Wege, ganz in unserer Nähe erblickten, -- ihn, den wir weit ent¬ fernt geglaubt und dessen Felsen-Jodler jetzt breit und derb ertönten.
Das Alphorn wird leider nicht mehr häufig geblasen, und es will scheinen, als ob der Gebrauch desselben immer seltener werde. Selbst wo es noch zu finden ist, mißhandeln es meist Stümper und quälen damit sich und die getäuschten Zuhörer, wie z. B. auf dem Rigi. In der Orchesterkomposition ist uns, mit Ausnahme von Meyerbeers "Ziegenoper" Dinorah keine weitere Einführung und Gebrauch des Alpenhornes bekannt. In Rossini's "Tell" tritt die Schalmei, im Tone der Hoboe verwandt, im Mittelsatze der Ouvertüre charakteristisch auf und zeichnet eine Seite der "Alpen¬ musik", welche noch weniger kultivirt wurde, als das Alphorn. Welchen großartigen, eigenthümlichen Effekt würde Rossini in der "Grütliscene" erreichen, wenn er hier ein Alphorn angebracht hätte, das durch die stille Nacht, wie von den Bergen herüberklingend, die bedeutungsvolle, große Schwurscene national einzuleiten. Die Wirkung müßte eine gewaltige sein.
Man hat auch schon versucht, Alphörner zu stimmen, um mit ihnen Quartetten oder auch nur zweistimmig zu blasen. Der Ver¬ such scheint nicht gelungen zu sein, da sich auf unseren Bergtouren immer nur "Solokünstler" producirten. Dagegen haben Alphorn¬ bläser sich schon das Vergnügen gemacht, von entfernten, einander gegenüberliegenden Alpen, zu korrespondiren, was bei der Ver¬ schiedenheit der Höhe oder Tiefe des Tones und den auftauchenden Echo's eine unbeschreiblich schöne Wirkung hervorbrachte. Wir hörten einmal im Berner Oberlande in der Nähe von Kandersteg einem solchen "musikalischen Wettstreite", einem "Alphornkriege" zu. Das Interessanteste dabei war, daß das antwortende Alphorn genau einen ganzen Ton tiefer in der Stimmung stand, als das rufende. Diese, mit ganz verändertem Toncharakter zurückgegebene Antwort machte eine frappante Wirkung. In früheren Zeiten war der Ge¬ brauch des Alphornes allgemeiner; mit dem Eindringen neuer
Das Alphorn.
Wege, ganz in unſerer Nähe erblickten, — ihn, den wir weit ent¬ fernt geglaubt und deſſen Felſen-Jodler jetzt breit und derb ertönten.
Das Alphorn wird leider nicht mehr häufig geblaſen, und es will ſcheinen, als ob der Gebrauch deſſelben immer ſeltener werde. Selbſt wo es noch zu finden iſt, mißhandeln es meiſt Stümper und quälen damit ſich und die getäuſchten Zuhörer, wie z. B. auf dem Rigi. In der Orcheſterkompoſition iſt uns, mit Ausnahme von Meyerbeers „Ziegenoper“ Dinorah keine weitere Einführung und Gebrauch des Alpenhornes bekannt. In Roſſini's „Tell“ tritt die Schalmei, im Tone der Hoboe verwandt, im Mittelſatze der Ouvertüre charakteriſtiſch auf und zeichnet eine Seite der „Alpen¬ muſik“, welche noch weniger kultivirt wurde, als das Alphorn. Welchen großartigen, eigenthümlichen Effekt würde Roſſini in der „Grütliſcene“ erreichen, wenn er hier ein Alphorn angebracht hätte, das durch die ſtille Nacht, wie von den Bergen herüberklingend, die bedeutungsvolle, große Schwurſcene national einzuleiten. Die Wirkung müßte eine gewaltige ſein.
Man hat auch ſchon verſucht, Alphörner zu ſtimmen, um mit ihnen Quartetten oder auch nur zweiſtimmig zu blaſen. Der Ver¬ ſuch ſcheint nicht gelungen zu ſein, da ſich auf unſeren Bergtouren immer nur „Solokünſtler“ producirten. Dagegen haben Alphorn¬ bläſer ſich ſchon das Vergnügen gemacht, von entfernten, einander gegenüberliegenden Alpen, zu korreſpondiren, was bei der Ver¬ ſchiedenheit der Höhe oder Tiefe des Tones und den auftauchenden Echo's eine unbeſchreiblich ſchöne Wirkung hervorbrachte. Wir hörten einmal im Berner Oberlande in der Nähe von Kanderſteg einem ſolchen „muſikaliſchen Wettſtreite“, einem „Alphornkriege“ zu. Das Intereſſanteſte dabei war, daß das antwortende Alphorn genau einen ganzen Ton tiefer in der Stimmung ſtand, als das rufende. Dieſe, mit ganz verändertem Toncharakter zurückgegebene Antwort machte eine frappante Wirkung. In früheren Zeiten war der Ge¬ brauch des Alphornes allgemeiner; mit dem Eindringen neuer
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Das Alphorn.
Wege, ganz in unſerer Nähe erblickten, — ihn, den wir weit ent¬
fernt geglaubt und deſſen Felſen-Jodler jetzt breit und derb ertönten.
Das Alphorn wird leider nicht mehr häufig geblaſen, und es
will ſcheinen, als ob der Gebrauch deſſelben immer ſeltener werde.
Selbſt wo es noch zu finden iſt, mißhandeln es meiſt Stümper
und quälen damit ſich und die getäuſchten Zuhörer, wie z. B. auf
dem Rigi. In der Orcheſterkompoſition iſt uns, mit Ausnahme
von Meyerbeers „Ziegenoper“ Dinorah keine weitere Einführung
und Gebrauch des Alpenhornes bekannt. In Roſſini's „Tell“ tritt
die Schalmei, im Tone der Hoboe verwandt, im Mittelſatze der
Ouvertüre charakteriſtiſch auf und zeichnet eine Seite der „Alpen¬
muſik“, welche noch weniger kultivirt wurde, als das Alphorn.
Welchen großartigen, eigenthümlichen Effekt würde Roſſini in der
„Grütliſcene“ erreichen, wenn er hier ein Alphorn angebracht hätte,
das durch die ſtille Nacht, wie von den Bergen herüberklingend,
die bedeutungsvolle, große Schwurſcene national einzuleiten. Die
Wirkung müßte eine gewaltige ſein.
Man hat auch ſchon verſucht, Alphörner zu ſtimmen, um mit
ihnen Quartetten oder auch nur zweiſtimmig zu blaſen. Der Ver¬
ſuch ſcheint nicht gelungen zu ſein, da ſich auf unſeren Bergtouren
immer nur „Solokünſtler“ producirten. Dagegen haben Alphorn¬
bläſer ſich ſchon das Vergnügen gemacht, von entfernten, einander
gegenüberliegenden Alpen, zu korreſpondiren, was bei der Ver¬
ſchiedenheit der Höhe oder Tiefe des Tones und den auftauchenden
Echo's eine unbeſchreiblich ſchöne Wirkung hervorbrachte. Wir
hörten einmal im Berner Oberlande in der Nähe von Kanderſteg
einem ſolchen „muſikaliſchen Wettſtreite“, einem „Alphornkriege“ zu.
Das Intereſſanteſte dabei war, daß das antwortende Alphorn genau
einen ganzen Ton tiefer in der Stimmung ſtand, als das rufende.
Dieſe, mit ganz verändertem Toncharakter zurückgegebene Antwort
machte eine frappante Wirkung. In früheren Zeiten war der Ge¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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