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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.

So gefahrvoll beide Zweige dieser Arbeit sind, so selten ists
der Fall, daß Leute dabei umkommen. Sie kennen die örtlichen
Beschaffenheiten des Berges so genau wie die Lokalitäten ihrer
Wohnstube; sie achten vorsichtig auf jede Wind- und Wetter-Aen¬
derung und taxiren deren Folgen, -- sie wissen den Lauinen
fast instinktmäßig auszuweichen. Postillone, Fuhrleute, Säumer,
überhaupt, wer den Berg überschreitet, -- Alle beachten genau die
Mahnungen und Rathschläge der Rutner, und wo dieselben aus
Uebermuth oder Leichtsinn verworfen wurden, erfolgten gewöhnlich
Unglücksfälle.

Ist nun die Höhe von der Post glücklich erreicht, haben
Passagiere und Pferde sich gestärkt, dann gehts mit blitzschneller
Geschwindigkeit unter lautem Jauchzen und Jubeln, durch die eisig¬
wehende Winterluft hinab. Bisweilen schneidet der ganze Zug
schnurgerade die Straßenwindungen ab, wenn der Schnee nicht zu
hoch liegt oder wo eine Diagonal-Linie (Contrapendenza) gebro¬
chen wurde. Nach Mühseligkeiten vieler Art kommt der Reisende
wieder im Thale an, und begrüßt mit freudigen Gefühlen die
Wohnungen des ersten Dorfes. Im Vergleich mit den im Flach¬
lande häufig vorkommenden Unglücksfällen durch umgeworfene
Postwagen und scheue Pferde, begegnen auf den Alpen-Passagen
glücklicherweise wunderbar wenig Schreckens-Ereignisse dieser Art.
Um solche aber auch, wenn sie vorkommen sollten, so viel immer
möglich, in ihren Effekten zu schwächen, werden im Winter auf
den Schweizer Alpenstraßen nie gedeckte, mit Fenstern versehene
Schlitten benutzt, damit, im Falle des Umwerfens, die Passagiere
nicht durch Glasscherben verwundet werden können. Aus gleichem
Grunde haben die französischen und sardinischen Ueberberg-Schlitten
nur hölzerne Jalousien statt der Glasfenster. -- So ist das Leben auf
den fahrbaren Bergstraßen.

Wesentlich anders gestaltet es sich auf den vielbegangenen,
nicht fahrbaren Alpenpässen. Dort zeigt sich das Verkehrsleben

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.

So gefahrvoll beide Zweige dieſer Arbeit ſind, ſo ſelten iſts
der Fall, daß Leute dabei umkommen. Sie kennen die örtlichen
Beſchaffenheiten des Berges ſo genau wie die Lokalitäten ihrer
Wohnſtube; ſie achten vorſichtig auf jede Wind- und Wetter-Aen¬
derung und taxiren deren Folgen, — ſie wiſſen den Lauinen
faſt inſtinktmäßig auszuweichen. Poſtillone, Fuhrleute, Säumer,
überhaupt, wer den Berg überſchreitet, — Alle beachten genau die
Mahnungen und Rathſchläge der Rutner, und wo dieſelben aus
Uebermuth oder Leichtſinn verworfen wurden, erfolgten gewöhnlich
Unglücksfälle.

Iſt nun die Höhe von der Poſt glücklich erreicht, haben
Paſſagiere und Pferde ſich geſtärkt, dann gehts mit blitzſchneller
Geſchwindigkeit unter lautem Jauchzen und Jubeln, durch die eiſig¬
wehende Winterluft hinab. Bisweilen ſchneidet der ganze Zug
ſchnurgerade die Straßenwindungen ab, wenn der Schnee nicht zu
hoch liegt oder wo eine Diagonal-Linie (Contrapendenza) gebro¬
chen wurde. Nach Mühſeligkeiten vieler Art kommt der Reiſende
wieder im Thale an, und begrüßt mit freudigen Gefühlen die
Wohnungen des erſten Dorfes. Im Vergleich mit den im Flach¬
lande häufig vorkommenden Unglücksfällen durch umgeworfene
Poſtwagen und ſcheue Pferde, begegnen auf den Alpen-Paſſagen
glücklicherweiſe wunderbar wenig Schreckens-Ereigniſſe dieſer Art.
Um ſolche aber auch, wenn ſie vorkommen ſollten, ſo viel immer
möglich, in ihren Effekten zu ſchwächen, werden im Winter auf
den Schweizer Alpenſtraßen nie gedeckte, mit Fenſtern verſehene
Schlitten benutzt, damit, im Falle des Umwerfens, die Paſſagiere
nicht durch Glasſcherben verwundet werden können. Aus gleichem
Grunde haben die franzöſiſchen und ſardiniſchen Ueberberg-Schlitten
nur hölzerne Jalouſien ſtatt der Glasfenſter. — So iſt das Leben auf
den fahrbaren Bergſtraßen.

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[303/0339] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. So gefahrvoll beide Zweige dieſer Arbeit ſind, ſo ſelten iſts der Fall, daß Leute dabei umkommen. Sie kennen die örtlichen Beſchaffenheiten des Berges ſo genau wie die Lokalitäten ihrer Wohnſtube; ſie achten vorſichtig auf jede Wind- und Wetter-Aen¬ derung und taxiren deren Folgen, — ſie wiſſen den Lauinen faſt inſtinktmäßig auszuweichen. Poſtillone, Fuhrleute, Säumer, überhaupt, wer den Berg überſchreitet, — Alle beachten genau die Mahnungen und Rathſchläge der Rutner, und wo dieſelben aus Uebermuth oder Leichtſinn verworfen wurden, erfolgten gewöhnlich Unglücksfälle. Iſt nun die Höhe von der Poſt glücklich erreicht, haben Paſſagiere und Pferde ſich geſtärkt, dann gehts mit blitzſchneller Geſchwindigkeit unter lautem Jauchzen und Jubeln, durch die eiſig¬ wehende Winterluft hinab. Bisweilen ſchneidet der ganze Zug ſchnurgerade die Straßenwindungen ab, wenn der Schnee nicht zu hoch liegt oder wo eine Diagonal-Linie (Contrapendenza) gebro¬ chen wurde. Nach Mühſeligkeiten vieler Art kommt der Reiſende wieder im Thale an, und begrüßt mit freudigen Gefühlen die Wohnungen des erſten Dorfes. Im Vergleich mit den im Flach¬ lande häufig vorkommenden Unglücksfällen durch umgeworfene Poſtwagen und ſcheue Pferde, begegnen auf den Alpen-Paſſagen glücklicherweiſe wunderbar wenig Schreckens-Ereigniſſe dieſer Art. Um ſolche aber auch, wenn ſie vorkommen ſollten, ſo viel immer möglich, in ihren Effekten zu ſchwächen, werden im Winter auf den Schweizer Alpenſtraßen nie gedeckte, mit Fenſtern verſehene Schlitten benutzt, damit, im Falle des Umwerfens, die Paſſagiere nicht durch Glasſcherben verwundet werden können. Aus gleichem Grunde haben die franzöſiſchen und ſardiniſchen Ueberberg-Schlitten nur hölzerne Jalouſien ſtatt der Glasfenſter. — So iſt das Leben auf den fahrbaren Bergſtraßen. Weſentlich anders geſtaltet es ſich auf den vielbegangenen, nicht fahrbaren Alpenpäſſen. Dort zeigt ſich das Verkehrsleben

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/339>, abgerufen am 24.11.2024.