Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Hospitien. zu dem, weiter unten zu erzählenden, dummen Streiche verleitenließ, war das Urbild eines gemüthlichen, klugen und praktischen Alpenbauern, bieder und anspruchslos; man lese Agassiz's geologische Reisen, um sein Lob aus vollem Herzen verkünden zu hören. Der alte, siebenzigjährige Direktor Lombardi auf dem Gotthard und sein intelligenter Tochtermann, sind Leute so frisch und frei, wie die sie umwehende Bergluft. Und vollends gar in den Hospitien, denen Mönche vorstehen, wie auf dem Großen Bernhard und dem Simplon, herrscht ein fröhlicher, lebensfreudiger Ton, eine gesellige Unge¬ zwungenheit, die mit dem herkömmlichen Begriffe eines Conventes anfangs ganz unvereinbar erscheinen. Und endlich die Gebäude selbst, diese einfachen, festen, dick¬ Alle Hospitien, deren es in den Alpen etwa fünfzehn giebt, Die Hospitien. zu dem, weiter unten zu erzählenden, dummen Streiche verleitenließ, war das Urbild eines gemüthlichen, klugen und praktiſchen Alpenbauern, bieder und anſpruchslos; man leſe Agaſſiz's geologiſche Reiſen, um ſein Lob aus vollem Herzen verkünden zu hören. Der alte, ſiebenzigjährige Direktor Lombardi auf dem Gotthard und ſein intelligenter Tochtermann, ſind Leute ſo friſch und frei, wie die ſie umwehende Bergluft. Und vollends gar in den Hospitien, denen Mönche vorſtehen, wie auf dem Großen Bernhard und dem Simplon, herrſcht ein fröhlicher, lebensfreudiger Ton, eine geſellige Unge¬ zwungenheit, die mit dem herkömmlichen Begriffe eines Conventes anfangs ganz unvereinbar erſcheinen. Und endlich die Gebäude ſelbſt, dieſe einfachen, feſten, dick¬ Alle Hospitien, deren es in den Alpen etwa fünfzehn giebt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0353" n="317"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Hospitien</hi>.<lb/></fw> zu dem, weiter unten zu erzählenden, dummen Streiche verleiten<lb/> ließ, war das Urbild eines gemüthlichen, klugen und praktiſchen<lb/> Alpenbauern, bieder und anſpruchslos; man leſe Agaſſiz's geologiſche<lb/> Reiſen, um ſein Lob aus vollem Herzen verkünden zu hören. Der<lb/> alte, ſiebenzigjährige Direktor Lombardi auf dem Gotthard und ſein<lb/> intelligenter Tochtermann, ſind Leute ſo friſch und frei, wie die ſie<lb/> umwehende Bergluft. Und vollends gar in den Hospitien, denen<lb/> Mönche vorſtehen, wie auf dem Großen Bernhard und dem Simplon,<lb/> herrſcht ein fröhlicher, lebensfreudiger Ton, eine geſellige Unge¬<lb/> zwungenheit, die mit dem herkömmlichen Begriffe eines Conventes<lb/> anfangs ganz unvereinbar erſcheinen.</p><lb/> <p>Und endlich die Gebäude ſelbſt, dieſe einfachen, feſten, dick¬<lb/> wandigen, ſteinernen Berghäuſer, — wie ſtehen ſie ohne allen<lb/> äußeren Schmuck, ohne jedes kokettirende Moment, ſo urnatürlich<lb/> und altersergraut da, oft eher ausgebauten Ruinen ähnelnd, als<lb/> Lokalen, die öffentlichen, allgemeinen Beſtimmungen dienen! Form<lb/> und Charakter entſprechen ſo recht der wilden, ſteintrümmer-erfüllten,<lb/> rauhen Gebirgs-Umgebung, die an den neunmonatlichen, zähen,<lb/> ſtürmiſchen Winter erinnert. Einzig das Simplon-Hoſpiz, vom<lb/> weltſtürmenden, alle ſeine Pläne im großen Maßſtabe anlegenden<lb/> Frankenkaiſer Napoleon <hi rendition="#aq">I</hi>. begonnen, dann aber erſt zwanzig Jahre<lb/> ſpäter von den Bernhardinern erworben und ausgebaut, dehnt ſich<lb/> wie ein Alpenſchloß palaſtähnlich, vierſtockig, vielfenſterig auf dem<lb/> Bergübergange aus.