Die Fluhen und Kämme dieses Gesteines sind schroffer em¬ porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flysch, -- malerisch-zackige Felsen-Facaden oft in überraschend schöner Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am wilden Wallensee, am Vierwaldstätter- und Brienzer-See mit ihren Pfeilerarkaden und Winkelvorsprüngen, ihren Nischen und Ecksäulen, deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landschaftlich so bezau¬ berndschöne ist, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen sich schon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Massen, gleichsam vor¬ geschobene Posten der imposanten Gipfel-Armee, welche im Rücken derselben ihr Lager aufgeschlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬ felsen die Höhe der Schneegränze, also 7000 bis 8000 Fuß. Aber auch in dieser Formation unterscheidet die Wissenschaft in den Alpen wieder vier Gesteinsarten. Die unterste derselben ist der Spa¬ tangenkalk oder Neocomien, so genannt von Neocomum oder Neuchatel, in welcher Gegend er hauptsächlich entwickelt ist; -- auf ihm lagert der Rudisten- oder Caprotinenkalk, von dem in der Schilderung der "Karrenfelder" Weiteres zu finden ist; -- über diesem wieder der Gault, ein an Versteinerungen sehr reicher Sandstein, -- und obenauf endlich als jüngstes Gebilde der Seewerkalk.
In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬ schen Rhone und Aar, ist die Kreideformation gänzlich verschwun¬ den und ein noch älteres Gestein, der an Petrefakten sehr reiche Jurakalk, ersetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge ein; wir stehen auf der untersten Stufe der treppenförmig an¬ steigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen Strebemassen leuchten Firnfelder und überschneite Hochkulme her¬ nieder, -- von ihnen brausen jäh über die Felsenwände die zu Schaumflocken zerstäubenden Wasserfälle herab, die bald in ge¬ schlossenen, vollen, breiten Garben zu Thal stürzen wie die Fälle des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Wasserstaub
Das Alpengebäude.
Die Fluhen und Kämme dieſes Geſteines ſind ſchroffer em¬ porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flyſch, — maleriſch-zackige Felſen-Façaden oft in überraſchend ſchöner Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am wilden Wallenſee, am Vierwaldſtätter- und Brienzer-See mit ihren Pfeilerarkaden und Winkelvorſprüngen, ihren Niſchen und Eckſäulen, deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landſchaftlich ſo bezau¬ berndſchöne iſt, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen ſich ſchon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Maſſen, gleichſam vor¬ geſchobene Poſten der impoſanten Gipfel-Armee, welche im Rücken derſelben ihr Lager aufgeſchlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬ felſen die Höhe der Schneegränze, alſo 7000 bis 8000 Fuß. Aber auch in dieſer Formation unterſcheidet die Wiſſenſchaft in den Alpen wieder vier Geſteinsarten. Die unterſte derſelben iſt der Spa¬ tangenkalk oder Neocomien, ſo genannt von Neocomum oder Neuchâtel, in welcher Gegend er hauptſächlich entwickelt iſt; — auf ihm lagert der Rudiſten- oder Caprotinenkalk, von dem in der Schilderung der „Karrenfelder“ Weiteres zu finden iſt; — über dieſem wieder der Gault, ein an Verſteinerungen ſehr reicher Sandſtein, — und obenauf endlich als jüngſtes Gebilde der Seewerkalk.
In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬ ſchen Rhône und Aar, iſt die Kreideformation gänzlich verſchwun¬ den und ein noch älteres Geſtein, der an Petrefakten ſehr reiche Jurakalk, erſetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge ein; wir ſtehen auf der unterſten Stufe der treppenförmig an¬ ſteigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen Strebemaſſen leuchten Firnfelder und überſchneite Hochkulme her¬ nieder, — von ihnen brauſen jäh über die Felſenwände die zu Schaumflocken zerſtäubenden Waſſerfälle herab, die bald in ge¬ ſchloſſenen, vollen, breiten Garben zu Thal ſtürzen wie die Fälle des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Waſſerſtaub
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Das Alpengebäude.
Die Fluhen und Kämme dieſes Geſteines ſind ſchroffer em¬
porgerichtet, kühner, markirter in den Linien als die des Flyſch,
— maleriſch-zackige Felſen-Façaden oft in überraſchend ſchöner
Detailzeichnung. Alle jene großartigen Uferdekorationen am
wilden Wallenſee, am Vierwaldſtätter- und Brienzer-See mit ihren
Pfeilerarkaden und Winkelvorſprüngen, ihren Niſchen und Eckſäulen,
deren Gruppirung und Gegenwirkung eine landſchaftlich ſo bezau¬
berndſchöne iſt, gehören der Kreide-Formation an. Da zeigen ſich
ſchon ausgeprägte Alpenformen in grotesken Maſſen, gleichſam vor¬
geſchobene Poſten der impoſanten Gipfel-Armee, welche im Rücken
derſelben ihr Lager aufgeſchlagen hat. Selten erreichen die Kreide¬
felſen die Höhe der Schneegränze, alſo 7000 bis 8000 Fuß. Aber
auch in dieſer Formation unterſcheidet die Wiſſenſchaft in den Alpen
wieder vier Geſteinsarten. Die unterſte derſelben iſt der Spa¬
tangenkalk oder Neocomien, ſo genannt von Neocomum oder
Neuchâtel, in welcher Gegend er hauptſächlich entwickelt iſt; —
auf ihm lagert der Rudiſten- oder Caprotinenkalk, von dem
in der Schilderung der „Karrenfelder“ Weiteres zu finden iſt; —
über dieſem wieder der Gault, ein an Verſteinerungen ſehr reicher
Sandſtein, — und obenauf endlich als jüngſtes Gebilde der
Seewerkalk.
In einer großen Strecke der Berner Alpen, namentlich zwi¬
ſchen Rhône und Aar, iſt die Kreideformation gänzlich verſchwun¬
den und ein noch älteres Geſtein, der an Petrefakten ſehr reiche
Jurakalk, erſetzt deren Stelle. Hier treten wir ins Hochgebirge
ein; wir ſtehen auf der unterſten Stufe der treppenförmig an¬
ſteigenden großen Alpenthäler. Durch jede Lücke der erhabenen
Strebemaſſen leuchten Firnfelder und überſchneite Hochkulme her¬
nieder, — von ihnen brauſen jäh über die Felſenwände die zu
Schaumflocken zerſtäubenden Waſſerfälle herab, die bald in ge¬
ſchloſſenen, vollen, breiten Garben zu Thal ſtürzen wie die Fälle
des Reichenbaches und Giesbaches, oder in funkelnden Waſſerſtaub
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/29>, abgerufen am 21.11.2024.
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