Da der südliche Abhang der Alpen, wie schon früher erwähnt, immer steiler ist als der gen Norden auslaufende, so sind auch die Paßniedergänge an dieser Seite immer jäher und stotziger. Von der Grimsel-Höhe führt der gut geebnete Pfad über die steile Meyenwand zum Rhone-Gletscher hinab, und an der Gemmi wurde ein solcher gar in die fast vertikal sich erhebende, beinahe 2000 Fuß hohe Balmwand gesprengt. Es ist einer der abenteuerlichsten Wege, der überhaupt in den Alpen vorkommt. Eine tiefe, düstere Felsen¬ spalte klafft von unten bis hinauf in der Wand; in dieser wurde durch künstliche Aufmauerung oder durch Ausbrechen ein etagen¬ förmig sich übereinander emporwindender Felsengang erzwungen, der dem Wanderer selten mehr als einige Dutzend Schritte zeigt. Lautschallendes Echo, wie in den leeren Hallen einer großen Kirche, begleitet jedes gesprochene oder gerufene Wort. Mehr als eine halbe Stunde lang hört der vom Bade Leuk aufsteigende Wanderer in der senkrechten Schlucht von oben herab die Jauchzer der Herunterkommenden, ohne sie früher zu sehen, als bis er ihnen un¬ mittelbar begegnet. Mitunter ist der durch Brustwehr-Mauern ge¬ schützte Niederblick in die felsige Wüstenei mehr als schauerig, und während 11/2 Stunden sieht man, so oft der Weg sich wieder aus¬ buchtet, immer aufs Neue das Leukerbad senkrecht zu Füßen liegen. Auf diesen Pässen begegnet man zur Seltenheit noch dem "Säu¬ mer und seinen Saumrossen."
Seit dem Bau der Kunststraßen ist diese, Jahrhunderte lang, während des ganzen Mittelalters bis auf die jüngst vergangene Zeit gebräuchliche Art des Transportes der Handelswaaren auf dem Rücken der Pferde und Maulthiere, fast gänzlich verschwunden. Nur auf den nicht fahrbaren, aber dennoch sehr frequenten Alpen¬ pässen, wie z. B. auf der Gemmi, begegnet man denselben noch vereinzelt. Jedes Saumthier trägt einen aus hölzernen Sparren konstruirten Sattel, der auf beiden Seiten weit herabreicht und den Rücken vom Halsbug bis zu den Hüften überdeckt. An und
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Da der ſüdliche Abhang der Alpen, wie ſchon früher erwähnt, immer ſteiler iſt als der gen Norden auslaufende, ſo ſind auch die Paßniedergänge an dieſer Seite immer jäher und ſtotziger. Von der Grimſel-Höhe führt der gut geebnete Pfad über die ſteile Meyenwand zum Rhône-Gletſcher hinab, und an der Gemmi wurde ein ſolcher gar in die faſt vertikal ſich erhebende, beinahe 2000 Fuß hohe Balmwand geſprengt. Es iſt einer der abenteuerlichſten Wege, der überhaupt in den Alpen vorkommt. Eine tiefe, düſtere Felſen¬ ſpalte klafft von unten bis hinauf in der Wand; in dieſer wurde durch künſtliche Aufmauerung oder durch Ausbrechen ein etagen¬ förmig ſich übereinander emporwindender Felſengang erzwungen, der dem Wanderer ſelten mehr als einige Dutzend Schritte zeigt. Lautſchallendes Echo, wie in den leeren Hallen einer großen Kirche, begleitet jedes geſprochene oder gerufene Wort. Mehr als eine halbe Stunde lang hört der vom Bade Leuk aufſteigende Wanderer in der ſenkrechten Schlucht von oben herab die Jauchzer der Herunterkommenden, ohne ſie früher zu ſehen, als bis er ihnen un¬ mittelbar begegnet. Mitunter iſt der durch Bruſtwehr-Mauern ge¬ ſchützte Niederblick in die felſige Wüſtenei mehr als ſchauerig, und während 1½ Stunden ſieht man, ſo oft der Weg ſich wieder aus¬ buchtet, immer aufs Neue das Leukerbad ſenkrecht zu Füßen liegen. Auf dieſen Päſſen begegnet man zur Seltenheit noch dem „Säu¬ mer und ſeinen Saumroſſen.“