</p><lb/> <p>Alle Hospitien, deren es in den Alpen etwa fünfzehn giebt,<lb/> ſind milde Stiftungen, größeren oder kleineren Umfanges, welche die<lb/> Aufgabe haben, je nach ihren Mitteln jeden Reiſenden, der es<lb/> verlangt, unentgeldlich zu beherbergen, Armen eine Mahlzeit gratis<lb/> zu verabfolgen, oder wenn allzuwildes Wetter den Wanderer zwingen<lb/> ſollte, länger zu bleiben, ihn während dieſer Zeit zu verpflegen,<lb/> und bei Schneeſtürmen durch Glockenläuten oder durch Ausſendung<lb/> von Spürhunden Verirrte auf den rechten Weg zu leiten. Nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [317/0353]
Die Hospitien.
zu dem, weiter unten zu erzählenden, dummen Streiche verleiten
ließ, war das Urbild eines gemüthlichen, klugen und praktiſchen
Alpenbauern, bieder und anſpruchslos; man leſe Agaſſiz's geologiſche
Reiſen, um ſein Lob aus vollem Herzen verkünden zu hören. Der
alte, ſiebenzigjährige Direktor Lombardi auf dem Gotthard und ſein
intelligenter Tochtermann, ſind Leute ſo friſch und frei, wie die ſie
umwehende Bergluft. Und vollends gar in den Hospitien, denen
Mönche vorſtehen, wie auf dem Großen Bernhard und dem Simplon,
herrſcht ein fröhlicher, lebensfreudiger Ton, eine geſellige Unge¬
zwungenheit, die mit dem herkömmlichen Begriffe eines Conventes
anfangs ganz unvereinbar erſcheinen.
Und endlich die Gebäude ſelbſt, dieſe einfachen, feſten, dick¬
wandigen, ſteinernen Berghäuſer, — wie ſtehen ſie ohne allen
äußeren Schmuck, ohne jedes kokettirende Moment, ſo urnatürlich
und altersergraut da, oft eher ausgebauten Ruinen ähnelnd, als
Lokalen, die öffentlichen, allgemeinen Beſtimmungen dienen! Form
und Charakter entſprechen ſo recht der wilden, ſteintrümmer-erfüllten,
rauhen Gebirgs-Umgebung, die an den neunmonatlichen, zähen,
ſtürmiſchen Winter erinnert. Einzig das Simplon-Hoſpiz, vom
weltſtürmenden, alle ſeine Pläne im großen Maßſtabe anlegenden
Frankenkaiſer Napoleon I. begonnen, dann aber erſt zwanzig Jahre
ſpäter von den Bernhardinern erworben und ausgebaut, dehnt ſich
wie ein Alpenſchloß palaſtähnlich, vierſtockig, vielfenſterig auf dem
Bergübergange aus.
Alle Hospitien, deren es in den Alpen etwa fünfzehn giebt,
ſind milde Stiftungen, größeren oder kleineren Umfanges, welche die
Aufgabe haben, je nach ihren Mitteln jeden Reiſenden, der es
verlangt, unentgeldlich zu beherbergen, Armen eine Mahlzeit gratis
zu verabfolgen, oder wenn allzuwildes Wetter den Wanderer zwingen
ſollte, länger zu bleiben, ihn während dieſer Zeit zu verpflegen,
und bei Schneeſtürmen durch Glockenläuten oder durch Ausſendung
von Spürhunden Verirrte auf den rechten Weg zu leiten. Nicht
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