freieres Fortschweben gestattete. Die untere Hälfte
der Bergwand tritt aber wieder entschieden hervor, und nun zersplittert
die Masse in jenen Gischt und Staub, der so duftig und ätherisch
niederschwebt und an den Bachsturz in den salzburgischen Alpen
erinnert, welchen das Landvolk bezeichnend mit dem Namen des

Der Waſſerfall.
nung nach der Lütſchine von der Gewalt der Waſſermaſſe her, die
nach Gewittern und bei großer Schneeſchmelze hier im Mittelpunkte
des Falles Raum geſchafft, ohne doch die Hügel rechts und links
zu vermindern; denn dieſe haben ſich aus allerlei Steinen empor¬
geſchichtet, um mit trotziger Kraft den Anfang des Bachbettes ein¬
zudämmen.

Auf der rechten Seite kann man leicht in den Keſſelcirkus
hinabgelangen. Alsbald wird man von einem doppelten Regen¬
bogen umringt, der, einem Nimbus gleich, ſo genau mit uns ver¬
ſchmilzt, daß er Schritt um Schritt, ſo lange wir im Sonnenglanz
und im Thaunebel bleiben, bald vorrückt, bald zurückweicht, wo
wir gehen und ſtehen. Die Waſſertropfen hängen ſich an die
Kleider und glühen einzeln wieder in unvergleichlicher Pracht.
Aber die Näſſe geſtattet nicht, ſich dieſes Feengewandes lange zu
freuen; ein fröſtelndes Gefühl treibt um ſo eher aus der Tiefe
wieder ans Ufer, da die Gefahr am Tage liegt, von irgend einem
zufällig herabgeflözten Steine plötzlich und ſelbſt tödtlich verletzt
zu werden.

