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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Gletscher.
die vorliegenden Brocken mit dem abgeschliffenen Gestein, über wel¬
ches wir wanderten, vergleichen, daß es ganz anderer Abstammung
ist. Diese aufgebauten Haufen werden Front-Moränen, Stirn-
Gandecken, Firnstöße genannt. Sie sind Resultate der allmähligen
Gebirgszertrümmerung und Musterkarten der Felsenarten, welche die
Gletscher umstehen. Der Gletscher hat sie aus zwei oder noch mehr
Stunden entfernten Hochgebirgs-Revieren auf seinem Rücken lang¬
sam hierher transportirt, und wir erhalten durch sie den ersten Be¬
weis von der wandernden Thätigkeit des scheinbar stillstehenden
Eisgebäudes. Die Oeffnung aber, welche unten an der Eiswand
sich zeigt, ist das s. g. Gletscherthor, aus dem ein breiter, kräftiger
Bach abgeschmolzenen Eiswassers hervorströmt:

-- -- der Gletscher Milch,
Die aus den Runsen schäumend niederquillt.

Das Wasser ist milchweiß oder hellgräulich-trübe, selten durch¬
sichtig klar. Woher die Färbung? -- Der Gletscher mit seiner
millionenfach-zentnerschweren Last langsam über den Granit- oder
Kalkfelsen seiner Stromsohle hinabgleitend, schleift unerkennbar feine
Theilchen des Gesteins ab und färbt mit diesen das Gletscherwasser.
Die ausgekehlten Flächen, die wir kurz vorher durchwanderten, sind
gleichfalls Resultate dieser polirenden Thätigkeit. Man trifft am
Riffel, längs des Gorner-Gletschers unterm Monte Rosa und nahe
bei Zermatt, -- am Viescher-Gletscher im Oberwallis und an den
Borden vieler anderer, solche wunderbar polirte Gneis- und Granit-
Hügel, welche Kunde geben, daß einst der Gletscher, als er größer,
höher, breiter war, über diese Stelle hinwegging und sie also ab¬
rundete.

Manche Gletscher haben gar kein Gletscherthor, sondern laufen,
flach wie eine Muschel sich ausbreitend, schwach geneigt über die
Thalsohle aus; -- so der prachtvolle Rhone-Gletscher in der Tiefe
des Wallis, der Rosegg-Gletscher an der Bernina-Gruppe u. A. --
Wieder Andere haben hohe imposante Gletscherthore, ähnlich den

Der Gletſcher.
die vorliegenden Brocken mit dem abgeſchliffenen Geſtein, über wel¬
ches wir wanderten, vergleichen, daß es ganz anderer Abſtammung
iſt. Dieſe aufgebauten Haufen werden Front-Moränen, Stirn-
Gandecken, Firnſtöße genannt. Sie ſind Reſultate der allmähligen
Gebirgszertrümmerung und Muſterkarten der Felſenarten, welche die
Gletſcher umſtehen. Der Gletſcher hat ſie aus zwei oder noch mehr
Stunden entfernten Hochgebirgs-Revieren auf ſeinem Rücken lang¬
ſam hierher transportirt, und wir erhalten durch ſie den erſten Be¬
weis von der wandernden Thätigkeit des ſcheinbar ſtillſtehenden
Eisgebäudes. Die Oeffnung aber, welche unten an der Eiswand
ſich zeigt, iſt das ſ. g. Gletſcherthor, aus dem ein breiter, kräftiger
Bach abgeſchmolzenen Eiswaſſers hervorſtrömt:

— — der Gletſcher Milch,
Die aus den Runſen ſchäumend niederquillt.

Das Waſſer iſt milchweiß oder hellgräulich-trübe, ſelten durch¬
ſichtig klar. Woher die Färbung? — Der Gletſcher mit ſeiner
millionenfach-zentnerſchweren Laſt langſam über den Granit- oder
Kalkfelſen ſeiner Stromſohle hinabgleitend, ſchleift unerkennbar feine
Theilchen des Geſteins ab und färbt mit dieſen das Gletſcherwaſſer.
Die ausgekehlten Flächen, die wir kurz vorher durchwanderten, ſind
gleichfalls Reſultate dieſer polirenden Thätigkeit. Man trifft am
Riffel, längs des Gorner-Gletſchers unterm Monte Roſa und nahe
bei Zermatt, — am Vieſcher-Gletſcher im Oberwallis und an den
Borden vieler anderer, ſolche wunderbar polirte Gneis- und Granit-
Hügel, welche Kunde geben, daß einſt der Gletſcher, als er größer,
höher, breiter war, über dieſe Stelle hinwegging und ſie alſo ab¬
rundete.

Manche Gletſcher haben gar kein Gletſcherthor, ſondern laufen,
flach wie eine Muſchel ſich ausbreitend, ſchwach geneigt über die
Thalſohle aus; — ſo der prachtvolle Rhône-Gletſcher in der Tiefe
des Wallis, der Roſegg-Gletſcher an der Bernina-Gruppe u. A. —
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[218/0250] Der Gletſcher. die vorliegenden Brocken mit dem abgeſchliffenen Geſtein, über wel¬ ches wir wanderten, vergleichen, daß es ganz anderer Abſtammung iſt. Dieſe aufgebauten Haufen werden Front-Moränen, Stirn- Gandecken, Firnſtöße genannt. Sie ſind Reſultate der allmähligen Gebirgszertrümmerung und Muſterkarten der Felſenarten, welche die Gletſcher umſtehen. Der Gletſcher hat ſie aus zwei oder noch mehr Stunden entfernten Hochgebirgs-Revieren auf ſeinem Rücken lang¬ ſam hierher transportirt, und wir erhalten durch ſie den erſten Be¬ weis von der wandernden Thätigkeit des ſcheinbar ſtillſtehenden Eisgebäudes. Die Oeffnung aber, welche unten an der Eiswand ſich zeigt, iſt das ſ. g. Gletſcherthor, aus dem ein breiter, kräftiger Bach abgeſchmolzenen Eiswaſſers hervorſtrömt: — — der Gletſcher Milch, Die aus den Runſen ſchäumend niederquillt. Das Waſſer iſt milchweiß oder hellgräulich-trübe, ſelten durch¬ ſichtig klar. Woher die Färbung? — Der Gletſcher mit ſeiner millionenfach-zentnerſchweren Laſt langſam über den Granit- oder Kalkfelſen ſeiner Stromſohle hinabgleitend, ſchleift unerkennbar feine Theilchen des Geſteins ab und färbt mit dieſen das Gletſcherwaſſer. Die ausgekehlten Flächen, die wir kurz vorher durchwanderten, ſind gleichfalls Reſultate dieſer polirenden Thätigkeit. Man trifft am Riffel, längs des Gorner-Gletſchers unterm Monte Roſa und nahe bei Zermatt, — am Vieſcher-Gletſcher im Oberwallis und an den Borden vieler anderer, ſolche wunderbar polirte Gneis- und Granit- Hügel, welche Kunde geben, daß einſt der Gletſcher, als er größer, höher, breiter war, über dieſe Stelle hinwegging und ſie alſo ab¬ rundete. Manche Gletſcher haben gar kein Gletſcherthor, ſondern laufen, flach wie eine Muſchel ſich ausbreitend, ſchwach geneigt über die Thalſohle aus; — ſo der prachtvolle Rhône-Gletſcher in der Tiefe des Wallis, der Roſegg-Gletſcher an der Bernina-Gruppe u. A. — Wieder Andere haben hohe impoſante Gletſcherthore, ähnlich den

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/250>, abgerufen am 24.11.2024.