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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Lauine.
können, sondern Gallerieen durch dieselben brechen müssen. Dies
war ganz besonders auf den Graubündner Hochpässen in dem schnee¬
reichen Winter 1859 auf 1860 der Fall. --

Die Anwohner solcher Passagen erzählen wunderbare Geschichten
von dem instinktiven Vorgefühl mancher Thiere, die den Sturz
von Lauinen gleichsam ahnen oder man möchte fast sagen prophe¬
zeihen. So ist es notorisch, daß an jenen Abhängen, die in irgend
einer Weise von regelmäßigen Lauinenzügen berührt werden, selten
oder fast nie Spuren von Gemsen im Schnee zu finden sind. --
Die Bewohner der Bergwirthshäuser und Hospitien versichern, daß
kurz vor dem Eintritt von Staublauinen und vor dem Sturz von
Windschilden die Bergdohlen aus der Höhe herabkommen, sich
gleichsam zu den menschlichen Wohnungen flüchtend und diese krei¬
schend umflattern. -- Abgerichtete, zum Aufsuchen Verunglückter be¬
stimmte Berghunde sollen ebenfalls kurz vor dem Anbrechen von
Lauinen und Guxeten eine sichtbare Unruhe verrathen, und auf dem
Simplon hats deren gegeben, die laut heulten und hinaus ver¬
langten, um ihrer Bestimmung gemäß zu suchen. -- Die auffal¬
lendste Witterung jedoch zeigen die Pferde. Wir haben schon bei
Darstellung des Schneesturmes gesehen, daß das Pferd vor dem
Losbruch des Unwetters unaufgefordert seine äußersten Kräfte an¬
strengt, um rascher vorwärts zu kommen und wenn möglich das
schützende Haus noch zu erreichen. Ueber den Scaletta-Paß soll
früher ein Roß lange Jahre den Säumerdienst mitgemacht haben,
welches regelmäßig durch Sträuben und Stetigwerden den bevor¬
stehenden Sturz von Lauinen anzeigte, während es sonst das ge¬
duldigste und leitsamste Thier von der Welt war. Die Säumer,
welche es deshalb hoch achteten, verließen sich bei zweifelhaftem
Wetter fast ganz auf dieses Pferd. Einst hatte es auch im Winter
Passagiere mittelst Schlitten zu befördern und an einer Stelle un¬
weit der Paßhöhe angelangt, wollte es durchaus nicht von der
Stelle. Die Reisenden, unverständig genug und der Führer zu

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Die Lauine.
können, ſondern Gallerieen durch dieſelben brechen müſſen. Dies
war ganz beſonders auf den Graubündner Hochpäſſen in dem ſchnee¬
reichen Winter 1859 auf 1860 der Fall. —