In einiger Entfernung lagert es ſich dann auf Wieſenhalden
wonnig und ſicher; ſorglos genießt der Wanderer, was ihm bisher
entgangen war. Mit unermüdetem Staunen erhebt ſich das Auge
nach der hohen, im Blau des Himmels ſcharf gezeichneten, dunkel¬
grauen Kante, wo die Najade zweitheilig ihr fliegendes Gewand
in die Lüfte hängt. — Eine Hälfte des Baches, nur unmerkbar
von der anderen getrennt, fällt beinahe ſenkrecht herab und würde
effektlos an der Felswand niedergleiten, wenn dieſe nicht von Oben
bis unter die Mitte der Höhe ſich unmerklich zurückzöge und nun
der Waſſerſäule freieres Fortſchweben geſtattete. Die untere Hälfte
der Bergwand tritt aber wieder entſchieden hervor, und nun zerſplittert
die Maſſe in jenen Giſcht und Staub, der ſo duftig und ätheriſch
niederſchwebt und an den Bachſturz in den ſalzburgiſchen Alpen
erinnert, welchen das Landvolk bezeichnend mit dem Namen des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0179" n="151"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Wa&#x017F;&#x017F;erfall</hi>.<lb/></fw>nung nach der Lüt&#x017F;chine von der Gewalt der Wa&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e her, die<lb/>
nach Gewittern und bei großer Schnee&#x017F;chmelze hier im Mittelpunkte<lb/>
des Falles Raum ge&#x017F;chafft, ohne doch die Hügel rechts und links<lb/>
zu vermindern; denn die&#x017F;e haben &#x017F;ich aus allerlei Steinen empor¬<lb/>
ge&#x017F;chichtet, um mit trotziger Kraft den Anfang des Bachbettes ein¬<lb/>
zudämmen.</p><lb/>
        <p>Auf der rechten Seite kann man leicht in den Ke&#x017F;&#x017F;elcirkus<lb/>
hinabgelangen. Alsbald wird man von einem doppelten Regen¬<lb/>
bogen umringt, der, einem Nimbus gleich, &#x017F;o genau mit uns ver¬<lb/>
&#x017F;chmilzt, daß er Schritt um Schritt, &#x017F;o lange wir im Sonnenglanz<lb/>
und im Thaunebel bleiben, bald vorrückt, bald zurückweicht, wo<lb/>
wir gehen und &#x017F;tehen. Die Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen hängen &#x017F;ich an die<lb/>
Kleider und glühen einzeln wieder in unvergleichlicher Pracht.<lb/>
Aber die Nä&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;tattet nicht, &#x017F;ich die&#x017F;es Feengewandes lange zu<lb/>
freuen; ein frö&#x017F;telndes Gefühl treibt um &#x017F;o eher aus der Tiefe<lb/>
wieder ans Ufer, da die Gefahr am Tage liegt, von irgend einem<lb/>
zufällig herabgeflözten Steine plötzlich und &#x017F;elb&#x017F;t tödtlich verletzt<lb/>
zu werden.</p><lb/>
        <p>In einiger Entfernung lagert es &#x017F;ich dann auf Wie&#x017F;enhalden<lb/>
wonnig und &#x017F;icher; &#x017F;orglos genießt der Wanderer, was ihm bisher<lb/>
entgangen war. Mit unermüdetem Staunen erhebt &#x017F;ich das Auge<lb/>
nach der hohen, im Blau des Himmels &#x017F;charf gezeichneten, dunkel¬<lb/>
grauen Kante, wo die Najade zweitheilig ihr fliegendes Gewand<lb/>
in die Lüfte hängt. &#x2014; Eine Hälfte des Baches, nur unmerkbar<lb/>
von der anderen getrennt, fällt beinahe &#x017F;enkrecht herab und würde<lb/>
effektlos an der Felswand niedergleiten, wenn die&#x017F;e nicht von Oben<lb/>
bis unter die Mitte der Höhe &#x017F;ich unmerklich zurückzöge und nun<lb/>
der Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;äule freieres Fort&#x017F;chweben ge&#x017F;tattete. Die untere Hälfte<lb/>
der Bergwand tritt aber wieder ent&#x017F;chieden hervor, und nun zer&#x017F;plittert<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;e in jenen Gi&#x017F;cht und Staub, der &#x017F;o duftig und ätheri&#x017F;ch<lb/>
nieder&#x017F;chwebt und an den Bach&#x017F;turz in den &#x017F;alzburgi&#x017F;chen Alpen<lb/>
erinnert, welchen das Landvolk bezeichnend mit dem Namen des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0179] Der Waſſerfall. nung nach der Lütſchine von der Gewalt der Waſſermaſſe her, die nach Gewittern und bei großer Schneeſchmelze hier im Mittelpunkte des Falles Raum geſchafft, ohne doch die Hügel rechts und links zu vermindern; denn dieſe haben ſich aus allerlei Steinen empor¬ geſchichtet, um mit trotziger Kraft den Anfang des Bachbettes ein¬ zudämmen. Auf der rechten Seite kann man leicht in den Keſſelcirkus hinabgelangen. Alsbald wird man von einem doppelten Regen¬ bogen umringt, der, einem Nimbus gleich, ſo genau mit uns ver¬ ſchmilzt, daß er Schritt um Schritt, ſo lange wir im Sonnenglanz und im Thaunebel bleiben, bald vorrückt, bald zurückweicht, wo wir gehen und ſtehen. Die Waſſertropfen hängen ſich an die Kleider und glühen einzeln wieder in unvergleichlicher Pracht. Aber die Näſſe geſtattet nicht, ſich dieſes Feengewandes lange zu freuen; ein fröſtelndes Gefühl treibt um ſo eher aus der Tiefe wieder ans Ufer, da die Gefahr am Tage liegt, von irgend einem zufällig herabgeflözten Steine plötzlich und ſelbſt tödtlich verletzt zu werden. In einiger Entfernung lagert es ſich dann auf Wieſenhalden wonnig und ſicher; ſorglos genießt der Wanderer, was ihm bisher entgangen war. Mit unermüdetem Staunen erhebt ſich das Auge nach der hohen, im Blau des Himmels ſcharf gezeichneten, dunkel¬ grauen Kante, wo die Najade zweitheilig ihr fliegendes Gewand in die Lüfte hängt. — Eine Hälfte des Baches, nur unmerkbar von der anderen getrennt, fällt beinahe ſenkrecht herab und würde effektlos an der Felswand niedergleiten, wenn dieſe nicht von Oben bis unter die Mitte der Höhe ſich unmerklich zurückzöge und nun der Waſſerſäule freieres Fortſchweben geſtattete. Die untere Hälfte der Bergwand tritt aber wieder entſchieden hervor, und nun zerſplittert die Maſſe in jenen Giſcht und Staub, der ſo duftig und ätheriſch niederſchwebt und an den Bachſturz in den ſalzburgiſchen Alpen erinnert, welchen das Landvolk bezeichnend mit dem Namen des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/179
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/179>, abgerufen am 24.11.2024.