Seit dem Bau der Kunſtſtraßen iſt dieſe, Jahrhunderte lang, während des ganzen Mittelalters bis auf die jüngſt vergangene Zeit gebräuchliche Art des Transportes der Handelswaaren auf dem Rücken der Pferde und Maulthiere, faſt gänzlich verſchwunden. Nur auf den nicht fahrbaren, aber dennoch ſehr frequenten Alpen¬ päſſen, wie z. B. auf der Gemmi, begegnet man denſelben noch vereinzelt. Jedes Saumthier trägt einen aus hölzernen Sparren konſtruirten Sattel, der auf beiden Seiten weit herabreicht und den Rücken vom Halsbug bis zu den Hüften überdeckt. An und
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Da der ſüdliche Abhang der Alpen, wie ſchon früher erwähnt,
immer ſteiler iſt als der gen Norden auslaufende, ſo ſind auch die
Paßniedergänge an dieſer Seite immer jäher und ſtotziger. Von
der Grimſel-Höhe führt der gut geebnete Pfad über die ſteile
Meyenwand zum Rhône-Gletſcher hinab, und an der Gemmi wurde
ein ſolcher gar in die faſt vertikal ſich erhebende, beinahe 2000 Fuß
hohe Balmwand geſprengt. Es iſt einer der abenteuerlichſten Wege,
der überhaupt in den Alpen vorkommt. Eine tiefe, düſtere Felſen¬
ſpalte klafft von unten bis hinauf in der Wand; in dieſer wurde
durch künſtliche Aufmauerung oder durch Ausbrechen ein etagen¬
förmig ſich übereinander emporwindender Felſengang erzwungen,
der dem Wanderer ſelten mehr als einige Dutzend Schritte zeigt.
Lautſchallendes Echo, wie in den leeren Hallen einer großen Kirche,
begleitet jedes geſprochene oder gerufene Wort. Mehr als eine
halbe Stunde lang hört der vom Bade Leuk aufſteigende Wanderer
in der ſenkrechten Schlucht von oben herab die Jauchzer der
Herunterkommenden, ohne ſie früher zu ſehen, als bis er ihnen un¬
mittelbar begegnet. Mitunter iſt der durch Bruſtwehr-Mauern ge¬
ſchützte Niederblick in die felſige Wüſtenei mehr als ſchauerig, und
während 1½ Stunden ſieht man, ſo oft der Weg ſich wieder aus¬
buchtet, immer aufs Neue das Leukerbad ſenkrecht zu Füßen liegen.
Auf dieſen Päſſen begegnet man zur Seltenheit noch dem „Säu¬
mer und ſeinen Saumroſſen.“
Seit dem Bau der Kunſtſtraßen iſt dieſe, Jahrhunderte lang,
während des ganzen Mittelalters bis auf die jüngſt vergangene
Zeit gebräuchliche Art des Transportes der Handelswaaren auf dem
Rücken der Pferde und Maulthiere, faſt gänzlich verſchwunden.
Nur auf den nicht fahrbaren, aber dennoch ſehr frequenten Alpen¬
päſſen, wie z. B. auf der Gemmi, begegnet man denſelben noch
vereinzelt. Jedes Saumthier trägt einen aus hölzernen Sparren
konſtruirten Sattel, der auf beiden Seiten weit herabreicht und
den Rücken vom Halsbug bis zu den Hüften überdeckt. An und
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/342>, abgerufen am 24.11.2024.
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