Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen. Höhe dräuend über der Straße und entsendet während der wär¬meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abschmelz- Wassers, das in lustigem Bogen über das mittelste der eilf Gallerien- Fenster herabbraust. Der Wanderer steht hinter dem Wasserfall in der mit Kalksinter überzogenen Gallerie und sieht durch die jagenden Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem schützen die Gal¬ lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewasser gebildeten, kolos¬ salen Eiszapfen, welche im Frühjahr sich von den zu Häupten hangenden Felsenmassen ablösen und mit Blitzgeschwindigkeit in furchtbarer Vehemenz herniederschmettern. Die längste aller Schutzgallerien ist die all' aque rosse ge¬ Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes, Auf diesen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. Höhe dräuend über der Straße und entſendet während der wär¬meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abſchmelz- Waſſers, das in luſtigem Bogen über das mittelſte der eilf Gallerien- Fenſter herabbrauſt. Der Wanderer ſteht hinter dem Waſſerfall in der mit Kalkſinter überzogenen Gallerie und ſieht durch die jagenden Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem ſchützen die Gal¬ lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewaſſer gebildeten, koloſ¬ ſalen Eiszapfen, welche im Frühjahr ſich von den zu Häupten hangenden Felſenmaſſen ablöſen und mit Blitzgeſchwindigkeit in furchtbarer Vehemenz herniederſchmettern. Die längſte aller Schutzgallerien iſt die all' aque rosse ge¬ Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes, Auf dieſen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0330" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw>Höhe dräuend über der Straße und entſendet während der wär¬<lb/> meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abſchmelz-<lb/> Waſſers, das in luſtigem Bogen über das mittelſte der eilf Gallerien-<lb/> Fenſter herabbrauſt. Der Wanderer ſteht hinter dem Waſſerfall in<lb/> der mit Kalkſinter überzogenen Gallerie und ſieht durch die jagenden<lb/> Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem ſchützen die Gal¬<lb/> lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch<lb/> herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewaſſer gebildeten, koloſ¬<lb/> ſalen Eiszapfen, welche im Frühjahr ſich von den zu Häupten<lb/> hangenden Felſenmaſſen ablöſen und mit Blitzgeſchwindigkeit in<lb/> furchtbarer Vehemenz herniederſchmettern.</p><lb/> <p>Die längſte aller Schutzgallerien iſt die <hi rendition="#aq">all' aque rosse</hi> ge¬<lb/> nannte 1530 Fuß lange auf der Splügenſtraße, die ihren Namen<lb/> vom herabſickernden, eiſenhaltigen Waſſer, welches die Felſen roth<lb/> färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Rieſenarbeiten<lb/> der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauenſtein-<lb/> Tunnel (Baſelland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬<lb/> derſtück alpiner Baukunſt. — Kreuze an der Straße bezeichnen die<lb/> Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schneeſtürme verſchüttet,<lb/> den Tod fanden.</p><lb/> <p>Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes,<lb/> großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die<lb/> Höhe des Weges erreicht iſt, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes<lb/> Schutz. Die Hoſpitien oder Berghäuſer liegen gewöhnlich ſchon<lb/> wieder etwas ſüdlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von<lb/> beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen geſchützt zu ſein;<lb/> ſo iſts auf dem Simplon, Gotthard und Splügen.</p><lb/> <p>Auf dieſen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die<lb/> alte, reichbelebte, vielgeſtaltige Landſtraßen-Romantik, welche die<lb/> Eiſenbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt<lb/> noch das weittönende, disharmoniſche Schellengeläute von dem<lb/> Sechsgeſpann der ſchweren, robuſten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [294/0330]
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Höhe dräuend über der Straße und entſendet während der wär¬
meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abſchmelz-
Waſſers, das in luſtigem Bogen über das mittelſte der eilf Gallerien-
Fenſter herabbrauſt. Der Wanderer ſteht hinter dem Waſſerfall in
der mit Kalkſinter überzogenen Gallerie und ſieht durch die jagenden
Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem ſchützen die Gal¬
lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch
herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewaſſer gebildeten, koloſ¬
ſalen Eiszapfen, welche im Frühjahr ſich von den zu Häupten
hangenden Felſenmaſſen ablöſen und mit Blitzgeſchwindigkeit in
furchtbarer Vehemenz herniederſchmettern.
Die längſte aller Schutzgallerien iſt die all' aque rosse ge¬
nannte 1530 Fuß lange auf der Splügenſtraße, die ihren Namen
vom herabſickernden, eiſenhaltigen Waſſer, welches die Felſen roth
färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Rieſenarbeiten
der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauenſtein-
Tunnel (Baſelland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬
derſtück alpiner Baukunſt. — Kreuze an der Straße bezeichnen die
Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schneeſtürme verſchüttet,
den Tod fanden.
Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes,
großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die
Höhe des Weges erreicht iſt, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes
Schutz. Die Hoſpitien oder Berghäuſer liegen gewöhnlich ſchon
wieder etwas ſüdlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von
beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen geſchützt zu ſein;
ſo iſts auf dem Simplon, Gotthard und Splügen.
Auf dieſen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die
alte, reichbelebte, vielgeſtaltige Landſtraßen-Romantik, welche die
Eiſenbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt
noch das weittönende, disharmoniſche Schellengeläute von dem
Sechsgeſpann der ſchweren, robuſten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬
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