Die Anwohner ſolcher Paſſagen erzählen wunderbare Geſchichten
von dem inſtinktiven Vorgefühl mancher Thiere, die den Sturz
von Lauinen gleichſam ahnen oder man möchte faſt ſagen prophe¬
zeihen. So iſt es notoriſch, daß an jenen Abhängen, die in irgend
einer Weiſe von regelmäßigen Lauinenzügen berührt werden, ſelten
oder faſt nie Spuren von Gemſen im Schnee zu finden ſind. —
Die Bewohner der Bergwirthshäuſer und Hospitien verſichern, daß
kurz vor dem Eintritt von Staublauinen und vor dem Sturz von
Windſchilden die Bergdohlen aus der Höhe herabkommen, ſich
gleichſam zu den menſchlichen Wohnungen flüchtend und dieſe krei¬
ſchend umflattern. — Abgerichtete, zum Aufſuchen Verunglückter be¬
ſtimmte Berghunde ſollen ebenfalls kurz vor dem Anbrechen von
Lauinen und Guxeten eine ſichtbare Unruhe verrathen, und auf dem
Simplon hats deren gegeben, die laut heulten und hinaus ver¬
langten, um ihrer Beſtimmung gemäß zu ſuchen. — Die auffal¬
lendſte Witterung jedoch zeigen die Pferde. Wir haben ſchon bei
Darſtellung des Schneeſturmes geſehen, daß das Pferd vor dem
Losbruch des Unwetters unaufgefordert ſeine äußerſten Kräfte an¬
ſtrengt, um raſcher vorwärts zu kommen und wenn möglich das
ſchützende Haus noch zu erreichen. Ueber den Scaletta-Paß ſoll
früher ein Roß lange Jahre den Säumerdienſt mitgemacht haben,
welches regelmäßig durch Sträuben und Stetigwerden den bevor¬
ſtehenden Sturz von Lauinen anzeigte, während es ſonſt das ge¬
duldigſte und leitſamſte Thier von der Welt war. Die Säumer,
welche es deshalb hoch achteten, verließen ſich bei zweifelhaftem
Wetter faſt ganz auf dieſes Pferd. Einſt hatte es auch im Winter
Paſſagiere mittelſt Schlitten zu befördern und an einer Stelle un¬
weit der Paßhöhe angelangt, wollte es durchaus nicht von der
Stelle. Die Reiſenden, unverſtändig genug und der Führer zu

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[211/0241] Die Lauine. können, ſondern Gallerieen durch dieſelben brechen müſſen. Dies war ganz beſonders auf den Graubündner Hochpäſſen in dem ſchnee¬ reichen Winter 1859 auf 1860 der Fall. — Die Anwohner ſolcher Paſſagen erzählen wunderbare Geſchichten von dem inſtinktiven Vorgefühl mancher Thiere, die den Sturz von Lauinen gleichſam ahnen oder man möchte faſt ſagen prophe¬ zeihen. So iſt es notoriſch, daß an jenen Abhängen, die in irgend einer Weiſe von regelmäßigen Lauinenzügen berührt werden, ſelten oder faſt nie Spuren von Gemſen im Schnee zu finden ſind. — Die Bewohner der Bergwirthshäuſer und Hospitien verſichern, daß kurz vor dem Eintritt von Staublauinen und vor dem Sturz von Windſchilden die Bergdohlen aus der Höhe herabkommen, ſich gleichſam zu den menſchlichen Wohnungen flüchtend und dieſe krei¬ ſchend umflattern. — Abgerichtete, zum Aufſuchen Verunglückter be¬ ſtimmte Berghunde ſollen ebenfalls kurz vor dem Anbrechen von Lauinen und Guxeten eine ſichtbare Unruhe verrathen, und auf dem Simplon hats deren gegeben, die laut heulten und hinaus ver¬ langten, um ihrer Beſtimmung gemäß zu ſuchen. — Die auffal¬ lendſte Witterung jedoch zeigen die Pferde. Wir haben ſchon bei Darſtellung des Schneeſturmes geſehen, daß das Pferd vor dem Losbruch des Unwetters unaufgefordert ſeine äußerſten Kräfte an¬ ſtrengt, um raſcher vorwärts zu kommen und wenn möglich das ſchützende Haus noch zu erreichen. Ueber den Scaletta-Paß ſoll früher ein Roß lange Jahre den Säumerdienſt mitgemacht haben, welches regelmäßig durch Sträuben und Stetigwerden den bevor¬ ſtehenden Sturz von Lauinen anzeigte, während es ſonſt das ge¬ duldigſte und leitſamſte Thier von der Welt war. Die Säumer, welche es deshalb hoch achteten, verließen ſich bei zweifelhaftem Wetter faſt ganz auf dieſes Pferd. Einſt hatte es auch im Winter Paſſagiere mittelſt Schlitten zu befördern und an einer Stelle un¬ weit der Paßhöhe angelangt, wollte es durchaus nicht von der Stelle. Die Reiſenden, unverſtändig genug und der Führer zu 14*

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/241>, abgerufen am 21.11.2024.