Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Gletscher. Fuß Höhe sind am Gorner-Gletscher ob Zermatt (im Wallis), amGlacier des Bois unterm Chapeau und am Montanvert, so wie tiefer drin am Glacier du Talefre (beide im Chamouny-Thal) und am Pasterzen-Gletscher beim Groß-Glockner durchaus keine Seltenheiten. Auch der Rhone- und die beiden Grindelwald-Glet¬ scher sind reich an solchen. Sie überdecken bei Manchem viertel¬ stundengroße Flächen. Aber, so wie die Schaumwolken des Wasserfalles drunten rasch Weiter hinauf! Wir können nun den Gletscher endlich betreten. Der Gletſcher. Fuß Höhe ſind am Gorner-Gletſcher ob Zermatt (im Wallis), amGlacier des Bois unterm Chapeau und am Montanvert, ſo wie tiefer drin am Glacier du Talèfre (beide im Chamouny-Thal) und am Paſterzen-Gletſcher beim Groß-Glockner durchaus keine Seltenheiten. Auch der Rhône- und die beiden Grindelwald-Glet¬ ſcher ſind reich an ſolchen. Sie überdecken bei Manchem viertel¬ ſtundengroße Flächen. Aber, ſo wie die Schaumwolken des Waſſerfalles drunten raſch Weiter hinauf! Wir können nun den Gletſcher endlich betreten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0254" n="222"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Gletſcher</hi>.<lb/></fw> Fuß Höhe ſind am Gorner-Gletſcher ob Zermatt (im Wallis), am<lb/><hi rendition="#aq">Glacier des Bois</hi> unterm <hi rendition="#aq">Chapeau</hi> und am <hi rendition="#aq">Montanvert</hi>, ſo wie<lb/> tiefer drin am <hi rendition="#aq">Glacier du Talèfre</hi> (beide im Chamouny-Thal)<lb/> und am Paſterzen-Gletſcher beim Groß-Glockner durchaus keine<lb/> Seltenheiten. Auch der Rhône- und die beiden Grindelwald-Glet¬<lb/> ſcher ſind reich an ſolchen. Sie überdecken bei Manchem viertel¬<lb/> ſtundengroße Flächen.</p><lb/> <p>Aber, ſo wie die Schaumwolken des Waſſerfalles drunten raſch<lb/> die gefangenen Luftbläschen wieder entlaſſen und ſich zu der glatten,<lb/> homogenen Fluß-Fläche wieder vereinen, eben ſo verwachſen die Eis¬<lb/> trümmer, nicht weit unter ihrer Katarakt-Linie, mittelſt Kompreſſion,<lb/> Durchfeuchtung und Wiedergefrieren der eingeſickerten, tropfbar¬<lb/> flüſſig gewordenen Abſchmelzwaſſer, bald wieder zu einem Körper-<lb/> Ganzen, das am Ende die kompakte Gletſcher-Front bildet.</p><lb/> <p>Weiter hinauf! Wir können nun den Gletſcher endlich betreten.<lb/> Es iſt gegen Mittag und die Sonne ſcheint warm. Wie ganz<lb/> anders, als wir ſie uns dachten, geſtaltet ſich nun die ziemlich ebene<lb/> Oberfläche. Sie iſt von tauſend und abermals tauſend Rinnen<lb/> und Rinnchen durchfurcht, die kreuzend und mäanderiſch ihre Bahnen<lb/> gebildet haben. Emſig eilen die kleinen Waſſeradern des kaum<lb/> einen Grad Wärme haltenden, diamantklaren Eiswaſſers größeren<lb/> bach-ähnlichen Furchen zu, deren Bett ebenfalls aus durchſichtig¬<lb/> hellem Gletſcher-Eis beſteht. Dieſe Bäche aber ſtürzen nach kurzem<lb/> Laufe, laut rauſchend in tiefe, trichterförmige Löcher, „<hi rendition="#g">Mühlen</hi><lb/> oder <hi rendition="#aq">Moulins</hi>“ genannt, in denen ſie ſpurlos verſchwinden. Es<lb/> ſind geheime Kanäle, die in allerlei Windungen und Verzweigungen<lb/> bis auf den Felſengrund des Gletſchers hinabreichen und dem aus dem<lb/> Gletſcherthor hervorquellenden Gletſcherbach Nahrung zuführen. Die<lb/> ganze ſanft gewölbte Oberfläche des Gletſchers glitzert und leuchtet<lb/> vom Reflex der Sonnenſtrahlen auf dem blanken, waſſerüberron¬<lb/> nenen Eiſe; eine unendlich fieberhaft-zitternde Beweglichkeit iſt über<lb/> die ganze Eishalde ausgegoſſen, ſo daß ein wie von Monaden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [222/0254]
Der Gletſcher.
Fuß Höhe ſind am Gorner-Gletſcher ob Zermatt (im Wallis), am
Glacier des Bois unterm Chapeau und am Montanvert, ſo wie
tiefer drin am Glacier du Talèfre (beide im Chamouny-Thal)
und am Paſterzen-Gletſcher beim Groß-Glockner durchaus keine
Seltenheiten. Auch der Rhône- und die beiden Grindelwald-Glet¬
ſcher ſind reich an ſolchen. Sie überdecken bei Manchem viertel¬
ſtundengroße Flächen.
Aber, ſo wie die Schaumwolken des Waſſerfalles drunten raſch
die gefangenen Luftbläschen wieder entlaſſen und ſich zu der glatten,
homogenen Fluß-Fläche wieder vereinen, eben ſo verwachſen die Eis¬
trümmer, nicht weit unter ihrer Katarakt-Linie, mittelſt Kompreſſion,
Durchfeuchtung und Wiedergefrieren der eingeſickerten, tropfbar¬
flüſſig gewordenen Abſchmelzwaſſer, bald wieder zu einem Körper-
Ganzen, das am Ende die kompakte Gletſcher-Front bildet.
Weiter hinauf! Wir können nun den Gletſcher endlich betreten.
Es iſt gegen Mittag und die Sonne ſcheint warm. Wie ganz
anders, als wir ſie uns dachten, geſtaltet ſich nun die ziemlich ebene
Oberfläche. Sie iſt von tauſend und abermals tauſend Rinnen
und Rinnchen durchfurcht, die kreuzend und mäanderiſch ihre Bahnen
gebildet haben. Emſig eilen die kleinen Waſſeradern des kaum
einen Grad Wärme haltenden, diamantklaren Eiswaſſers größeren
bach-ähnlichen Furchen zu, deren Bett ebenfalls aus durchſichtig¬
hellem Gletſcher-Eis beſteht. Dieſe Bäche aber ſtürzen nach kurzem
Laufe, laut rauſchend in tiefe, trichterförmige Löcher, „Mühlen
oder Moulins“ genannt, in denen ſie ſpurlos verſchwinden. Es
ſind geheime Kanäle, die in allerlei Windungen und Verzweigungen
bis auf den Felſengrund des Gletſchers hinabreichen und dem aus dem
Gletſcherthor hervorquellenden Gletſcherbach Nahrung zuführen. Die
ganze ſanft gewölbte Oberfläche des Gletſchers glitzert und leuchtet
vom Reflex der Sonnenſtrahlen auf dem blanken, waſſerüberron¬
nenen Eiſe; eine unendlich fieberhaft-zitternde Beweglichkeit iſt über
die ganze Eishalde ausgegoſſen, ſo daß ein wie von Monaden
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